Kammerspiel einer Paarbeziehung
Nicolas Mathieu erzählt in „Rose Royal“von einer misslingenden Liebe
Rose ist Sekretärin und um die 50. Kein einfaches Alter, man steht ja doch irgendwie auf der Kippe: „Früher: alt. Heute: zweite Jugend möglich.“So bringt Nicolas Mathieu es in seinem schlanken neuen Roman „Rose Royal“auf den Punkt. Zu Roses Vorzügen gehören schöne Beine und eine gute Figur, die Problemzonen: Im Gesicht hat die Zeit Spuren hinterlassen, und ihr Haar hat Glanz und Fülle verloren, „jenen sinnlichen Überfluss, der einmal seinen Erfolg begründet hatte“. Aquagym und Mineralwasser, Hülsenfrüchte und Diäten können das Gefühl der Vergeblichkeit ihres Kampfs gegen die Zeit nicht zum Verstummen bringen.
Mit 20 hatte Rose geheiratet, zwei Söhne geboren und aufgezogen; ihre Scheidung verlief ohne größere Komplikationen. Auch etliche Affären, Chefs und gesundheitliche Probleme hat Rose ohne Blessuren überstanden. Nur dieses Gefühl, „als würde ihr Leben ohne sie ablaufen“, ist geblieben.
Die Kerle hat Rose schon lange satt; auf eine Beziehung lässt sie sich nicht mehr ein. Etwas menschliche
Wärme findet sie im Royal, wo sie nach der Arbeit mit ihrer Freundin Marie-Jeanne abhängt und über die Männer lästert.
Eines Abends trägt ein Mann seinen von einem Auto überfahrenen Hund in die Bar. Die Gäste sind schockiert, Rettung ist nicht mehr möglich, und so zückt Rose den kleinen
Revolver in ihrer Handtasche und gibt dem Tier den Gnadenschuss. Gekauft hatte sie die Waffe zum Schutz vor anderen Tieren: Mit Männern hat sie immer nur schlechte Erfahrungen gemacht. Durch die Knarre sollte endlich die Angst die Seite wechseln.
Luc, der Mann mit dem Hund, ist anders: charmant, schweigsam, zuverlässig. Er hatte Rose angerufen, hatte um sie geworben, und sie waren ein Paar geworden: „Es war noch Leben übrig.“Bald kündigt Rose den Job, sagt ihrem früheren Dasein Lebewohl und zieht zu Luc. Sie gehen essen, ins Kino oder Casino, Luc zahlt immer. Eigentlich ist alles paletti. Nur fühlt sich Rose bald wie in einem goldenen Käfig. Und es gibt Konflikte: Im Bett klappt es nicht so richtig. Auf Roses Gesprächsbereitschaft reagiert Luc empfindlich.
So streitet man sich, entzweit und trennt sich – und kommt doch wieder zusammen. Ein kleines Beziehungsjubiläum will das Paar in einem luxuriösen Hotel feiern: drei Nächte mit Seeblick. Gleich am ersten Tag entbrennt beim Abendessen auf der mondänen Terrasse aus nichtigem Anlass ein Streit. Auch der Sex in ihrer Suite später eignet sich nicht für eine Versöhnung. Und dann geschieht in der Nacht etwas Unerwartetes, Unfassbares – trotz (oder vielleicht wegen?) des Revolvers in Roses Handtasche.
Nicolas Mathieu, Träger des Prix Goncourt 2018, ist ein brillanter Autor. Seine Geschichte erzählt er in kurzen, schnörkellosen Sätzen. Und jeder Satz in dem Roman sitzt, ist bedeutungsschwer mit Pointe. Glänzend versteht es der Franzose auch, glaubwürdige Figuren vor den Leser hinzustellen und die Essenz eines Lebens auf den Punkt zu bringen.
Als Kammerspiel einer Paarbeziehung ist der Roman zu gleichen Teilen Liebesgeschichte und Psychodrama, Kriminalstück und Gesellschaftsanalyse, ja, belletristische Gesellschaftskritik. Denn Roses und Lucs Beziehung ist in vielem exemplarisch; gerade auch in ihrem Scheitern. Und welche Beziehung scheitert heute nicht? Weshalb denn sind „Google-Apple-Facebook-Amazon“die „Goldminen unserer Zeit“, wie es an einer Stelle heißt? Weil sie samt Tinder & Co. Abhilfe schaffen gegen die „Hungersnöte von heute“: Einsamkeit und die Sehnsucht nach Nähe und Liebe. Dass es so ist, stellt der Gegenwart die Diagnose. Und spricht in diesem glänzenden kleinen Roman zugleich das Urteil über sie.
Nicolas Mathieu: Rose Royal, Roman, Hanser, Berlin, 95 Seiten, 18 Euro.