Lindauer Zeitung

Kammerspie­l einer Paarbezieh­ung

Nicolas Mathieu erzählt in „Rose Royal“von einer misslingen­den Liebe

- Von Hans-Dieter Fronz

Rose ist Sekretärin und um die 50. Kein einfaches Alter, man steht ja doch irgendwie auf der Kippe: „Früher: alt. Heute: zweite Jugend möglich.“So bringt Nicolas Mathieu es in seinem schlanken neuen Roman „Rose Royal“auf den Punkt. Zu Roses Vorzügen gehören schöne Beine und eine gute Figur, die Problemzon­en: Im Gesicht hat die Zeit Spuren hinterlass­en, und ihr Haar hat Glanz und Fülle verloren, „jenen sinnlichen Überfluss, der einmal seinen Erfolg begründet hatte“. Aquagym und Mineralwas­ser, Hülsenfrüc­hte und Diäten können das Gefühl der Vergeblich­keit ihres Kampfs gegen die Zeit nicht zum Verstummen bringen.

Mit 20 hatte Rose geheiratet, zwei Söhne geboren und aufgezogen; ihre Scheidung verlief ohne größere Komplikati­onen. Auch etliche Affären, Chefs und gesundheit­liche Probleme hat Rose ohne Blessuren überstande­n. Nur dieses Gefühl, „als würde ihr Leben ohne sie ablaufen“, ist geblieben.

Die Kerle hat Rose schon lange satt; auf eine Beziehung lässt sie sich nicht mehr ein. Etwas menschlich­e

Wärme findet sie im Royal, wo sie nach der Arbeit mit ihrer Freundin Marie-Jeanne abhängt und über die Männer lästert.

Eines Abends trägt ein Mann seinen von einem Auto überfahren­en Hund in die Bar. Die Gäste sind schockiert, Rettung ist nicht mehr möglich, und so zückt Rose den kleinen

Revolver in ihrer Handtasche und gibt dem Tier den Gnadenschu­ss. Gekauft hatte sie die Waffe zum Schutz vor anderen Tieren: Mit Männern hat sie immer nur schlechte Erfahrunge­n gemacht. Durch die Knarre sollte endlich die Angst die Seite wechseln.

Luc, der Mann mit dem Hund, ist anders: charmant, schweigsam, zuverlässi­g. Er hatte Rose angerufen, hatte um sie geworben, und sie waren ein Paar geworden: „Es war noch Leben übrig.“Bald kündigt Rose den Job, sagt ihrem früheren Dasein Lebewohl und zieht zu Luc. Sie gehen essen, ins Kino oder Casino, Luc zahlt immer. Eigentlich ist alles paletti. Nur fühlt sich Rose bald wie in einem goldenen Käfig. Und es gibt Konflikte: Im Bett klappt es nicht so richtig. Auf Roses Gesprächsb­ereitschaf­t reagiert Luc empfindlic­h.

So streitet man sich, entzweit und trennt sich – und kommt doch wieder zusammen. Ein kleines Beziehungs­jubiläum will das Paar in einem luxuriösen Hotel feiern: drei Nächte mit Seeblick. Gleich am ersten Tag entbrennt beim Abendessen auf der mondänen Terrasse aus nichtigem Anlass ein Streit. Auch der Sex in ihrer Suite später eignet sich nicht für eine Versöhnung. Und dann geschieht in der Nacht etwas Unerwartet­es, Unfassbare­s – trotz (oder vielleicht wegen?) des Revolvers in Roses Handtasche.

Nicolas Mathieu, Träger des Prix Goncourt 2018, ist ein brillanter Autor. Seine Geschichte erzählt er in kurzen, schnörkell­osen Sätzen. Und jeder Satz in dem Roman sitzt, ist bedeutungs­schwer mit Pointe. Glänzend versteht es der Franzose auch, glaubwürdi­ge Figuren vor den Leser hinzustell­en und die Essenz eines Lebens auf den Punkt zu bringen.

Als Kammerspie­l einer Paarbezieh­ung ist der Roman zu gleichen Teilen Liebesgesc­hichte und Psychodram­a, Kriminalst­ück und Gesellscha­ftsanalyse, ja, belletrist­ische Gesellscha­ftskritik. Denn Roses und Lucs Beziehung ist in vielem exemplaris­ch; gerade auch in ihrem Scheitern. Und welche Beziehung scheitert heute nicht? Weshalb denn sind „Google-Apple-Facebook-Amazon“die „Goldminen unserer Zeit“, wie es an einer Stelle heißt? Weil sie samt Tinder & Co. Abhilfe schaffen gegen die „Hungersnöt­e von heute“: Einsamkeit und die Sehnsucht nach Nähe und Liebe. Dass es so ist, stellt der Gegenwart die Diagnose. Und spricht in diesem glänzenden kleinen Roman zugleich das Urteil über sie.

Nicolas Mathieu: Rose Royal, Roman, Hanser, Berlin, 95 Seiten, 18 Euro.

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FOTO: BETRAND JAMOT/HANSER Ein brillanter Autor: der Franzose Nicolas Mathieu.
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