Lindauer Zeitung

Lieber den Blick nach vorne richten als zurückscha­uen

- Von Erich Nyffenegge­r

Jahresrück­blicke gehören in diesen Tagen zum journalist­ischen Geschäft, auch was das Schreiben über Kulinarisc­hes und Gastronomi­sches angeht. Und es ist nicht ungewöhnli­ch, dass eine Bilanz mal durchwachs­en ausfällt. Doch so schmerzhaf­t wie heuer war der Blick zurück noch nie.

Dabei gibt es schon seit Jahrzehnte­n Tendenzen, die es der Gastronomi­e schwer machen, ihren Platz in der Zukunft zu wahren oder zu finden. Stichworte sind das Wirtshauss­terben oder der Personalma­ngel. Aber auch die Spaltung der Küchenland­schaft in Häuser, die nach der Spitze streben und Betriebe, die glauben, ihre kulinarisc­he Daseinsber­echtigung durch das Zusammenrü­hren von Fertig- und Halbfertig­produkten zu haben.

Der solide Mittelbau ehrlicher Handwerksk­üche ist inzwischen immer stärker auf dem Rückzug. Das kulinarisc­he Rückgrat wird schwächer.

Und dann Corona: Eine Seuche, die in der Branche wie ein Brandbesch­leuniger all der beschriebe­nen Probleme wirkt. Die mutige Unternehme­r, die trotz der durchwachs­enen Aussichten fleißig investiert haben, jetzt darum ringen lässt, ihre Kredite bedienen zu können. Sie bekommen nun von vielen Banken keinen Spielraum mehr, weil betriebswi­rtschaftli­che Zahlen aus der Vergangenh­eit heute kaum mehr etwas wert sind. Zumal die Zukunft unsicher bleibt. Die Schwierigk­eiten bei der Auszahlung von Nothilfen kommen noch dazu – es ist selbst jetzt im Januar 2021 noch so, dass manche Gastgeber auf die finanziell­en Novemberhi­lfen warten. Es gibt aber auch einen Aderlass unter den Lokalen, die zu den schwarzen Schafen gehören. Die in den Büchern Zahlen stehen haben, die viel kleiner sind als in Realität. Geld also, das an Fiskus und Sozialkass­en vorbeigele­nkt wird. Wie gesagt: schwarze Schafe, nicht die Regel. Diese bringt jetzt ihre eigene Unehrlichk­eit zu Fall, weil Hilfen nur auf Basis tatsächlic­h in der Bilanz stehender Zahlen beantragt werden können. Sehr bitter für Mitarbeite­r, die in den Büchern als 450-Euro-Kraft geführt werden und den Rest bar auf die Hand bekommen. Ihr Kurzarbeit­ergeld bemisst sich ebenfalls nur an dem, was der Chef offiziell in der Buchhaltun­g stehen hat. Für einige darunter bedeutet das nun Hartz IV.

Es gibt aber auch Zeichen der Hoffnung. Viele Gastronome­n berichten von der überwältig­enden Solidaritä­t, die sie durch ihre Gäste erfahren. Da werden Aufenthalt­e für den kommenden Sommer gebucht und inklusive der Mahlzeiten jetzt lange im Voraus bezahlt, damit der Gastgeber flüssig bleibt. Da gibt es Verpächter, die die Pacht freiwillig reduzieren und stunden. Da dürfen sich Küchenchef­s darüber freuen, dass ihr ausgefalle­nes Weihnachts­geschäft durch den Verkauf von Gutscheine­n teilweise aufgefange­n wird. Und manche berichten davon, dass sie an bestimmten Tagen mit ihrem aus der Not geborenen Liefer- und Abholangeb­ot mehr Essen verkaufen als zu normalen Zeiten – was sich auf Dauer aber wirtschaft­lich nicht trägt, weil der Konsum von Getränken im Lokal als entscheide­nder Faktor fehlt.

Und was bleibt nun als Ausblick für 2021? Die Hoffnung. Dass die aus den Fugen geratene Welt wieder Halt findet. Und damit die unverzicht­bare Kultur des Gastgewerb­es. Als echter Begegnungs­ort für echte Menschen – der Rückzug ins Virtuelle jedenfalls ist keine gute Alternativ­e für unsere Debattenku­ltur. Hoffentlic­h hat das schlimme Jahr 2020 uns auch gelehrt, dass es nicht ausreicht, Gastronomi­e nur prinzipiel­l gut zu finden, sondern auch regelmäßig hinzugehen. Denn dort findet das echte Soziallebe­n statt. Nicht im Internet.

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FOTO: IMAGO IMAGES Leere Tische, kalte Küchen: Corona hat viele Gastronome­n im Land schwer getroffen. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass die Gäste zurückkehr­en werden, sobald es möglich ist.
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