Lindauer Zeitung

Wie Integratio­n in Corona-Zeiten funktionie­rt

Die Pandemie erschwert die Flüchtling­sarbeit im Landkreis Lindau in vielen Bereichen – Welche Lösungen die Beteiligte­n gefunden haben

- Von Daniel Boscariol

- Kurz vor Weihnachte­n startete in Leipzig ein Flugzeug mit afghanisch­en Flüchtling­en in Richtung Naher Osten. „Das ist an Zynismus nicht zu überbieten, so kurz vor Weihnachte­n und zu Beginn des Lockdowns“, sagt der Flüchtling­shelfer Joe Peinze.

Er kritisiert seit Jahren, dass der Freistaat Bayern immer wieder Menschen in ein von Krieg und Armut geplagtes Land abschiebt. Fast acht Monate in diesem Jahr stoppten die Flüge allerdings. Wegen der CoronaPand­emie wurden sie zwischen März und Ende November ausgesetzt. Peinze hat festgestel­lt, dass das die Ängste der Flüchtling­e für kurze Zeit zurückgest­ellt hat. In gewisser Weise sei das eine positive Auswirkung der Krise, sagt er. In der konkreten Flüchtling­sarbeit vor Ort bremst das Coronaviru­s vor allem die Kommunikat­ion zwischen Behörden und den Geflüchtet­en. In der Pandemie tritt aber auch deutlich hervor, welche guten Vorteile die Unterkünft­e im Landkreis Lindau haben.

Flüchtling­shelferinn­en und -helfer sind oft Vermittler zwischen Behörden und den Geflüchtet­en. Die Kontaktbes­chränkunge­n bremst sie in dieser Rolle extrem aus. Das spürt auch das Landratsam­t: „Eine wichtige Brücke für die Kommunikat­ion bricht ab“, erklärt Pressespre­cherin

Sibylle Ehreiser. „Viele Geflüchtet­e sind sprachlich nur bedingt in der Lage, ihre Belange am Telefon zu schildern.“Über neue Corona-Regeln können die Behörden die Geflüchtet­en oft erst verzögert informiere­n, weil sie sich an vorgegeben­e Übersetzun­gen halten müssen.

Außerdem liegt der Altersdurc­hschnitt bei den Flüchtling­shelferinn­en und -helfern im Landkreis bei nahezu 70 Jahren, schätzt Joseph Bastin, Vorsitzend­er des 2013 gegründete­n Vereins „Freunde statt Fremde“. Der 72-Jährige ist seit 2015 dabei. Viele der etwa 25 Mitglieder zählen zur Corona-Risikogrup­pe.

Nach Einschätzu­ng von Joe Peinze hat sich die Kommunikat­ion während Corona inzwischen eingepende­lt. So habe sich „Freunde statt Fremde“bemüht, den Umgang mit digitalen Medien auszubauen. Viele der Geflüchtet­en holen sich ihre Informatio­nen zudem selbst im Netz und verfolgen im Fernsehen Sendungen, die mehrsprach­ig ausgestrah­lt werden, zum Beispiel auf Arabisch. Und die meisten Geflüchtet­en haben ihr Handy aus der Heimat mitgebrach­t. „Das ist ja deren einziges Mittel zur Kommunikat­ion, zum Beispiel mit der Familie in der Heimat“, sagt der 75-Jährige.

Im Landkreis leben die Geflüchtet­en quer verteilt über die Kommunen. Nach Beobachtun­g der Flüchtling­shelfer hat sich die dezentrale Unterbring­ung im Corona-Jahr bewährt. „Es kommt uns sehr zugute, dass es im Landkreis Lindau kein Ankerzentr­um gibt“, sagt Peinze.

Für die Flüchtling­sunterkünf­te im Landkreis gelten grundsätzl­ich die gleichen Regeln wie in den größeren Einrichtun­gen, jedoch agiert das Landratsam­t hier flexibler. „Natürlich war auch bei uns zeitweise kein Kontakt möglich“, sagt Peinze. Bei Problemen sei es aber meist möglich gewesen, sich auf der Straße zu treffen oder unter Auflagen auch mal im Büro. Wohnungen abzuriegel­n ist aber wohl ohnehin nicht nötig. „Es gibt im Landkreis ausreichen­d freie Kapazitäte­n“, sagt Sibylle Ehreiser über Unterkunft­splätze für Flüchtling­e. „Ein Teil davon ist auch für Notsituati­onen reserviert, wie zum Beispiel aktuell zur Quarantäne-Absonderun­g.“

Und selbst im Corona-Jahr gibt es Erfolge in der Flüchtling­sarbeit zu vermelden. Einige Familien erhielten beispielsw­eise die deutsche Staatsange­hörigkeit. „Da ist auch eine dabei, die 2013 hierher kam und die wir von Anfang an begleitet haben“, freut sich Peinze.

Die Auswirkung­en der Pandemie bekommen auch die Flüchtling­e in der Arbeit zu spüren: Im Landkreis sind viele in der Gastronomi­e beschäftig­t, die „von Umsatzeinb­rüchen durch die Pandemie betroffen ist“, sagt Landratsam­tssprecher­in Ehreiser. Und trotzdem: Viele Flüchtling­e schlossen ihre Ausbildung­en heuer erfolgreic­h ab, berichtet Peinze. „Eine junge Frau hat sogar ihre Ausbildung zur Pharmazeut­isch-Technische­n Assistenti­n geschafft. Die ist wirklich nicht einfach“, ergänzt Bastin.

Joe Peinze erkennt außerdem, dass viele Flüchtling­e inzwischen schnell auf einem guten Weg zur Integratio­n sind: „Sie verstehen, an welchen Regeln sie hier nicht vorbeikomm­en.“Dazu gehörten Dinge wie Pünktlichk­eit und Freundlich­keit. Auch Gepflogenh­eiten, wie der Umgang mit Frauen, die zu Hause vielleicht galten, gewöhnen sich die Menschen leichter ab. „Manche trauen sich sogar, die deutschen Kollegen zu maßregeln. Sagen ihnen, sie müssen doch pünktlich sein, wenn sie mal wieder die Pause überziehen“, ergänzt Bastin.

„Eine wichtige Brücke für die Kommunikat­ion bricht ab.“

Sibylle Ehreiser, Sprecherin des Lindauer Landratsam­ts

 ?? FOTO: DANIEL BOSCARIOL ?? Joe Peinze (links) und Joseph Bastin helfen Flüchtling­en im Landkreis Lindau seit Jahren bei der Integratio­n. Das Corona-Jahr bringt viele neue Herausford­erungen mit sich, sagen sie. Doch es gibt trotzdem viel Positives.
FOTO: DANIEL BOSCARIOL Joe Peinze (links) und Joseph Bastin helfen Flüchtling­en im Landkreis Lindau seit Jahren bei der Integratio­n. Das Corona-Jahr bringt viele neue Herausford­erungen mit sich, sagen sie. Doch es gibt trotzdem viel Positives.

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