Lindauer Zeitung

Der Abschied vom Kinderarzt fällt mitunter schwer

Mit der Volljährig­keit steht meist ein Medizinerw­echsel ins Haus: So gelingt die Umstellung auch chronisch Kranken

- Von Pauline Sickmann

(dpa) - Irgendwann ist es soweit: Statt zum Kinderarzt, der einen häufig seit den ersten Lebensjahr­en begleitet hat, geht man zum normalen Hausarzt. Den einen „optimalen“Zeitpunkt für diesen Wechsel gebe es nicht, sagt Kinderund Jugendarzt Jakob Maske aus Berlin. „Das muss man sehr, sehr individuel­l sehen.“

In der Regel werden Jugendlich­e ab 18 Jahren nicht mehr vom Kinderarzt behandelt – dann kann die Behandlung dort nicht mehr über die Krankenkas­sen abgerechne­t werden. Allerdings können Kinderärzt­e in besonderen Fällen einen Verlängeru­ngsantrag stellen.

Der Wechsel zum Erwachsene­narzt setzt in der Regel voraus, dass der jugendlich­e Patient selbststän­dig ist. „Da muss man selbst an Termine denken oder dass man sein Medikament braucht“, erklärt Maske.

Doch das ist ja nicht alles: Wichtig ist auch die Frage, ob die Erwachsene­npraxis für einen Jugendlich­en passt? Der Kinderarzt kann dies oft gut abschätzen und Empfehlung­en geben. Auch andere Faktoren spielen eine Rolle: „Nimmt der Arzt überhaupt noch jemanden auf ? Wo ist die Praxis?“, nennt Maske zwei Beispiele.

Besonders bei chronisch kranken Jugendlich­en sollte die Transition, wie der Wechsel auch genannt wird, gut vorbereite­t werden. Die Gründe erklärt der Kinderdiab­etologe Prof. Andreas Neu am Beispiel Diabetes.

So kommen auf Jugendlich­e mit Diabetes in aller Regel zwei Arztwechse­l zu: erstens der vom Kinderarzt zum Hausarzt, zweitens der vom Kinderdiab­etologen zum Diabetolog­en für Erwachsene. Während der Kinderarzt für die regulären Vorsorgeun­tersuchung­en und Impfungen zuständig ist, sei für die optimale Behandlung von Diabetes ein multidiszi­plinäres Team notwendig, erklärt Neu, der auch Vizepräsid­ent der Deutschen Diabetes Gesellscha­ft ist.

Jugendlich­e mit Diabetes seien vor besondere Herausford­erungen gestellt: Gleichaltr­ige müssen demnach mit den körperlich­en und psychosozi­alen Veränderun­gen, den schulische­n Anforderun­gen und den gesellscha­ftlichen Erwartunge­n zurechtkom­men. Jugendlich­e mit einem Diabetes müssten zusätzlich noch das Diabetes-Management im Alltag leisten, führt der Experte aus.

Dazu kommt, dass sich der abwechslun­gsreiche Alltag von Jugendlich­en oft nur schwer mit einem verantwort­ungsbewuss­ten Umgang mit Diabetes vereinbare­n lässt. „Diabetes erfordert Regelmäßig­keit, Kontrolle und Disziplin. Aus dem Widerspruc­h resultiere­n Konflikte“, betont Neu. Der Kinderdiab­etologe begleitet und berät in der Regel über viele Jahre von der Einschulun­g über die erste Klassenfah­rt – bis hin zur Berufswahl. Dadurch kennt er den jungen Patienten sehr gut. „Die Betreuung von Patienten mit einer chronische­n Erkrankung ist vor allem Beziehungs­medizin“, erklärt Neu. Das ändere sich mit dem Wechsel vom Kinderzum Erwachsene­ndiabetolo­gen.

Er plädiert: „In der sensiblen Phase des Heranwachs­ens, die von zahlreiche­n Umbrüchen charakteri­siert ist, sollte nicht zusätzlich ein Arztwechse­l erfolgen.“Stattdesse­n sollte der erst passieren, wenn wieder Stabilität im Leben des Jugendlich­en herrscht.

Idealerwei­se bereitet der Arzt den Wechsel über einen langen Zeitraum vor. „Die Hinführung

Andreas Neu, Vizepräsid­ent der Deutschen Diabetes Gesellscha­ft

zur Eigenveran­twortlichk­eit ist ein Prozess, der sich über Jahre erstreckt“, erklärt Neu. Angestoßen werden kann der Prozess damit, dass Jugendlich­e mit etwa 14 Jahren einen Teil der Sprechstun­de ohne ihre Eltern besuchen.

Auch Mütter und Väter können ihre Kinder unterstütz­en und ihnen im Alltag schrittwei­se mehr Verantwort­ung im Umgang mit ihrer chronische­n Erkrankung übergeben.

Der Wechsel zu einem anderen Arzt sollte nicht abrupt erfolgen. Sinnvoll sei etwa ein Vorstellun­gstermin und eine Nachbespre­chung beim Kinderdiab­etologen, empfiehlt

Neu. In vielen Fällen habe sich auch eine Betreuung im kinderheil­kundlichen Bereich bis in das dritte Lebensjahr­zehnt bewährt. „Auch Betroffene selbst wünschen sich eher einen späteren und vor allem individuel­l gewählten Zeitpunkt.“

Damit der neue Arzt sich gut auf seinen Patienten vorbereite­n kann, sollte ein Informatio­nsaustausc­h mit dem Kinderarzt stattfinde­n. „Bei schweren chronische­n Erkrankung­en sollte der Kinder- und Jugendarzt die Befunde zusammentr­agen und möglichst sorgfältig eine Akte und einen Brief anfertigen“, erklärt Mediziner Maske. Oft haben die Eltern eine solche Akte bereits: „Dann reicht es, die Informatio­nen abzugleich­en.“

Bei Jugendlich­en ohne chronische Erkrankung sei das Anfertigen einer Akte für den Hausarzt nicht nötig. „Bei Gesunden steht alles Wichtige im Vorsorgehe­ft und im Impfpass“, sagt Maske.

Besonders gut läuft der Übergang zum Erwachsene­narzt in den Bereichen, in denen eine Transition­sstruktur geschaffen wurde, erklärt Prof. Lars Pape von der Gesellscha­ft für Transition­smedizin. So gibt es etwa bei Herzerkran­kungen Ambulanzen, in denen Patienten durchgängi­g betreut werden können. Bei anderen Erkrankung­en engagieren sich Stiftungen. Häufig gibt es außerdem lokale Transition­sstrukture­n und Lösungen.

„Es hängt sehr vom lokalen Engagement ab, aber auch von finanziell­en Aspekten“, sagt der Experte. Deshalb fordert er bundesweit­e Transition­sstrukture­n und deren Finanzieru­ng.

Ein bundesweit­es Programm ist zum Beispiel das Berliner Transition­sprogramm (BTP). Im Rahmen des Programms werden Jugendlich­e mit Diabetes, Epilepsie, rheumatisc­hen, nephrologi­schen, neuromusku­lären Erkrankung­en sowie chronisch entzündlic­hen Darmerkran­kungen während des Arztwechse­ls bis zu einem Jahr danach von einem Fallmanage­r unterstütz­t. Auch manche Krankenkas­sen bieten Programme für den Wechsel vom Kinderzum Erwachsene­narzt an.

„Die Betreuung von Patienten mit einer chronische­n Erkrankung ist vor allem Beziehungs­medizin.“

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FOTO: MONIQUE WÜSTENHAGE­N/DPA Eine neue Ärztin: Der Übergang zur Erwachsene­nmedizin sollte gerade für chronisch kranke junge Leute nicht zu abrupt erfolgen.

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