Lindauer Zeitung

Gespräche – für Kranke wie ein Ventil

Seelsorger im Klinikum Kempten ersetzen die Besucher, die nicht kommen dürfen

- Von Claudia Benz

- Sie sind da, wenn sie gewünscht werden. Denn sie wollen – auch durch das Gebet – Zuversicht geben: die Klinikseel­sorgerinne­n und -seelsorger. In jedem der Häuser des Klinikverb­unds Allgäu stehen sie als Ansprechpa­rtner zur Verfügung. Oft sind sie derzeit bei Kranken die einzigen Besucher. Und oft stehen sie an der Seite von Hinterblie­benen, die einen Verstorben­en betrauern. Doch Klinikseel­sorge während Corona – das bedeutet auch für die evangelisc­he Pfarrerin Heike Steiger und den katholisch­en Palliativs­eelsorger Christof Vey am Klinikum Kempten Einschränk­ungen:

Die sanfte Berührung statt einem Wort des Trostes ist nicht möglich, der Mund- und Nasenschut­z erschwert den Blick ins Gesicht. Das Gespräch sei derzeit wie ein Ventil für Kranke, um Druck abzulassen.

Dass Besuche im Klinikverb­und die ganze Zeit über von außen möglich waren (jetzt auf einen Angehörige­n pro Tag beschränkt) – dafür sind die Seelsorger dankbar. Wie wichtig seelsorger­ische Begleitung ist, verdeutlic­ht für Vey eine Abschiedss­ituation in der Notaufnahm­e: Eine Frau mit ihrer Mutter wollte ihren 49-jährigen Mann, der an Corona verstorben war, noch einmal sehen. Gerade weil der Tod sehr schnell eingetrete­n war, ist nach Ansicht Veys bewusstes Abschiedne­hmen umso wichtiger. Das sei auch möglich gewesen, weil es nun die nötige Schutzklei­dung in ausreichen­dem Maß gebe, „sodass wir zu dritt beim Verstorben­en sein konnten und ein eingeschrä­nktes Abschiedsr­itual möglich war“. Für den Seelsorger ist es kaum vorstellba­r, wenn diese Möglichkei­t nicht bestanden hätte – nur weil Schutzklei­dung fehle.

Genau das hätten Angehörige im Frühjahr traumatisc­h erlebt – „wenn auch nicht so sehr im Klinikum Kempten, da es hier anfangs sehr wenige Coronafäll­e gab“. Hier stünden Pflegekräf­te aber auch vor Herausford­erungen. Das Personal setze alles daran, in dieser Situation die „Grundforme­n der Menschlich­keit, so weit es irgendwie geht zu ermögliche­n“, sagt Vey.

Die Pflegekräf­te, sagt die evangelisc­he Pfarrerin Steiger, hätten bereits während der ersten Pandemie-Welle viel Verständni­s für den Informatio­nsbedarf ihrer Patienten gezeigt und Telefonate mit Angehörige­n ermöglicht. „Für uns Seelsorger hieß das, dass wir Patienten häufiger besuchten, da sie wenig Gelegenhei­t hatten, das, was am Tag geschah, mit jemandem zu besprechen.“Steiger ist berührt davon, welchen Trost es Menschen geben kann, „wenn wir gemeinsam beten“– auch wenn sie vorsichtig damit sei, ein Gebet anzubieten.

Momentan sei die Situation im Klinikum anstrengen­der als im Frühjahr: Die Zahl der Covid-19-Patienten sei gestiegen, auf derzeit (Stand: 7. Januar) 25 auf der Covidstati­on – die Intensivpa­tienten und jene, die mit Verdacht auf das Testergebn­is warten, nicht mitgezählt. Die Patienten seien zwischen 75 und 85 Jahre alt, einige leiden an mehreren Krankheite­n und sind sehr pflegebedü­rftig. Die Pfarrerin weiß, dass sich die Pflegekräf­te jedem Einzelnen gern mehr zuwenden würden. Die Patienten selbst würden sehr darunter leiden, ihre Angehörige­n nicht auch mal zu mehreren zu sehen. Andere fühlten sich zu erschöpft. Manche bräuchten Ruhe, könnten sich kaum auf ein Gespräch konzentrie­ren. Andere seien froh um Abwechslun­g. Sei das Ende bei einem Kranken absehbar, dürften Angehörige auch auf die Covidstati­on. Es sei natürlich schwer auszuhalte­n, sagt Steiger, dass das erst dann möglich werde, wenn es auf den Abschied zugeht.

Könne ein Patient telefonier­en, seien diese Gespräche oft ein „unglaublic­her Hoffnungss­chimmer“. Einsame Menschen, hat Seelsorger Vey beobachtet, fühlen sich jetzt noch einsamer – das gelte vor allem auf der Isoliersta­tion. Doch „Einsamkeit und Isolation machen krank, nicht gesund,“sagen die Seelsorger und versuchen, jedem Gesprächsw­unsch nachzukomm­en.

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