Lindauer Zeitung

Gestern hü, morgen hott

Aiwangers Freie Wähler im Corona-Stresstest – Indes ärgert sich Ministerpr­äsident Söder

- Von Marco Hadem und Christoph Trost

(lby) - Hubert Aiwanger kann es einfach nicht lassen. Kaum deutet sich bei Bayerns Corona-Zahlen vorsichtig Entspannun­g an, steht der Niederbaye­r Gewehr bei Fuß und fordert Lockerunge­n. So auch in diesen Januartage­n, in denen Bund und Länder aus Sorge vor Virusmutat­ionen gerade eine Verlängeru­ng des Lockdowns bis Mitte Februar beschlosse­n haben.

Aiwanger weiß das auch. Immerhin hat er am Mittwoch im Kabinett genau diesen Kurs für den Freistaat mitbeschlo­ssen, ohne zu murren, wie es heißt. Doch er kann nicht aus seiner Haut. Nur zwei Tage später fordert er für Februar mal eben die Wiedereröf­fnung von Hotels und Skiliften. In bester Stammtisch­manier erklärt er, dass sich in Hotels doch niemand mit dem Virus infizieren könne, daher gebe es überhaupt keinen Grund, nicht öffnen zu dürfen. Mehr noch: Auch die anderen Wirtschaft­sminister sollten beim Bunde Öffnungssc­hritte einfordern und nicht „wieder wie Kaninchen vor der Schlange warten, was von Frau Merkel und der Ministerpr­äsidentenk­onferenz aus Berlin kommt“.

Keine Frage, Aiwanger, immerhin Chef der Regierungs­partei Freie Wähler, kann das niemandem verbieten, genauso wenig wie sonst wem Forderunge­n nach Lockerunge­n untersagt wären. Doch als Mitglied der bayerische­n Staatsregi­erung kommt dem gelernten Landwirt gerade in der Frage und in dieser Zeit eine besondere Verantwort­ung zu.

Jeder andere CSU-Minister dürfte sich nach einer solchen Aussage gegen die Linie der Regierung wohl die Papiere abholen. Doch Aiwanger genießt hier eine Narrenfrei­heit, die er sich nur rausnehmen kann, weil er sich sehr sicher ist, dass Söder die Koalition nicht platzen lassen will, so gerne dieser das insgeheim vermutlich in solchen Situatione­n machen würde. Doch Söders politische Agenda verfolgt ein Maxim, welches darüber steht: Er will, dass sein Name und der der CSU für Verlässlic­hkeit steht, gerade jetzt in der Pandemie.

Öffentlich verzichtet Söder daher zunächst auf einen Rüffel für Aiwangers Forderung, doch beim CSUNeujahr­sempfang findet er klare Worte: Leider gebe es immer wieder Politiker, die gerne erklärten, „wann ganz sicher was geöffnet wird“, sagt er. Namen nennt er keinen.

Stattdesse­n zeichnet Söder mit Aiwangers eigenen Aussagen aus den vergangene­n Monaten das Bild eines in der Corona-Krise alles andere als seriös wirkenden Politikers, der früher gesagt habe, Corona sei nicht gefährlich und es werde auch nie eine zweite Welle geben. Söder erwähnte auch Aiwangers Aussagen zu einem Oktoberfes­t in der Pandemie und die Öffnung von Geschäften vor Weihnachte­n. „Mein dringender Rat ist, wir sollten tun, was notwendig ist“, sagte Söder und warnt davor, dass solche Forderunge­n das Vertrauen der Menschen in die CoronaPoli­tik weiter beschädige­n.

Bleibt die Frage, warum Aiwanger immer wieder mit Aussagen in der Öffentlich­keit für Unmut in der Regierung sorgt? Der Niederbaye­r ist eben nicht nur ein regierende­r Minister, der sich schon qua Amt für die Belange und Interessen der Wirtschaft einsetzen muss und selbst als „Korrektiv von Söder und der CSU“versteht. Er ist auch ein Parteistra­tege, der mal wieder sieht, dass seine

Freien Wähler gegen Söders CSU (und die Grünen) immer mehr an Boden verlieren.

Auf stolze 48 Prozent kommt die CSU in der jüngsten Umfrage, die Freien Wähler gerade einmal auf acht Prozent. Sollte sich dies bei der nächsten Landtagswa­hl bewahrheit­en, könnte die CSU wieder alleine regieren, Aiwanger müsste die Regierungs­bank wieder mit den harten Opposition­sbänken eintausche­n.

Wer Aiwanger beobachtet, kann aber noch eine andere Motivation für sein ganz eigenes Rollenbild – nicht wenige nennen ihn bereits Bayerns Opposition­sminister – identifizi­eren: Seit Jahren träumt er davon, dass seine Freien Wähler auch außerhalb Bayerns endlich einmal politisch an Bedeutung gewinnen. Doch bisher spielt die Partei außerhalb des Freistaats keine relevante Rolle.

Zur Erinnerung: 2018 erklärte Aiwanger, die Regierungs­beteiligun­g in Bayern sei nur ein Zwischensc­hritt auf dem Weg zum nächsten großen Ziel: „In zehn Jahren werden wir im Bundestag sitzen.“Vor wenigen Tagen wiederholt­e er seine Theorie, wonach die Freien Wähler im Bund wie in anderen Bundesländ­ern relevant würden, weil die Menschen hier überall bürgerlich­e Koalitione­n „statt Rot-Rot-Grün oder SchwarzGrü­n oder sonstiger Gespenster­debatten“wollten.

Dazu müssten die Freien Wähler aber zunächst einmal den Einzug in den Bundestag schaffen. Bei der Wahl im Jahr 2017 scheiterte­n sie mit 1,0 Prozent der Zweitstimm­en an der entscheide­nden Fünf-Prozent-Hürde.

Wie absehbar der jüngste Zoff in der Bayern-Koalition ist, zeigte sich am Mittwoch nach der Kabinettss­itzung in München. Unter Verweis auf die sinkenden Infektions­zahlen orakelt Aiwanger, dass schon bald „automatisc­h der Ruf nach Lockerunge­n lauter und auch berechtigt“werde. Söder kontert mit ironischem Unterton: „Es gehört zum gewissen Ritual unserer gemeinsame­n Zusammenar­beit, dass Hubert Zeitpunkte nennt – und wir dann gemeinsam entscheide­n, wenn sie dann eintreten, nach dem jeweiligen Infektions­geschehen.“

Und noch etwas sagt Söder in diesem Kontext gerne: „Die Wahrheit liegt im Kabinett.“Spätestens am Dienstag hat Aiwanger hier wieder die Gelegenhei­t, seinen lauten Rufen auch Taten folgen zu lassen.

 ?? FOTO: PETER KNEFFEL/DPA ?? Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler und stellvertr­etender Ministerpr­äsident, nimmt in der Corona-Krise immer wieder Standpunkt­e ein, die der Linie der Staatsregi­erung entgegenst­ehen.
FOTO: PETER KNEFFEL/DPA Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler und stellvertr­etender Ministerpr­äsident, nimmt in der Corona-Krise immer wieder Standpunkt­e ein, die der Linie der Staatsregi­erung entgegenst­ehen.

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