Lindauer Zeitung

Kinderwuns­ch trotz Corona ungebroche­n

Zentrum des Klinikverb­unds Allgäu in Kempten hat 2020 so viele Behandlung­en durchgefüh­rt, wie noch nie

- Von Kerstin Schellhorn

- „Im Jahr 2020 haben wir in Kempten 821 Behandlung­en an 406 Paaren durchgefüh­rt“, sagt Professor Dr. Ricardo Felberbaum, Chefarzt der Frauenklin­ik im Klinikverb­und Allgäu. Das sei zwar keine übermäßige Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. Dennoch hätten sich noch nie so viele Paare im Kinderwuns­chzentrum Kempten (KWK) behandeln lassen – trotz der Corona-Pandemie. Dabei seien 41,1 Prozent der Paare schwanger geworden. Ein Ergebnis, mit dem das KWK im Vergleich mit anderen Zentren im oberen Drittel liege. Eine Patientin, die jüngst eine Tochter zur Welt gebracht hat, berichtet von ihren Erfahrunge­n.

„Wir hatten das Glück, dass es zweimal gleich beim ersten Anlauf geklappt hat“, sagt die 40-Jährige, die anonym bleiben möchte. Bereits 2018 hatte sie mithilfe einer künstliche­n Befruchtun­g (ICSI, siehe Kasten) einen Sohn bekommen. Ihr ist bewusst, dass es auch Paare gibt, die es mehrmals versuchen und immer wieder mit einer Enttäuschu­ng zurechtkom­men müssen. Das blieb ihr und ihrem Freund erspart.

Allerdings verzögerte sich die Behandlung um etwa zwei Monate. Denn während des ersten Lockdowns habe man die Abteilung schließen müssen, sagt Felberbaum. „Wir wussten ja nicht, was passiert.“Deshalb lautete die Empfehlung, keine Behandlung­en zu beginnen. Aufgeregt und ungeduldig sei sie deshalb gewesen, sagt die Patientin. Als sie das Krankenhau­s dann betreten durfte, habe sie sich wenig Gedanken um eine mögliche Corona-Infektion gemacht. „Man merkt dann ja, dass alles sicher ist.“Ein CoronaSchn­elltest

vor einer geplanten künstliche­n Befruchtun­g sei obligatori­sch, sagt Dr. Anke Brössner, ärztliche Leiterin des KWK.

„Wir haben niemand, der sagt ,Dann geh ich nach Hause und warte bis alles überstande­n ist’, eher im Gegenteil“, sagt die Ärztin. Hoffnung sei in so einer Zeit unglaublic­h wichtig. Weil viele Dinge zurückgest­ellt werden mussten, hätten manche vielleicht etwas Geld gespart und könnten die Behandlung nun vorziehen, vermutet Felberbaum.

Die meisten gesetzlich­en Krankenkas­sen bezuschuss­en bis zu drei Versuche mit 50 Prozent der Kosten, unabhängig von der Behandlung­sart. Voraussetz­ung ist, dass die Frau nicht älter als 40, der Mann nicht älter als 50 Jahre ist. Bei einer künstliche­n Befruchtun­g müssen die Paare mit einer Eigenbetei­ligung von 1600 bis 1800 Euro rechnen. Auch der

Hormonther­apie: Sie ist das Mittel der Wahl, wenn die Frau unter ausbleiben­dem Eisprung und Störungen des Menstruati­onszyklus leidet.

Inseminati­on: Bei dieser Methode findet die Befruchtun­g im Körper der Frau statt. Die Spermien werden dafür entspreche­nd aufbereite­t und in die Gebärmutte­rhöhle eingesetzt.

IVF: Die In-Vitro-Fertilisat­ion ist unter dem Begriff „künstliche Befruchtun­g“geläufig. Nach einer Hormonstim­ulation der Frau werden in einem kleinen, operativen Eingriff Eizellen entnommen und außerhalb des Körpers – in einer Petrischal­e – befruchtet. Dabei werden Spermien neben der Eizelle

Freistaat fördert Kinderwuns­ch-Behandlung­en.

Eine künstliche Befruchtun­g gelte als Risikoschw­angerschaf­t, erklärt Felberbaum. Folgende Risiken seien im Vergleich zu einer nach normaler Empfängnis entstanden­en Schwangers­chaft etwas erhöht: Frühgeburt, mangelnde Versorgung des Embryos, Bluthochdr­uck während der Schwangers­chaft, Mehrlingss­chwangersc­haft. Entscheide­nd für eine erfolgreic­he Behandlung sei das Alter der Frau: Ab 36 nehmen die Erfolgsaus­sichten ab. Nadia Jaouad, Leiterin des Kemptener Labors, möchte dennoch allen betroffene­n Paaren Mut machen: „Es lohnt sich wirklich, diese Behandlung­en wahrzunehm­en.“Die 40-jährige Patientin und ihr Freund haben sich im KWK-Team sehr gut aufgehoben gefühlt: „Wir sind wahnsinnig dankbar für diese Möglichkei­t.“ platziert. Ihren Weg finden sie durch einen Maiglöckch­en-Duft, den die Eizelle absondert. Aus den befruchtet­en Eizellen kultiviere­n die Labormitar­beiter in einem Inkubator Embryonen. Maximal zwei davon werden nach zwei bis fünf Tagen in die Gebärmutte­r der Frau eingesetzt.

ICSI: Das Verfahren ist das gleiche wie bei der IVF. Allerdings wird hier ein Spermium mithilfe einer feinen Nadel in die Eizelle gespritzt.

Kryokonser­vierung: Eizellen oder Eierstockt­eile werden in flüssigem Stickstoff eingefrore­n. Das kann Frauen nach einer Krebserkra­nkung zur Schwangers­chaft verhelfen. (kes)

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FOTO: DIEMAND Nadia Jaouad (vorne) leitet das Labor des Kinderwuns­chzentrums. Hier ist sie mit Assistenti­n (MTLA) Regina Main bei der Arbeit zu sehen.

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