„Wir helfen“unterstützt Unternehmen Chance
Weil Corona-Anträge kompliziert und zeitaufwendig sind, sorgen Spendengelder für März-Gehälter
- Claudia Mayer muss tief durchatmen. Denn die anhaltende Corona-Pandemie bereitet der Geschäftsführerin des Unternehmens Chance schlaflose Nächte: Weil das Gebrauchtwarenkaufhaus im zweiten Lockdown lange schließen musste, fehlt Umsatz und damit Geld für die Gehälter der Mitarbeiter. Zwar hofft Mayer auf Unterstützung aus einem speziellen Nothilfeprogramm. Doch der Antrag dafür muss seit Wochen immer wieder neue Hürden meistern. Damit die Beschäftigten wenigstens ihren Lohn für März erhalten, ist jetzt die Bürgeraktion Wir helfen eingesprungen.
19 Frauen und Männer sind beim Unternehmen Chance angestellt. Dazu gehören die Verantwortlichen für Schneiderei, Fahrradwerkstatt und Büro. Zudem Langzeitarbeitslose, die über das Jobcenter in das Beschäftigungsprojekt der gemeinnützigen Gesellschaft geschickt werden. Aber auch eine Reihe von Menschen, die aufgrund persönlicher Handicaps auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt keine Chancen hätten. Mayer ist auf jeden einzelnen von ihnen stolz. Das ist unüberhörbar.
Corona heißt fürs Unternehmen Chance wie für viele andere Firmen und Geschäfte auch: Kurzarbeit. Die vom Abfallentsorger ZAK, ihrem Arbeitgeber, abgestellte Geschäftsführerin musste einige ihrer Beschäftigten erst mal nach Hause schicken.
Für Menschen, die einen zuverlässig geregelten Alltag brauchen, sei das nur schwer auszuhalten, schildert Mayer im Gespräch mit der LZ. So hat sie seit Januar für den ein oder anderen immer wieder die Tür aufgeschlossen: Da wurden beispielsweise Möbel- und Hausratsspenden – „die ja trotz Lockdown kommen“– sortiert und hergerichtet, aber auch die Verkaufsräume gestrichen, umgeräumt und neu gestaltet.
Dennoch sorgt sich Mayer um ihr Personal. „Das Konzept der gGmbH basiert darauf, dass die Fixkosten und Gehälter aus den Einnahmen des Gebrauchtwarenkaufhauses finanziert werden“, schildert die Geschäftsführerin. Doch die sind mit dem Beginn des harten Lockdowns im Dezember weitgehend weggebrochen. Natürlich könne das ein oder andere Stück übers Internet oder den Online-Marktplatz des ZAK verkauft werden. Doch der Umsatz des Kaufhauses fehlt. Und zwar massiv.
Im Frühjahr 2020, im ersten Lockdown, hat Mayer Corona-Nothilfe für das Unternehmen Chance beantragt. Begründet habe man das mit dem Liquiditätsengpass. Das Problem: Jenes Hilfsprogramm legte eine Schließzeit von drei Monaten zugrunde. Das Kaufhaus durfte jedoch schon nach gut sechs Wochen wieder öffnen. Was im Klartext heißt: Ein Teil des Geldes muss zurückgezahlt werden. Das geht immerhin in Ratenzahlung. Im Herbst sah Mayer das Unternehmen Chance nach eigenen Worten dann wieder auf einem guten Weg – wäre nicht der zweite Lockdown gekommen.
Die Geschäftsführerin suchte nach einem Ausweg. Und findet ihn auch: „Es wurde ein Sonderprogramm speziell für solche sozialen Projekte wie unseres aufgelegt." Allerdings: „Die Hürden, aus diesem Fonds Geld zu erhalten, sind immens“, sagt Mayer: Der Steuerberater des Unternehmen Chance hat inzwischen den Antrag zum fünften Mal zurückerhalten. Wieder fehlen den zuständigen Stellen an der ein oder anderen Stelle Detailangaben. „Das ist ein nahezu unüberschaubarer Batzen an Bürokratie.“
Mit der Folge: Dem Unternehmen Chance geht das Geld aus. „Wir haben keine Reserven mehr.“So hätte Mayer ihren Beschäftigten im März keine Löhne mehr zahlen können.
Als die Verantwortlichen der LZBürgeraktion „Wir helfen“davon hören, ist schnell klar: Das sind Menschen aus Lindau und Umgebung, die hier unverschuldet in Not geraten. Das „Wir helfen“-Team hat deshalb beschlossen, mit einem Zuschuss aus dem Spendentopf dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter des Unternehmen Chance im März etwas Geld für Miete und Lebensunterhalt bekommen.
Claudia Mayer ist dafür sehr dankbar. Ihr ist aber auch klar: Die Struktur einer gemeinnützigen Gesellschaft, die in normalen Zeiten eine gute Lösung für das Unternehmen Chance ist, funktioniert in Notlagen wie jetzt der Corona-Pandemie nicht wirklich, wie sie auf Nachfrage der LZ sagt. Auf die Gesellschafter, darunter seit knapp zwei Jahren auch der ZAK, kommt die Frage zu, wie das 2006 ins Leben gerufene Unternehmen Chance sicher in die Zukunft geführt werden kann. Eine Gesellschafterversammlung ist für April angedacht – so sie mit Blick auf die sich verschärfende Corona-Pandemie stattfinden kann. Und Claudia Mayer drohen bis dahin weitere schlaflose Nächte: Ob das Unternehmen Chance einen drohenden dritten harten Lockdown übersteht, ist derzeit völlig offen.
„Das ist ein nahezu unüberschaubarer Batzen an Bürokratie.“
Claudia Mayer, Geschäftsführerin
des Unternehmen Chance