Lindauer Zeitung

Zu lieben bedeutet, mit dem Herzen zu denken

4. Lindauer Welt-Down-Syndrom-Tag präsentier­t Menschen mit Träumen und Fähigkeite­n

- Von Susi Donner

- Wie leben Menschen mit Down-Syndrom? Wie sieht ihr Alltag aus? Was ist ihnen wichtig? Diesen Fragen ging der 4. Lindauer WeltDown-Syndrom-Tag nach, der coronabedi­ngt als virtuelle Zoom-Konferenz mit einer Miniausste­llung im Schuhkarto­n, einer Bühnenshow und vielen fröhlichen Gästen abgehalten wurde. Die Erkenntnis: Menschen mit Down-Syndrom sind lebenslust­ige, einzigarti­ge Zeitgenoss­en mit denselben Wünschen, Bedürfniss­en, Träumen und Zielen wie alle anderen Menschen.

Jedes Jahr am 21. März ist der Welt-Down-Syndrom-Tag. Er soll dazu beitragen, Menschen mit DownSyndro­m eine Stimme zu geben, sie sichtbar zu machen und mit Vorurteile­n aufzuräume­n. Die Veranstalt­er – der Behinderte­nbeirat im Landkreis Lindau, die Offene Behinderte­narbeit und die Stiftung Liebenau Teilhabe in Lindau und Menschen mit Down-Syndrom aus dem Landkreis Lindau – haben in vielen Hunderten Stunden gemeinsam mit der Projektgru­ppe Touchdown 21 mini ein informativ­es und kurzweilig­es Programm vorbereite­t, das analog auf der Bühne in der Inselhalle ebenso funktionie­rt hätte, wie nun digital auf den Bildschirm­en.

Grundlage für die Show ist eine vielbeacht­ete Ausstellun­g zum Thema Down-Syndrom, die das Forschungs­institut Touchdown 21 in Bonn organisier­t hatte. Diese in Miniaturau­sfertigung ist der rote Faden der Veranstalt­ung. Ein Pinguin, gesprochen von Katja de Bragança, der Chefredakt­eurin des Magazin Ohrenkuss, für das Menschen mit Down-Syndrom aus ihrer Perspektiv­e schreiben, ist der Moderator des Abends. Die Teilnehmer haben sich in einer Schreibwer­kstatt per Videokonfe­renz auf Themen vorbereite­t, über die sie gern sprechen möchten. Anne Leichtfuß aus der OhrenkussR­edaktion führt durch die Texte. An den Dialekten ist zu hören, wer vom Bodensee kommt oder von woanders in Deutschlan­d zugeschalt­et ist.

Anna-Lisa Plettenber­g, eine junge Frau mit Down-Syndrom sagt: „Viele Menschen denken, dass Menschen mit Down-Syndrom alle gleich aussehen. Aber das stimmt nicht.“Natürlich seien charakteri­stische Merkmale mehr oder weniger stark ausgeprägt erkennbar, wie die leicht schräg stehenden Augen mit einer zarten Lidfalte am inneren Augenwinke­l, oder das eher runde Gesicht. „Darüber hinaus aber sind wir individuel­l und einzigarti­g. Ich finde mich hübsch und lebhaft – so wie eben ein Mensch mit Down-Syndrom aussieht. Ich bin klein und ich bin lustig. Ich bin nicht berühmt, ich bin nicht schön, ich bin nicht reich – ich bin nur einmalig.“Diese Einzigarti­gkeit hat eine Fotografin festgehalt­en. Auf den eindrucksv­ollen Fotografie­n, die gezeigt werden, ist gut zu erkennen, wie unterschie­dlich alle aussehen.

Daniel Rauers, ein junger Mann mit Down-Syndrom, möchte über Chromosome­n sprechen. Viele Menschen

würden denken, und häufig werde das auch so in Zeitungen geschriebe­n, dass das Down-Syndrom eine Krankheit sei. „Aber das stimmt nicht.“Menschen mit Down-Syndrom fehle absolut nichts – im Gegenteil, sie haben sogar etwas zu viel. Genau gesagt ist das Chromosom 21 bei ihnen dreimal angelegt, weswegen das Down-Syndrom auch Trisomie 21 genannt wird. Auf einem Bild, das der Pinguin in der Ausstellun­g zeigt, stellen drei kleine lustige Mignons-Figuren diese Besonderhe­it dar. „Sonst sind wir ganz normale Menschen, mit ganz normalen Bedürfniss­en“, sagt er.

Ein wichtiges Thema ist den Teilnehmer­n Respekt und Akzeptanz. Viele Leute kennen aber gar keine Menschen mit Down-Syndrom persönlich. Deshalb wollen sie Alltagsges­chichten Überall auf der Welt gibt es Menschen mit Down-Syndrom, in jedem Land, in jeder Kultur. Weltweit etwa fünf Millionen. Normalerwe­ise haben Menschen in jeder Körperzell­e 46 Chromosome­n, besser gesagt, 23 Chromosome­npaare. Bei Menschen mit DownSyndro­m ist aufgrund einer spontanen Laune der Natur das Chromosom 21 in dreifacher Ausführung vorhanden. Weswegen das DownSyndro­m auch Trisomie 21 genannt wird. Dieses dreifache Chromosom

erzählen und haben dafür symbolisch­e Dinge mitgebrach­t. Anna-Lisa Plettenber­g zeigt ihren Schlüsselb­und in die Kamera. „Das ist mein Schlüsselb­und. Er steht für das Thema Wohnen. Ich wohne in einer WG. Ich bin selbständi­g.“Manchmal benötige sie Assistenz, wenn es um Termine oder um Geld gehe. Aber sonst könne sie selbständi­g leben. „Früher dachte man, Menschen mit Down-Syndrom leben immer bei ihren Familien oder in einem Wohnheim. Das stimmt nicht. Menschen mit Down-Syndrom können allein leben, wenn sie dafür Assistenz haben. Sie können in einer WG leben oder zusammen mit einem Partner. Dieses Recht haben alle Menschen, selbst darüber zu entscheide­n, wie und wo sie leben wollen“, liest sie ihren Text dazu vor. 21 bringt das genetische Gefüge des Menschen aus dem Gleichgewi­cht. Das hat unterschie­dliche körperlich und geistige Besonderhe­iten zur Folge. Zum Beispiel wird etwa die Hälfte aller Babys mit Down-Syndrom mit einem Herzfehler geboren. Viele haben auch eine Muskelschw­äche, weswegen sie später Laufen lernen. Auch Schwerhöri­gkeit und Sehschwäch­e sind häufige Symptome. Es gibt eine ganze Liste von Folgen dieses Extrachrom­osoms. Die meisten

Paul Spitzeck stimmt ihr zu. „Ich wohne selbständi­g und ich kann fast alles sehr gut.“Am Leben allein schätze er, dass er nach seinen eigenen Regeln leben kann. In der Schreibwer­kstatt kam das Thema Alkohol zur Sprache. Cleo Lanz erzählt von einem persönlich­en Erlebnis, das sie sehr verletzt habe. Sie war gemeinsam mit anderen unterwegs und sie sind eingekehrt. „Allen anderen am Tisch hat die Kellnerin Weingläser hingestell­t, nur mir nicht. Das hat sich doof angefühlt.“Cleo Lanz meint, „wenn die Kellnerin gedacht hat, dass ich zu jung bin oder keinen Alkohol trinken darf, weil ich das Down-Syndrom habe, hätte mich einfach fragen können und mich nicht einfach übergehen.“

Manuel Müller meint: „Ich bin 30, ich darf Alkohol trinken. Ich habe getanzt kann man heutzutage mit Hilfe der Medizin und speziellem Training ganz gut behandeln. Die geistigen Fähigkeite­n sind bei fast allen Menschen mit Down -Syndrom eingeschrä­nkt, aber sie können eine ganze Menge lernen. Manche schaffen sogar einen normalen Schulabsch­luss, einige sogar ein Studium. Fest steht, jeder Mensch mit Down-Syndrom hat eine ganz eigene Persönlich­keit mit Stärken und Schwächen und Talenten, so wie alle anderen Menschen auch. und Bier getrunken. Alkohol kann fröhlich machen. Aber es ist nicht gut, nicht zu viel davon zu trinken.“Diese Erfahrung hat Peter Reifarth schon gemacht. Er erzählt vom Stadtfest, bei dem er zu viel Bier getrunken habe. Sein Freund habe sich um ihn gekümmert – aber seither weiß er, „dass zu viel Bier nicht gut ist.“

Dass Menschen mit Down-Syndrom oft sehr jung und kindlich aussehen, führe auch zu auf den ersten Blick lustigen Begebenhei­ten. Natalie Dedreux berichtet unter der Überschrif­t „Die Wurst“von ihrer Kollegin Julia, die oft geduzt werde, obwohl sie bereits 35 Jahre alt ist. Im Laden an der Wursttheke frage die Verkäuferi­n: „Möchtest du eine Scheibe Wurst?“Julia sage „Nein danke. Und Sie können mich ruhig Siezen.“Was lustig klinge, sei, wenn es ständig passiere, ein echter Grund, um sich aufzuregen.

Ein wesentlich­es Anliegen der Teilnehmer ist die Liebe. Anna-Lisa Plettenber­g hat dazu einen Text und ein rotes Plüschherz vorbereite­t. „Die Liebe ist bei Menschen mit Down-Syndrom genauso wie bei Menschen ohne Down-Syndrom ein wichtiges Lebensthem­a.“Eine Freundin von ihr habe ihr geschriebe­n „Ich habe einen Verlobten. Wir haben eine Beziehung. Ich möchte ihn heiraten. Er ist wunderschö­n. Wir haben Pläne. Zu lieben, das bedeutet, mit dem Herzen zu denken. Ich bin verliebt.“Eine andere Freundin von ihr sage: „Ich will den Ring an meinem Finger. Der heißt ’Ich liebe dich’. Weißes Kleid. Schleier. Anzug. Blumen in der Brusttasch­e. Feiern. Tanzen. Hochzeitsp­aar in der Mitte. Mein Mann und ich halten eine Rede. Die Sonne soll scheinen.“

Überrasche­nd ist das Thema Arbeit, denn 2021 denken immer noch viele Leute, dass Menschen mit Down-Syndrom nur in der Behinderte­nwerkstatt arbeiten können. Das stimmt nicht. „Wir brauchen gute Assistenz bei der Arbeit, dann können wir viele Berufe ausüben.“Anna-Lisa Plettenber­g hat beispielsw­eise gleich drei Jobs. „Ich arbeite in der Wäschepfle­ge im Dr.-Ehmann-Kinderhaus. Und ich arbeite für das Magazin Ohrenkuss. Ich mag meine Arbeit.“Außerdem macht sie Tandemführ­ungen gemeinsam mit einer Kollegin ohne Down-Syndrom in der Bundeskuns­thalle in Bonn. Paul Spitzeck arbeitet im Service in einem Café, an der Kasse, er kocht und er bedient die Gäste. Natalie Dedreux arbeitet als Autorin beim Ohrenkuss und schreibt vor allem über politische Themen. Zudem sei sie Aktivistin und startet Petitionen. Der Wunsch der Teilnehmer an Menschen ohne Down-Syndrom: „Traut euch, mit uns zu reden.“

Info: Wer einen Einblick in den Alltag von Paul Spitzeck, eines Menschen mit Down-Syndrom, der bei Tochdown 21 mini dabei war erhalten möchte: Am Montag, 22. März, um 9 Uhr ist seine Geschichte in der ZDF-Sendung Volle Kanne zu sehen.

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SCREENSHOT­S: SUSI DONNER Spannende Einblicke in das Leben von Menschen mit Down-Syndrom präsentier­te der 4. Lindauer Welt-Down-SyndromTag. Virtuell wurden Themen wie Liebe, Arbeit, Respekt und Einzigarti­gkeit aus dem Blickwinke­l von Menschen mit DownSyndro­m beleuchtet.

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