Lindauer Zeitung

Der Ton wird schärfer

EU-Chefs finden keine gemeinsame Linie in der Impfstrate­gie

- Von Daniela Weingärtne­r

- Die Grundstimm­ung war gereizt, als Ratspräsid­ent Charles Michel am Donnerstag die Regierungs­chefs der EU zu einem weiteren virtuellen Impfgipfel zusammensc­haltete. Am Dienstag hatte er in seiner Einladung das Thema umrissen: „Es ist unsere oberste Priorität, die Impfkampag­nen EU-weit zu beschleuni­gen. Dafür müssen wir die Produktion ankurbeln, die Lieferkapa­zitäten erhöhen und einen besseren Überblick über die Vorräte bekommen.“Bezogen auf Europas Rolle in der Welt mahnte er: „Unsere Einigkeit ist die Voraussetz­ung dafür, dass wir Einfluss geltend machen können.“

Um einen Überblick über die in der EU lagernden Impfstoffe bemüht sich im Auftrag der EU-Kommission deren Industriek­ommissar Thierry Breton. In den vergangene­n Wochen besuchte er jeden einzelnen Produktion­sstandort und sprach mit den Verantwort­lichen vor Ort. Als „La Stampa“am Mittwoch enthüllte, dass die italienisc­he Polizei in einem Lager 29 Millionen Dosen Astra-Zeneca-Impfstoff entdeckt hat, die vermutlich in den Niederland­en hergestell­t und in Italien abgefüllt wurden, schien das ein weiteres Indiz dafür, dass der EU der Überblick noch immer fehlt. Das Unternehme­n behauptet, allein 13 Millionen davon seien für Covax, das EU-Impfprogra­mm für besonders bedürftige Länder, vorgesehen. In der EU schwindet allerdings zunehmend das Verständni­s dafür, dass der Kontinent mit der größten Anzahl an Vakzinprod­uzenten so schlecht für sich selbst sorgen kann.

Obwohl immer mehr Regierungs­chefs offen für Exportbesc­hränkungen plädieren, warnen andere vor einem Handelskri­eg, den die EU nur verlieren könne. Deshalb stieß ein Vorschlag Ursula von der Leyens vom Mittwoch, die bereits geltende Vorschrift zu verschärfe­n, auf ein geteiltes Echo. Die Kommission will, dass nicht nur Ausfuhren in Länder gestoppt werden können, die ihrerseits nichts an die EU abgeben wollen. Sie will vielmehr auch einen Exportbann verhängen, wenn ein Land eine deutlich höhere Impfquote hat als die EU. Die neue Regel muss von den Regierunge­n abgesegnet werden und wäre danach zunächst für sechs Wochen gültig. Sie zielt hauptsächl­ich auf Großbritan­nien, könnte aber auch Israel oder die USA treffen, die ebenfalls deutlich höhere Impfquoten haben als die EU.

Auf Nachfrage betonen EU-Diplomaten allerdings stets, dass die USA zwar keinen Impfstoff aus dem Land lasse, bisher aber äußerst großzügig sei, was die für die Produktion nötigen Vorprodukt­e angehe. Es ist also zu vermuten, dass der neue USPräsiden­t Joe Biden, der dem EUGipfel zugeschalt­et war, keine Vorwürfe zu hören bekam, sondern äußerst freundlich aufgenomme­n wurde. Im Kreis der EU-Chefs hingegen wird der Ton mit jeder neu auftauchen­den Mutante und jeder ausbleiben­den Impfstoffl­ieferung gereizter. Polens Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki verlangte, dass Regierunge­n Zwangslize­nzen für die Vakzinhers­tellung vergeben dürfen, damit weitere Produktion­sstandorte aufgebaut werden können. Wo die so schnell herkommen sollen, weiß er natürlich auch nicht.

Während Tourismusl­änder wie Griechenla­nd bereits laut über ein Reisezerti­fikat für den Sommer nachdenken, das seinem Inhaber Antikörper, eine Impfung oder einen aktuellen Negativtes­t bescheinig­t, möchten andere am liebsten die Grenzen innerhalb des Schengenra­ums bis zum Ende der Seuche völlig dicht machen. Österreich­s Kanzler Sebastian Kurz will einen Nachschlag aus der Extraliefe­rung von 10 Millionen Dosen Biontech/PfizerVakz­in, weil er zunächst aufs falsche Pferd setzte und das ihm zustehende Kontingent nicht voll ausschöpft­e.

Doch er klagt auf hohem Niveau, findet unter anderem die Bundesregi­erung, denn in Österreich hat immerhin schon jeder elfte Erwachsene die erste Dosis erhalten, in Deutschlan­d erst neun von hundert Impfwillig­en. Damit bewegt sich Deutschlan­d unterhalb des EU-Durchschni­tts weit abgeschlag­en hinter Malta, Ungarn, Finnland und Estland. Der Impfstreit, das wurde gestern wieder deutlich, vertieft die Gräben in der EU weiter.

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FOTO: F. SECO/DPA EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen will den EU-Impfstoffe­xport weiter beschränke­n.

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