„Habe keine Angst vor einer Verletzung“
Martin Hiemer bewirtschaftet einen Demeter-Hof mit 50 horntragenden Milchkühen
- Die hornlose „Rihanna“, Bayerns schönste Braunviehkuh aus dem Stall der Familie Müller im Ostallgäuer Oberostendorf, hat einen alten Glaubensstreit wieder angefacht: Ist es artgerecht, Rinder ohne Hörner zu halten? Denn etwa 90 Prozent der Milchkühe im Allgäu haben keinen „Kopfschmuck“mehr. Die 50 Tiere von Martin Hiemer in Haldenwang (Oberallgäu) tragen dagegen Hörner – auch Stier „Erwin“. Wir haben uns auf dem Hof des 33-jährigen Landwirts umgeschaut.
Eines vorneweg: Hiemer ist kein Horn-Fanatiker. Wenn ein Bauer Tiere ohne Hörner hält, sei das okay: „Da will ich wirklich niemand verurteilen.“Er selbst kennt von klein auf zu Hause aber nur Kühe mit Hörnern. Das sei schon bei seinem Vater und beim Großvater so gewesen. Deshalb war es für ihn nie eine Überlegung, das zu ändern.
Überzeugt ist die Familie von der biologischen Landwirtschaft. Seit 1989 ist der Hiemer-Hof ein Demeter-Betrieb. Die Vorgaben des Demeter-Verbandes sind noch um einiges strenger als die von anderen Bio-Siegeln. Unter anderem schreibt Demeter vor: „Kein schmerzhaftes Enthornen der Kühe und keine Haltung hornlos gezüchteter Kühe.“
Und so bewegen sich die 15 Jahre alte „Lore“und die achtjährige „Fifa“sowie Dutzende weiterer Kühe mit ihren Hörnern in Hiemers Laufstall. Mittendrin der Landwirt selbst. Er habe keine Angst vor einer Verletzung, versichert der 33-Jährige.
Natürlich müsse er etwas mehr aufpassen, als wenn er sich unter hornlosen Tieren bewegen würde. Aber: „Ich habe noch nie eine nennenswerte Hirnverletzung gehabt.“Auch Hiemers Freundin Martina Kerler läuft ohne Furcht, aber mit Respekt durch den Stall. „Ich gehe sogar zum Stier rein“, sagt die 28-Jährige. Sie weiß Situationen einzuschätzen, in denen man manchmal vorsichtig sein muss.
Die Verletzungsgefahr für die Bauern durch die Hörner wird immer als einer der Hauptgründe angegeben, warum so viele Landwirte nur hornlose Tiere halten. Wenn es zu Unfällen komme, liege das meist daran, dass bei Tieren Unsicherheit und Angst aufkomme, und auch weil es zu wenig Platz für die Tiere gebe, sagt Diplom-Agrar-Ingenieur Ulrich
Bioverband: Der eingetragene Verein Demeter ist der älteste Bioverband in Deutschland. Schon seit 1924 bewirtschaften DemeterLandwirte ihre Felder biodynamisch. Aufgrund der lebendigen Kreislaufwirtschaft gilt die Demeter-Landwirtschaft als nachhaltigste Form der Landbewirtschaftung und geht weit über die Vorgaben der Öko-Verordnung der Europäischen Union (EU) hinaus. Zahlen: In Deutschland wirtschaften etwa 1700 Landwirte mit rund 93 000 Hektar Fläche biologischdynamisch. Zu Demeter gehören zudem etwa 320 Demeter-Hersteller
Mück, regional zuständiger Fachberater bei Demeter.
Und weiter: „Die ab den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts gebauten Laufställe entsprachen nicht den artspezifischen Bedürfnissen der Tiere.“Die Enthornung sei deshalb über Jahrzehnte die Standardempfehlung der landwirtschaftlichen Beratung für die Haltung in Laufställen gewesen. „Zuvor war die Haltung horntragender Rinder ein bedeutender Teil der gemeinsamen Kulturgeschichte von Rind und Mensch. Hörner sind zoologisch arteigene Organe des Hornträgers Rind“, erklärt Mück.
Wenn die Haltung von Kühen mit Hörnern ohne gravierende Probleme funktionieren soll, braucht es also im Laufstall mehr Platz. Das verursacht natürlich höhere Baukosten – ein
und knapp 100 Hofverarbeiter sowie 140 Vertragspartner aus dem Naturkost- und Reformwaren-Großhandel.
Informationen: Für interessierte Landwirte und Verbraucher gibt es Informationen zur Haltung und Erhaltung von horntragenden Kühen – unter anderem wissenschaftliche Arbeiten, Praxiserfahrungen, „Werkzeugkasten für die Haltung von horntragenden Milchkühen“, Züchternetzwerk aber auch Verbraucherinformationen und Verkaufsstellen. Diese sind auf der Internetseite www.hornkuh.de zu finden. (az) weiterer Grund, warum viele Bauern lieber hornlose Tiere halten.
Ein „ungünstiges Herdenmanagement, zu wenig Platz an den Futterstellen und im Wartebereich vor dem Melkstand“zählen denn auch laut Mück zu den häufigsten Ursachen, wenn es zu Verletzungen unter den Tieren komme. „Es gibt schon mal Kratzer im Fell, wenn die Herde die Hierarchie neu regelt“, bezieht Landwirt Martin Hiemer zu diesen Fällen Stellung.
Aber er hat schwenkbare Absperrgitter eingebaut, um ein unruhiges oder zeitweise aggressives Tier kurzfristig in einen separaten Bereich zu führen. Durch so ein Gitter kann im Laufstall zum Beispiel auch eine Kuh, die „rindert“– also ihre fruchtbaren Tage hat – abgesondert von der Herde mit einem Stier zusammengeführt werden.
Und ist die Milch von Hornkühen nun gesünder als die von hornlosen Artgenossinnen? Die Wissenschaft liefert darüber keine einheitlichen Erkenntnisse. Das räumt auch Demeter ein. Auf der Homepage des Verbandes steht: „Die Milchqualität wird von vielen Faktoren und ganz besonders von der Fütterung beeinflusst. Derzeit gibt es keinen wissenschaftlich anerkannten Beweis zum Einfluss der Hörner auf die Milchqualität.“
Dennoch kommen zu seinem Hof, sagt Hiemer, Leute, die eine Laktoseunverträglichkeit haben, aber mit der Hiemer-Milch bessere Erfahrungen gemacht hätten, als mit der Milch von hornlosen Kühen. Wobei wir wieder bei einer Glaubensfrage wären.