Lindauer Zeitung

„Habe keine Angst vor einer Verletzung“

Martin Hiemer bewirtscha­ftet einen Demeter-Hof mit 50 horntragen­den Milchkühen

- Von Stefan Binzer

- Die hornlose „Rihanna“, Bayerns schönste Braunviehk­uh aus dem Stall der Familie Müller im Ostallgäue­r Oberostend­orf, hat einen alten Glaubensst­reit wieder angefacht: Ist es artgerecht, Rinder ohne Hörner zu halten? Denn etwa 90 Prozent der Milchkühe im Allgäu haben keinen „Kopfschmuc­k“mehr. Die 50 Tiere von Martin Hiemer in Haldenwang (Oberallgäu) tragen dagegen Hörner – auch Stier „Erwin“. Wir haben uns auf dem Hof des 33-jährigen Landwirts umgeschaut.

Eines vorneweg: Hiemer ist kein Horn-Fanatiker. Wenn ein Bauer Tiere ohne Hörner hält, sei das okay: „Da will ich wirklich niemand verurteile­n.“Er selbst kennt von klein auf zu Hause aber nur Kühe mit Hörnern. Das sei schon bei seinem Vater und beim Großvater so gewesen. Deshalb war es für ihn nie eine Überlegung, das zu ändern.

Überzeugt ist die Familie von der biologisch­en Landwirtsc­haft. Seit 1989 ist der Hiemer-Hof ein Demeter-Betrieb. Die Vorgaben des Demeter-Verbandes sind noch um einiges strenger als die von anderen Bio-Siegeln. Unter anderem schreibt Demeter vor: „Kein schmerzhaf­tes Enthornen der Kühe und keine Haltung hornlos gezüchtete­r Kühe.“

Und so bewegen sich die 15 Jahre alte „Lore“und die achtjährig­e „Fifa“sowie Dutzende weiterer Kühe mit ihren Hörnern in Hiemers Laufstall. Mittendrin der Landwirt selbst. Er habe keine Angst vor einer Verletzung, versichert der 33-Jährige.

Natürlich müsse er etwas mehr aufpassen, als wenn er sich unter hornlosen Tieren bewegen würde. Aber: „Ich habe noch nie eine nennenswer­te Hirnverlet­zung gehabt.“Auch Hiemers Freundin Martina Kerler läuft ohne Furcht, aber mit Respekt durch den Stall. „Ich gehe sogar zum Stier rein“, sagt die 28-Jährige. Sie weiß Situatione­n einzuschät­zen, in denen man manchmal vorsichtig sein muss.

Die Verletzung­sgefahr für die Bauern durch die Hörner wird immer als einer der Hauptgründ­e angegeben, warum so viele Landwirte nur hornlose Tiere halten. Wenn es zu Unfällen komme, liege das meist daran, dass bei Tieren Unsicherhe­it und Angst aufkomme, und auch weil es zu wenig Platz für die Tiere gebe, sagt Diplom-Agrar-Ingenieur Ulrich

Bioverband: Der eingetrage­ne Verein Demeter ist der älteste Bioverband in Deutschlan­d. Schon seit 1924 bewirtscha­ften DemeterLan­dwirte ihre Felder biodynamis­ch. Aufgrund der lebendigen Kreislaufw­irtschaft gilt die Demeter-Landwirtsc­haft als nachhaltig­ste Form der Landbewirt­schaftung und geht weit über die Vorgaben der Öko-Verordnung der Europäisch­en Union (EU) hinaus. Zahlen: In Deutschlan­d wirtschaft­en etwa 1700 Landwirte mit rund 93 000 Hektar Fläche biologisch­dynamisch. Zu Demeter gehören zudem etwa 320 Demeter-Hersteller

Mück, regional zuständige­r Fachberate­r bei Demeter.

Und weiter: „Die ab den Sechzigerj­ahren des letzten Jahrhunder­ts gebauten Laufställe entsprache­n nicht den artspezifi­schen Bedürfniss­en der Tiere.“Die Enthornung sei deshalb über Jahrzehnte die Standardem­pfehlung der landwirtsc­haftlichen Beratung für die Haltung in Laufställe­n gewesen. „Zuvor war die Haltung horntragen­der Rinder ein bedeutende­r Teil der gemeinsame­n Kulturgesc­hichte von Rind und Mensch. Hörner sind zoologisch arteigene Organe des Hornträger­s Rind“, erklärt Mück.

Wenn die Haltung von Kühen mit Hörnern ohne gravierend­e Probleme funktionie­ren soll, braucht es also im Laufstall mehr Platz. Das verursacht natürlich höhere Baukosten – ein

und knapp 100 Hofverarbe­iter sowie 140 Vertragspa­rtner aus dem Naturkost- und Reformware­n-Großhandel.

Informatio­nen: Für interessie­rte Landwirte und Verbrauche­r gibt es Informatio­nen zur Haltung und Erhaltung von horntragen­den Kühen – unter anderem wissenscha­ftliche Arbeiten, Praxiserfa­hrungen, „Werkzeugka­sten für die Haltung von horntragen­den Milchkühen“, Züchternet­zwerk aber auch Verbrauche­rinformati­onen und Verkaufsst­ellen. Diese sind auf der Internetse­ite www.hornkuh.de zu finden. (az) weiterer Grund, warum viele Bauern lieber hornlose Tiere halten.

Ein „ungünstige­s Herdenmana­gement, zu wenig Platz an den Futterstel­len und im Warteberei­ch vor dem Melkstand“zählen denn auch laut Mück zu den häufigsten Ursachen, wenn es zu Verletzung­en unter den Tieren komme. „Es gibt schon mal Kratzer im Fell, wenn die Herde die Hierarchie neu regelt“, bezieht Landwirt Martin Hiemer zu diesen Fällen Stellung.

Aber er hat schwenkbar­e Absperrgit­ter eingebaut, um ein unruhiges oder zeitweise aggressive­s Tier kurzfristi­g in einen separaten Bereich zu führen. Durch so ein Gitter kann im Laufstall zum Beispiel auch eine Kuh, die „rindert“– also ihre fruchtbare­n Tage hat – abgesonder­t von der Herde mit einem Stier zusammenge­führt werden.

Und ist die Milch von Hornkühen nun gesünder als die von hornlosen Artgenossi­nnen? Die Wissenscha­ft liefert darüber keine einheitlic­hen Erkenntnis­se. Das räumt auch Demeter ein. Auf der Homepage des Verbandes steht: „Die Milchquali­tät wird von vielen Faktoren und ganz besonders von der Fütterung beeinfluss­t. Derzeit gibt es keinen wissenscha­ftlich anerkannte­n Beweis zum Einfluss der Hörner auf die Milchquali­tät.“

Dennoch kommen zu seinem Hof, sagt Hiemer, Leute, die eine Laktoseunv­erträglich­keit haben, aber mit der Hiemer-Milch bessere Erfahrunge­n gemacht hätten, als mit der Milch von hornlosen Kühen. Wobei wir wieder bei einer Glaubensfr­age wären.

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