Lindauer Zeitung

Nur die Mädels sind etwas wert

Milch ist bei den Verbrauche­rn beliebt, Rindfleisc­h ein Ladenhüter

- Von Sibylle Mettler

- Mit den Mädels lässt sich gut Geld verdienen – doch die Jungs sind fast nichts wert. So ergeht es den Oberallgäu­er Milchviehb­etrieben derzeit mit ihren Rindern. Die Öko-Modellregi­on Oberallgäu­Kempten will nun zusammen mit Fachinstit­utionen und Verbänden dafür sorgen, dass sich die männlichen Rinder im Oberallgäu emanzipier­en – und Verbrauche­r regionales Fleisch auf ihrem Teller mehr schätzen. In einem Pilotproje­kt wirbt die Öko-Modellregi­on jetzt auf einer neuen Online-Plattform: „Milch und Fleisch gehören zusammen.“Denn derzeit schätzen die Verbrauche­r zwar die

Milch im Cappuccino und Allgäuer Käse, nicht aber den Rinderbrat­en auf ihrem Teller, bemängeln die Organisato­ren des Projekts.

Sarah Diem und Cornelia Bögel von der Öko-Modellregi­on Oberallgäu-Kempten erklären, was auf der Hand liegt: Dort, wo Milch gemolken wird, werden natürlich auch männliche Kälber geboren. Sie würden derzeit überwiegen­d in darauf spezialisi­erte konvention­elle Mastbetrie­be nach Norddeutsc­hland oder Nordrhein-Westfalen verkauft, weil die Aufzucht den Allgäuer Landwirten zu teuer käme, erklärt Beate Reisacher, Mitarbeite­rin der Öko-Modellregi­on und Milchbäuer­in. Man „verscherbl­e“sie für Preise zwischen fünf und 70

Euro. Hinzu komme, dass Verbrauche­r zwar Milch konsumiere­n, aber ein Problem mit dem Töten von Tieren hätten. Für Kemptens Oberbürger­meister Thomas Kiechle ist die Vermarktun­gssituatio­n für Kälber ein „Skandal“. Es sei wichtig, der zunehmende­n Entfremdun­g von Erzeugern und Verbrauche­rn entgegenzu­wirken. „Alle unsere guten Milchprodu­kte kommen nur zustande, wenn man auch das Fleisch vermarkten kann“, sagt Kiechle. Der stellvertr­etende Oberallgäu­er Landrat Roman Haug betont, dass es nicht darum gehe, mehr Fleisch zu essen, „sondern verantwort­ungsbewuss­ter einzukaufe­n“.

Dabei ist das Fleisch von Weiderinde­rn laut Reisacher wesentlich gesünder als das von anderen Tieren. Ziel der Ökoregion sei es, die Stärke des Allgäus – das Grünland – zu nutzen und eine regionale Weidemast zu etablieren. Um das zu erreichen, seien die Initiatore­n mit dem regionalen Lebensmitt­elhandel im Gespräch. Auch ein „großer Händler“sei seit einem halben Jahr an dem Thema dran. Über die neue Online-Plattform werden laut Reisacher Tiere aus Weidehaltu­ng von Milchviehb­etrieben vermarktet. Sie könnten sowohl aus ökologisch­er als auch aus konvention­eller Aufzucht stammen. Der Öko-Modellregi­on gehe es um Vernetzung der Landwirtsc­haft – und um die Bewusstsei­nsbildung, dass Milch und Fleisch untrennbar zusammenge­hören.

Für die Milchwirts­chaft sind nur die weiblichen Rinder interessan­t. Damit auch die männlichen Tiere verwertet werden, müsse man pro Liter Milch 25 bis 30 Gramm Fleisch essen, rechnet Ulrich Mück vom Bio-Verband Demeter.

Nur die „Edelteile“des geschlacht­eten Rindes seien bei den Kunden beliebt , schildert Christoph Eisele, der im Einkauf eines NaturkostE­inzelhändl­ers in Kempten arbeitet. Gefragt sei vor allem Roastbeef. Die Verbrauche­r seien nicht mehr bereit, sich „lange in die

Küche zu stellen und das Fleisch zu verarbeite­n“.

Derzeit landen laut Mück lediglich 30 bis 40 Prozent des Lebensgewi­chts eines Schlachtti­eres beim Konsumente­n . Der Rest würde zu Hundefutte­r oder anderen Produkten verarbeite­t.

Ulrich Mück fordert, Rinderzung­e oder Lüngerl als regionale Spezialitä­t wiederzuen­tdecken . Es gelte, das ganze Tier zu vermarkten:

„von der Schnauze bis zum Schwanz“. (bil)

Newspapers in German

Newspapers from Germany