Lindauer Obstbauern brennen fürs Brennen
Auch in Zeiten des Wandels bleiben die Brennereien wichtig für die Höfe, die Natur und die Menschen
- Mispelbrand, Kräutergeist, Kirschwasser, Haselnusslikör oder seit neuestem auch Gin und Whisky – die Palette der Brände, Geiste, Liköre und Spirituosen ist längst ebenso vielfältig, wie es die Zahl an Brennern im Landkreis Lindau seit jeher war. Kein Wunder. Ist doch das Brennen von Alkohol und hochprozentigen Produkten ein nicht zu verachtender Wirtschaftsfaktor für die Obstbauern und Landwirte am See wie auch im oberen Landkreis. Doch nicht nur für sie. Auch für die Gesellschaft, den Tourismus und die Landschaft spielen die Brenner eine wesentliche Rolle.
„Das Brennen ist für die Bauern immer noch sehr wichtig“, versichert Conni Gierer und erklärt, dass sich der Stellenwert dieses uralten Traditionshandwerks für die landwirtschaftlichen Betriebe schon allein an der Zahl der Brenner ablesen lässt. Mehr als 400 Brennereien sind es im Landkreis Lindau, die mit einem jeweiligen Kontingent von 300 Litern pro Jahr insgesamt rund 100 000 Liter Alkohol produzieren. „Das ist schon eine ordentliche Menge“, findet die Schriftführerin des Kleinbrennerverbands Lindau, unter dessen Dach die Brenner organisiert sind. Es brennen aber nicht nur die Obstbauern, auch Viehbauern haben Brennrechte. Und wer diese Brennrechte selbst nicht voll ausschöpft, der verpachtet sie.
Das Brennen hat lange Tradition. Seit 1887 existiert das sogenannte Abfindungsbrennrecht, das es vor allem in Bayern und Baden-Württemberg und auch in Vorarlberg gibt. Aus dieser Zeit kommt es, dass jeder Hof eine eigene Brennerei hat. Das sei auch noch heute so, erklärt Gierer. Auch wenn sich mittlerweile die landwirtschaftlichen Strukturen verändert hätten.
So gebe es etwa in Nonnenhorn noch etliche Höfe, die zwar die Landwirtschaft aufgegeben hätten, nicht aber ihr Brennrecht. Das Brennrecht selbst hat sich dabei seit über 100 Jahren kaum gewandelt. Einschneidende Veränderungen gab es erst vor wenigen Jahren. 2018 nämlich, als im Zuge der EU-Gleichstellungen das Deutsche Branntweinmonopol fiel. Gehörte bis dahin das Brennrecht zum Hof, ist es seit dem Fall des Monopols personenbezogen. „Früher war es so, dass gleichzeitig mit dem Hof auch das Brennrecht vererbt wurde. So wie die Flächen hat auch das Recht zu Brennen zum Hof gehört. Jetzt ist es so, dass das Recht zu brennen der einzelnen Person gehört. Wenn also der Betrieb vererbt wird, erlischt das Brennrechtes und es muss neu beantragt werden.“Gleichzeitig sei es aber jetzt auch so, dass jeder, der die Voraussetzungen erfüllt und die erforderliche Anzahl an Bäumen mitbringt sowie ein Brenngerät, das Brennrecht beantragen könne.
Eine viel einschneidendere Veränderung, die der Fall des Monopols mit sich brachte, ist jedoch die Sache mit dem Geld. Bis 2018 konnten sich die Brenner noch überlegen, ob sie die Branntweinsteuer lieber in Geld oder in Naturalien, sprich Alkohol, ableisten wollten. Daher kommt eben auch die Bezeichnung „Abfindungsbrennerei“, unter die alle Lindauer Kleinbrenner fallen. „Die Steuerabgaben mit Ware zu bezahlen ist natürlich einfacher als sie mit Geld zu bezahlen“, veranschaulicht Conni Gierer und erklärt, dass viele mit dem Fall des Branntweinmonopols um die Qualität der Produkte gebangt hatten. Die Befürchtung war, dass schwarze Schafe unter den Brennern Schindluder treiben könnten und die Vor- und Nachläufe, also den „schlechten“Alkohol, der normalerweise gar nicht verwendet werden darf, dann auf den Markt bringen könnten. Eine Befürchtung, die sich allerdings nicht bewahrheitet hat. „Das ist gut geregelt worden“, versichert Gierer. Der „schlechte“Alkohol werde von den Händlern aufgekauft, die ihrerseits vom Staat subventioniert würden, um dann vernichtet zu werden. Eigentlich zu schade für die Tonne, findet die Brennerin. Denn, „in diesem ,schlechten’ Alkohol steckt wahnsinnig viel Energie drin“. Biomasse, die sich bestens in Biogasanlagen in Energie umwandeln ließe. „Aber das darf man nicht“, bedauert sie und hofft darauf, dass sich dies in Zukunft ändern wird.
Und die Angst, dass der schlechte Alkohol auf den Markt kommt, ist durch die Regelungen vom Tisch. „In der Direktvermarktung geht es eh nicht, dass der Alkohol schlecht ist. Da wären die Kunden schnell weg“, weiß die ausgebildete Brennerin und Sommeliere.
War der Verkauf von Selbstgebranntem direkt vom Hof oder ohne Zwischenhändler an die Gastronomie schon vorher für die Brenner wichtig, so nahm die Bedeutung nach dem Fall des Branntweinmonopols noch zu. „Die Direktvermarktung ist gerade bei uns am See mit dem Tourismus ein wichtiger Absatzmarkt. „Aber wir schaffen es natürlich nicht, 100 000 Liter Alkohol direkt zu verkaufen. Ein Teil geht darum in den Handel.“Die Direktvermarktung wiederum bedingt die Biodiversität, die Vielfalt der Landschaft. Denn für den Handel pflanzt der Brenner nicht irgendwelche speziellen Obstsorten an, wie Quitten, Mirabellen oder Mispeln. Das tut er ausschließlich für die Direktvermarktung.
„Wenn es keine Brenner mehr gebe, würden auch die Hochstämme und Mostäpfel wegfallen“, ist sich Gierer sicher. „Die Brennerei ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Bauern in unserer Region.“Durch den Tourismus sei der Absatz da. Und das trotz hoher Brennereidichte samt deren Verkäufe am Hof. „Das funktioniert nur wegen der vielen Touristen, die zu uns in die Region kommen. Und die kommen nur, weil es hier eben so ausschaut, wie es hier ausschaut.“
Aber der Stellenwert des Brennens liegt auch in seiner Tradition begründet. Die ist von Leidenschaft geprägt. „Wahrscheinlich deshalb, weil es ein wunderbarer Ausgleich zur Arbeit draußen ist“, weiß Gierer. Denn die sei allzu oft hektisch und körperlich anstrengend. „Wenn man sich dann an den Kessel setzen kann, wo es nicht auf die Zeit ankommt, wo man stattdessen Muße mitbringen muss, weil es nichts wird, wenn man schnell macht, dann ist das wunderbar.“Ganz abgesehen davon, dass dabei auch Emotionen eine Rolle spielen. Haben doch viele Brenner die Brennerei von ihren Vätern übernommen und saßen vielleicht auch schon mit ihren Großvätern vor dem Kessel.
Welchen Anteil die Brennereien aber tatsächlich am Gesamtumsatz eines Hofes haben, lasse sich pauschal nicht sagen, sagt Gierer. Das hänge vom jeweiligen Betrieb ab und auch davon, ob Bäume dazu gepachtet wurden oder nicht. Zwischen zehn und 70 Prozent schätzt sie den Anteil und verweist auf jenen Erwerbsobstbau, der seine gesamte Ertragsmenge in die Brennerei gebe. Sie schätzt den eienen Anteil auf etwa 20 Prozent.
Die individuelle Zahl hänge auch davon ab, dass die meisten Betriebe im Landkreis auf mehreren Standbeinen stünden, und es daher viele verschiedene Betriebsstrukturen gebe: Wer sehr viel selbst vermarkte, für den spielten die Brennereiprodukte gleichsam eine größere Rolle. Und alle, die Ferienwohnungen hätten, könnten leichter ihre Produkte verkaufen. „Unser Obst produzieren wir vor allem für den Großmarkt, trotzdem haben wir hier eine schöne Direktvermarktung. Weil ich mich da so reinhänge ist es für uns ein wichtiges Standbein. Gerade für unser Image
ist die Brennerei schon sehr wichtig“, veranschaulicht sie ihr eigenes Beispiel und sagt: „Für ganz viele ist die Brennerei ein wichtiges Standbein. Aber als Haupterwerb betreiben das eher wenige.“
Wie die Landwirtschaft einem Wandel unterlegen ist, so verändern sich auch die Brenner stetig. Wird heute nicht mehr nur im Winter gebrannt, sondern kurz nach der Ernte des jeweiligen Obstes, verwenden oder verwerten die Brenner nicht mehr nur ihr eigenes Obst, sondern kaufen auch welches zu. Schon allein um ihr Sortiment zu erweitern. So brennt Conni Gierer etwa Haselnussgeist, „aber natürlich bauen wir keine eigenen Haselnüsse an“. Auch die Kräuter nicht, speziell Wacholder, den es für Gin braucht. Ein Hype auf den die Kleinbrenner aufgesprungen sind. „Daran zeigt sich die Wichtigkeit der Brennereien für den Betrieb: Wenn man dazu kauft, um sein Sortiment zu erweitern, ist das ein Zeichen dafür, dass man seine Produkte gut verkaufen kann.“In diesem Sinne neu eröffnet hat der Fall des Branntweinmonopols auch jene Möglichkeit aus mehligen Stoffen Hochprozentiges zu brennen. „Das heißt, wir dürfen jetzt Whisky produzieren. Der muss drei Jahre im Fass liegen. Drei Jahre sind vergangen und nicht nur bei uns steht der erste Whisky im Regal“, erzählt sie schmunzelnd, verhehlt dabei jedoch nicht, dass ihr Herz in Wahrheit für den Obstbrand schlägt. Und dieser spielt, zu ihrem Leidwesen, am Anteil des verkauften Gesamtalkohols, eine eher untergeordnete Rolle. Stattdessen laufen ihm Spirituosen, wie Whisky, Weinbrand, Wodka und Gin, den Rang ab. „Von daher ist es schön, dass wir Kleinbrenner jetzt wenigstens ein bisschen daran teilhaben dürfen.“Und außerdem: Gin, Whisky und Co helfen, das etwas verstaubte Image der Obstbrennerei los zu werden. Zusätzlich tun schicke Verkaufsräume, trendige Flaschenformen und hippe Etiketten das ihre, um den Imagewandel fort zu führen. „Und ich hoffe ganz arg, dass sich dadurch auch das Image der Obstbrände verändert. Denn: das ist so ein tolles Produkt, da kann kaum ein anderes alkoholisches Getränk mithalten, weil so ein konzentriertes Fruchtaroma drin ist, das es nirgends anders gibt. Das ist ein ganz gar pures Getränk“, schwärmt Conni Gierer und meint:„Aber da sind wir schon auf einem guten Weg, auch wenn der noch recht weit ist.“Am Ende angekommen ist an diesem Punkt das Gespräch mit der LZ, das die engagierte Kleinbrennerin mit einem Fazit beschließt: „Ja, Brennereien sind wichtig für uns. Emotional und wirtschaftlich ist das Brennen wichtig für die Landwirte, egal ob hier unten oder oben im Landkreis. Und auch für die Landschaft spielt das Brennen eine große Rolle. Ohne die Brennereien würde die Landschaft hier ganz anders ausschauen.“