„Ich ziehe Online-Trauergruppen denen mit Maske vor“
Trauertherapeutin Talia Oberbacher über das Trauern in Corona-Zeiten
- Corona erschwert das Abschiednehmen von Sterbenden. Bei der Beerdigung darf oft nur der engste Familienkreis dabei sein. Umarmen, Fürsorge, Trost spenden durch körperliche Nähe – das alles ist nicht erlaubt. Trauertherapeutin Talia Oberbacher erklärt im Gespräch mit Ronja Straub, warum Trauern elementar wichtig ist – und warum es in Zeiten von Corona und Maskenpflicht online sogar besser gehen kann als im realen Leben.
Frau Oberbacher, weil Treffen und Trauern gemeinsam gerade nur sehr eingeschränkt möglich ist, gründen Sie eine Online-Trauergruppe. Fehlen dabei nicht die persönlichen Kontakte?
Nein. Ich würde sogar noch weiter gehen. Unter den aktuellen Umständen kann es angenehmer sein, weil die Menschen sich ohne Maske begegnen können. Man ist Zuhause in seiner gewohnten Umgebung, man kann sich eine Decke nehmen und einen Tee trinken. Das alles sind eher Vorteile. Was aber leider fehlt, ist die körperliche Anwesenheit.
Das überrascht, dass die Maske so stört, dass Sie eine Online-Gruppe vorziehen.
Stellen Sie sich vor, Sie müssten sehr stark weinen, während Sie eine Maske tragen. Diese wird nass und Sie bekommen sowieso schon schlecht Luft. Es ist einfach anstrengend. Menschen können sich derzeit nicht trösten und in den Arm nehmen. Alles geht nur mit großem Abstand. So habe ich das Gefühl, dass eine Online-Trauergruppe viel mehr Nähe transportieren kann, als in einem Raum zu sein und sich nicht richtig zu sehen oder anfassen zu können.
Was war ihre Motivation, eine solche Online-Trauergruppe zu starten?
Ich weiß, wie heilsam Trauergruppen sein können. Aber auch, wie schwer es ist, das mit Masken zu machen. Wenn ich wählen müsste, würde ich mich wahrscheinlich für Online-Trauergruppen entscheiden. Ich habe sehr viele Gruppen mit Maske gemacht und es ist eine große Herausforderung – sowohl für die Trauernden, als auch für mich.
Warum erschweren Maßnahmen, die wegen der Pandemie getroffen werden – wie Abstandhalten, Kontaktbeschränkung und Maske tragen – generell das Trauern?
Viele Trauerrituale sind nicht mehr möglich oder nur unter eingeschränkten Bedingungen. So zum Beispiel eine angemessene Trauerfeier mit vielen Menschen: Damit wird der Tote noch einmal geehrt und man spürt durch die Anwesenheit der Leute: ’Hier ist ein für Viele wichtiger Mensch gestorben’. Trost schenken ist nicht möglich in der Form, die wir gewohnt sind. Ein Handschlag, der ausdrückt: ’Es tut mir leid’. Auch die herzliche Umarmung ist nicht möglich. Was erschwerend hinzu kommt: Durch das Tragen der Masken, können wir nicht die Mimik unseres Gegenübers wahrnehmen. Das heißt, wir sehen nicht den gesamten Ausdruck von Anteilnahme im Gesicht des Anderen. Wir haben Spiegelneuronen. Das sind Nervenzellen, die, stark vereinfacht ausgedrückt, uns mit unserem Gegenüber verbinden. Sie spiegeln die Gefühle des anderen. Ein Beispiel: Wenn man gähnt, muss das Gegenüber auch oft gähnen. Wenn man jemanden anschaut, der sehr traurig ist, nimmt man sich eher etwas zurück und reagiert mit Mitgefühl. Umgekehrt, wenn wir jemandem in die Augen schauen, der uns voller Mitgefühl ansieht, dann macht das etwas mit uns und wir können unseren eigenen Schmerz oftmals leichter zulassen.
Was fehlt noch?
Der sogenannte Leichenschmaus. Also die Möglichkeit, sich mit Verwandten, Freunden und Nachbarn auszutauschen. Oft beginnt es, dass man sich beim Kaffee in seiner Trauer austauscht und den Schmerz zeigt. Im Laufe des Beisammenseins – vielleicht mit dem einen oder anderen
Schnäpschen nach dem Essen – erzählt man sich dann auch Anekdoten über den Verstorbenen, die witzig sind und man lacht vielleicht sogar zusammen. Die ganze Bandbreite an Gefühlen findet Platz.
Was genau ist Trauer eigentlich?
Trauer ist die Fähigkeit, mit Verlusten umzugehen. Trauer markiert den Ausnahmezustand, den Verluste mit sich bringen. Sei es durch Tod, durch den verlorenen Arbeitsplatz, Trennung oder Scheidung. Es kann sich auch um die Gesundheit drehen. Ich habe neulich mit einer Frau telefoniert, die eine degenerative Krankheit hat. Sie muss dabei zuschauen, wie ihr Körper immer weniger leisten kann und seine Funktionen verliert. Das löst auch Trauer aus. Wenn heilsame Trauer gelingt, schaffen wir es, Verluste in unsere Biografie zu integrieren.
Wie funktioniert eine OnlineTrauergruppe? Wie wird eine solche Stunde aussehen?
Es wird Austausch geben, in denen jeder über seine Verluste berichten kann – soweit er das möchte und kann. Es ist immer wichtig, dass dies aus eigenem Antrieb geschieht. Es gibt Übungen, die die Trauernden mit meiner Begleitung machen können, so sind sie nicht allein. Bei einer Übung malt man eine Art Lebensbaum, der nicht nur aus Familienmitgliedern besteht, sondern aus allen Menschen und auch Tieren, die einem wichtig sind. Und zwar sowohl die Verstorbenen, als auch die Lebenden. So zeigt sich, wer noch alles da ist. Häufig meinen Trauernde, dass sie ganz alleine sind. Oft ist das gar nicht so. Außerdem werden wir gemeinsam Texte lesen und Trauerrituale besprechen und durchführen.
Was sind Trauerrituale, die man jetzt gerade während Corona gut auch zu Hause machen kann?
Wer das möchte, kann sich einen
Platz zu Hause schaffen, an dem er trauert. Das sollte möglicherweise nicht direkt im Wohnzimmer sein. Aber vielleicht ist es in der Anfangszeit der Trauer auch genau dieser Ort. Akute Trauer nimmt im Leben Trauernder einen sehr großen Platz ein. Später kann dieser „Trauerort“an einen anderen Platz wechseln, den man aktiv aufsuchen muss. Man kann auch Spaziergänge machen und schauen, was die Natur bereithält. Schöne Steine am Bodensee oder Treibholz können an den Verstorbenen erinnern. So schafft man sich Symbole.
Nochmal zurück zu den OnlineTrauergruppen. Weil persönliche Treffen nicht möglich sind, sitzen wir gerade oft vor der Kamera, um mit Freunden oder der Familie zu telefonieren. Oft fühlt man sich dabei sogar eher allein. Beim Trauern geht es ja aber um das Füreinanderdasein. Wie ist das vereinbar?
Das ist schwierig. Aus meiner Sicht ist es ein Unterschied, ob man vor der Kamera sitzt und mental gut drauf, oder in Trauer ist. Weil man in Trauer noch viel mehr auf Zuspruch und Kontakt angewiesen ist. Dann ist es aus meiner Sicht besser, wenn man wenigstens virtuell verbunden ist, als gar nicht. Ich würde aber auch außerhalb solcher Gruppen Trauernden raten, mit anderen Menschen weiterhin zu telefonieren, in Kontakt zu bleiben. Und auch, wenn man jemanden kennt, der trauert, sollte man aktiv auf denjenigen zugehen. Ein lapidares: „Melde dich, wenn du etwas brauchst“, wird von den wenigsten Trauernden angenommen.
Ab dem 12. April beginnt die erste Trauergruppe von Talia Oberbacher. Anmelden kann man sich per Telefon 08382/2776010 oder E-Mail unter