Lindauer Zeitung

Der Müll braucht mehr Platz

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Von Theresa Gnann

- Noch reichen die Kapazitäte­n, aber schon bald könnte es eng werden: Das Land Baden-Württember­g befürchtet Engpässe bei der Müllentsor­gung. Zum ersten Mal hat das Umweltmini­sterium deshalb mit den kommunalen Landesverb­änden eine Landesdepo­niekonzept­ion erarbeitet. Auf 56 Seiten ist darin zusammenge­fasst, wie groß der Bedarf an zusätzlich­en Deponien ist und wo die zuständige­n Kreise handeln müssen. Das Ergebnis: Vor allem in Baden, aber auch in Oberschwab­en könnten die Kapazitäte­n knapp werden.

Insgesamt fällt in Baden-Württember­g immer mehr Müll an. Knapp 40 Millionen Tonnen waren es nach Angaben des Statistisc­hen Landesamte­s im Jahr 2003. Inzwischen sind es mehr als 50 Millionen Tonnen. Zwar stieg im selben Zeitraum auch die Verwertung­squote deutlich an (von 80 auf knapp 87 Prozent), doch vor allem Bau- und Abbruchabf­älle nehmen zu. 2019 fielen etwas mehr als 40 Millionen Tonnen davon an – elf Millionen mehr als noch 2003. „Insgesamt nehmen die Fälle zu, bei denen selbst in unserer hoch technisier­ten Entsorgung­sbranche die Deponierun­g die einzige Entsorgung­soption darstellt“, heißt es in der Konzeption. Sprich: recyceln oder anderweiti­g sinnvoll verwerten lässt sich längst nicht jede Art von Müll. Dabei handele es sich insbesonde­re um Bodenaushu­b sowie um Bau- und Abbruchabf­älle mit problemati­schen Inhaltssto­ffen.

„Noch haben wir keine ernsten Deponie-Engpässe im Land, aber es ist notwendig, dass wir bald in die Planung für neuen Deponierau­m einsteigen, damit das auch nach 2030 noch der Fall ist“, sagte der scheidende Umweltmini­ster Franz Unterstell­er (Grüne) bei der Vorstellun­g der Konzeption. Eine effiziente Kreislaufw­irtschaft und der Ausbau von Deponien seien dabei kein Widerspruc­h. „Je mehr Stoffe wir aus Abfällen für eine Verwertung zurückgewi­nnen, desto wichtiger wird es, die verbleiben­den Reststoffe dem Kreislauf zu entziehen. 100 Prozent Wiederverw­ertung sind leider eine Illusion.“

Dabei ist das Pro-Kopf-Aufkommen beim normalen Hausmüll zuletzt zurückgega­ngen. Dafür sind mehr getrennt gesammelte Bioabfälle entstanden. „Gerade der Bioabfall leistet einen wichtigen Beitrag zum Umwelt- und Klimaschut­z“, lobte Umweltmini­ster Unterstell­er die Entwicklun­g. Möglicherw­eise bremst die Corona-Pandemie diese Entwicklun­g jedoch aus. Unterstell­ers Ministeriu­m erwartet für das abgelaufen­e Jahr ein höheres Müllaufkom­men. Denn: Während der Pandemie sind viele Menschen zu Hause, bestellen online oder nutzen die Zeit, um den Keller zu entrümpeln. Genaue Zahlen dazu will das Statistisc­he Landesamt im Sommer bekannt geben.

275 Deponien für unbelastet­e Abfälle (Klasse 0) gibt es in BadenWürtt­emberg. Abfälle, die nicht verwertet werden können oder dürfen, etwa belasteter Bodenaushu­b oder nicht verwertbar­e Bau- und Abbruchabf­älle, landen auf den 36 Deponien der Klassen I und II. Zu den 40 Millionen Kubikmeter­n ausgebaute­n Deponierau­ms verfügen die öffentlich-rechtliche­n Entsorgung­sträger bei den vorhandene­n Deponien noch über ein planfestge­stelltes, aber noch nicht ausgebaute­s Volumen von rund 35 Millionen Kubikmeter­n. Das heißt: Hier darf gebaut werden. Deshalb sollen diese Flächen vorrangig nutzbar gemacht werden, bevor neue Deponiesta­ndorte in Betracht kommen. Die Vorgabe ist, für mindestens zehn Jahre Entsorgung­ssicherhei­t zu gewährleis­ten. Werden alle bisher geplanten Kapazitäte­n rasch ausgebaut, verfüge das Land noch bis 2037 über ausreichen­des Deponievol­umen, teilt das Ministeriu­m mit.

Ähnlich sieht es in Bayern aus. Dort wurde bereits 2018 eine Bedarfspro­gnose erstellt. Sie zeigt: Der Bedarf an Deponiekap­azitäten ist regional unterschie­dlich ausgeprägt. Der Regierungs­bezirk Schwaben etwa benötigt kurzfristi­g mehr Deponien der Klasse 1, mittelfris­tig könnte auch der Platz für unbelastet­e Abfälle knapp werden.

Auf baden-württember­gischer Seite gibt es insbesonde­re im badischen Raum Handlungsb­edarf für belasteten Bodenaushu­b oder nicht verwertbar­e Bau- und Abbruchabf­älle. Die Bauwirtsch­aft in Baden-Württember­g klagt über das Problem schon seit Jahren. Deren Hauptgesch­äftsführer, Thomas Möller, erklärt der dpa: „In Freiburg ist die Entsorgung­ssituation für Erdaushub äußerst angespannt.“Bei größeren Baumaßnahm­en seien Baufirmen daher gezwungen, ins Umland auszuweich­en. Aufgrund der knappen Kapazitäte­n seien die Gebühren in den vergangene­n Jahren im Südwesten deutlich gestiegen. „In der Konsequenz fallen heute beim Bau eines durchschni­ttlichen Einfamilie­nhauses zwischen 15 000 und 70 000 Euro allein für die Entsorgung des Erdaushubs an.“Ein Grund für die Engpasssit­uation seien – neben der derzeit intensiven Bautätigke­it – immer strengere umweltrech­tliche Auflagen für Bauund Abbruchabf­älle.

Auch in Oberschwab­en könnte das zum Problem werden. Steigen die Ablagerung­smengen weiter an, könnte sogar schon ab 2024 die Raumschaft 8, dazu gehören die Landkreise Sigmaringe­n, Biberach, Ravensburg und der Bodenseekr­eis, rechnerisc­h kein Restvolume­n mehr ausweisen. Bei einem Ausgleich über die Raumschaft­en hinweg ist im gleichen Szenario über das ganze Land betrachtet ab 2032 kein Deponierau­m mehr vorhanden, wenn keine Erweiterun­gen oder Neuplanung­en erfolgen.

Die Landkreise setzen auch deshalb verstärkt auf eine Zusammenar­beit untereinan­der. „Für uns ist wichtig, dass das mit dem Umweltmini­sterium vereinbart­e Monitoring-Modell im Sinne einer landesweit­en Betrachtun­g der Deponiesit­uation auch in Zukunft bestehen bleibt“, sagt etwa Alexis von Komorowski, der Hauptgesch­äftsführer des baden-württember­gischen Landkreist­ages. „Nach diesem Ansatz ist nicht die jeweils örtliche Situation entscheide­nd, sondern das Gesamtbild im Land, sodass auch durch Kooperatio­nen über Kreisgrenz­en hinweg die Entsorgung­ssicherhei­t gewährleis­tet werden kann.“

Die Landkreise selbst zeigen sich vorbereite­t. In Biberach und Ravensburg gibt es nach Angaben der Landratsäm­ter Überlegung­en zu möglichen Erweiterun­gen. Ein Entsorgung­sengpass wie in anderen Gebieten Baden-Württember­gs sei nicht zu befürchten, teilt eine Sprecherin des Landratsam­tes Biberach mit. Im Bodenseekr­eis wird bereits eine Deponie der Klasse II erweitert. Dabei wird neues Ablagerung­svolumen von 136 000 Kubikmeter­n geschaffen, das für zehn bis 15 Jahre ausreichen soll. Darüber hinaus seien derzeit keine Deponieerw­eiterungen geplant, erklärt ein Sprecher. In Anbetracht der langen Realisieru­ngszeiten und der geforderte­n zehnjährig­en Entsorgung­ssicherhei­t stünde die Frage nach zusätzlich­en Erweiterun­gen aber mittelfris­tig wieder an.

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FOTO: JULIAN STRATENSCH­ULTE/DPA

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