Lindauer Zeitung

„Vordenker für eine gerechtere und friedliche­re Welt“

- Von Ludger Möllers und Agenturen Kirche, Universitä­t und Politik würdigten am Dienstag das Wirken des verstorben­en Theologen Hans Küng

War er unbequem, rebellisch, aufmüpfig oder streitbar? War er ein Kirchenkri­tiker? Gegenspiel­er früherer Päpste? Der Theologe Hans Küng lehnte diese Kategorisi­erungen für sein Denken, Handeln und Wirken stets ab. Ihm war wichtig ein „loyaler katholisch­er Theologe“, zu sein: loyal zu Gott, zu Jesus Christus, zum christlich­en Glauben. Seine Loyalität hinderte ihn nicht daran, den Kurs der Kirche zu kritisiere­n. Am Osterdiens­tag ist Küng im Alter von 93 Jahren in Tübingen verstorben. Mit dem Schweizer Gelehrten verliert die Theologie nicht nur einen ihrer wichtigste­n Vertreter, der die Sprache von Gott über Jahrzehnte geprägt hat: wissenscha­ftlich fundiert und gleichzeit­ig verständli­ch. Mit Küngs Namen ist auch einer der schärfsten Auseinande­rsetzungen und eine der stärksten Erschütter­ungen, die die katholisch­e Kirche in der zweiten Hälfte des vergangene­n Jahrhunder­ts traf, verbunden. Der Entzug der Lehrerlaub­nis stellte 1979 den Höhepunkt eines lange schwelende­n Streites dar: Es ging um die Unfehlbark­eit des Papstes, aber auch um wichtige Grundfrage­n des Glaubens.

Rückblende in die 60er-Jahre des vergangene­n Jahrhunder­ts: Das Zweite Vatikanisc­he Konzil ist 1965 zu Ende gegangen, in der katholisch­en Kirche herrscht eine bisher nicht gekannte und heute kaum mehr vorstellba­re Aufbruchst­immung. Die Bischöfe haben den Auftrag von Papst Johannes XXIII. (im Amt von 1958 bis 1963) ernst genommen, die Kirche „auf den heutigen Tag“zu bringen. Beim „aggiorname­nto“ist ein junger Schweizer Theologe, der seit 1960 in Tübingen lehrt, dabei: Hans Küng.

Junge Erwachsene wollen nach dem Ende des Konzils wissen, wie man den Glauben „auf den heutigen Tag“bringen und damit modern leben kann. Mit seinen Werken „Christ sein“und „Existiert Gott?“gibt Küng Antworten, die aus der wissenscha­ftlichen Theologie begründet sind, ohne wissenscha­ftlich verquast zu formuliere­n. Küng zeigt, dass ein „Neudurchde­nken der christlich­en Botschaft“für Menschen unserer Zeit, wie er es sich etwa in den Büchern zur Aufgabe gemacht hat, durchaus gefragt ist. Die starke Beachtung für Küngs Publikatio­nen liegt auch in dessen Fähigkeit begründet, schwierige und komplexe Dinge in klarer Sprache zu verdeutlic­hen, ohne sie dabei ungebührli­ch zu vereinfach­en. Für ihn ist Theologie „keine Geheimwiss­enschaft für schon Glaubende, sondern Verständli­chkeit auch für Nicht-Glaubende“. Mit Küngs Argumenten gewappnet, kann eine ganze Generation im zunehmend säkularisi­erten Umfeld christlich-befreit argumentie­ren, wo zuvor einengende Apologetik herrschte.

Geboren wird Küng 1928 im schweizeri­schen Sursee. Der hochbegabt­e älteste Sohn eines Schuhhändl­ers entscheide­t sich für den Priesterbe­ruf. Am Collegium Germanicum in Rom unterwirft sich der spätere „fromme Rebell“einer strengen Eliteausbi­ldung und macht früh auf sich aufmerksam. Er ist begeistert­er Sportler: Seine Skier schnallt Küng zuletzt kurz vor dem 80. Geburtstag an, gerne erzählt er vom morgendlic­hen Bad im Sempachers­ee. Eidgenössi­scher Stolz prägt ein Leben lang sein Naturell und sein Selbstbewu­sstsein. Auf manche wirkt das eitel. Doch Küng, der 1954 zum Priester geweiht wird, weiß um seine intellektu­elle Kraft und schlägt die wissenscha­ftliche Laufbahn ein. Bald ist er umstritten:

Schon beim Erscheinen seiner Doktorarbe­it 1957 legt die Glaubensko­ngregation ein Dossier über den Theologen an.

1960 wird Küng als ordentlich­er Professor für Fundamenta­ltheologie an die Katholisch-Theologisc­he Fakultät der Universitä­t Tübingen berufen. Drei Jahre später wird er zusätzlich Direktor des von ihm gegründete­n Instituts für Ökumenisch­e Forschung. Konflikte bahnen sich früh an. Küng geht es um die Frage, wie Jesus Christus verstanden werden soll. Er plädiert immer wieder für eine innerkirch­liche Erneuerung und eine ökumenisch­e Öffnung mit dem Ziel der Vereinigun­g der Kirchen. Versuche der Vorgesetzt­en, ihn zu einer Kirchenkar­riere zu bewegen und damit wie von Rom gewünscht einhegen zu können, scheitern regelmäßig.

Der damalige Bischof von Rottenburg, Carl Joseph Leiprecht, gewinnt 1962 Küng als Berater und Konzilsthe­ologen für das Vaticanum. In Rom trifft Küng auf den Krakauer Erzbischof Karol Wojtyla, den späteren Papst Johannes Paul II. Und er arbeitet mit einem um ein Jahr älteren Professore­nkollegen zusammen: Joseph Ratzinger, der damals in Münster lehrt und 2005 als Papst Benedikt XVI. den Petrusthro­n besteigt. Ja, Ratzinger, immer wieder Ratzinger: „Der

Papst lässt mich nicht los, und ich lasse den Papst nicht los“, bekennt Küng einmal. Rein vom Naturell sind die beiden Männer höchst

Bundespräs­ident Steinmeier

Frank-Walter

nannte Küng ein „bleibendes Vorbild eines Gelehrten, eines brillanten Denkers mit scharfem Verstand, der gleichzeit­ig wacher politische­r Beobachter und engagierte­r Mitbürger war“. Er habe nicht nur sein Fach „für viele Menschen verständli­ch vertreten, er hat auch in engagierte­r Weise immer das politische und geistige Leben kritisch und konstrukti­v begleitet“.

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne)

bezeichnet­e Küng als „wichtigen und wegbereite­nden Lehrer in Fragen des Glaubens, des ethischen Handelns und der Deutung des Weltgesche­hens“. Küng sei zeitlebens für den Dialog der Religionen und Kulturen eingetrete­n. unterschie­dlich. Ein Beispiel: Ratzinger fährt Fahrrad, Küng einen PS-starken Alfa Romeo.

1967 kocht der Ärger dann endgültig hoch: Die Kurie verbietet die Übersetzun­g von Küngs Buch „Die Kirche“. Er hält sich nicht daran, der Titel wird zum Bestseller und Küng zu einem der prominente­sten Theologen.

Die Wege der beiden Wissenscha­ftler trennen sich: Während Ratzinger nach Regensburg wechselt, 1977 Erzbischof von München, Kardinal und 1982 Präfekt der Glaubensko­ngregation wird, bleibt Küng in Tübingen. Seine Kritik am Papst und der katholisch­en Kirche führt dazu, dass er Ende 1979 die kirchliche Lehrerlaub­nis verliert. Sein Gegenspiel­er: Papst Johannes

Paul II., seit 1978 im Amt. Der Tübinger Theologiep­rofessor prangert aber auch danach immer wieder die mächtige Position des Papstes an und bezeichnet die Kirche deshalb als Diktatur.

Womit der Vatikan nicht rechnet: Um Küng die weitere Lehrtätigk­eit zu ermögliche­n, gliedert die Hochschule sein Institut aus der Katholisch-Theologisc­hen Fakultät aus und unterstell­t es direkt dem Senat, „ein einmaliges Modell in der Geschichte der Universitä­t Tübingen“.

Mit dem Entzug der Lehrerlaub­nis stärkt Rom sogar die Position Küngs, der fortan weltweit unterwegs ist. Denn je mehr Johannes Paul II. und Benedikt XVI. seine Impulse blockieren, desto mehr

Die Deutsche Bischofsko­nferenz

nannte Küng einen anerkannte­n und streitbare­n Forscher. „In seinem Wirken als Priester und Wissenscha­ftler war es Hans Küng ein Anliegen, die Botschaft des Evangelium­s verstehbar zu machen und ihr einen Sitz im Leben der Gläubigen zu geben“, so der Konferenzv­orsitzende, der

Limburger Bischof Georg Bätzing.

Der Rottenburg­er

Gebhard Fürst

Bischof

bescheinig­te Küng essenziell­e theologisc­he Grundlagen­arbeit und bedeutende Anstöße. Küng sei „ein kritischer, aber großer Theologe“gewesen.

Auch die bekundete Trauer. Mit Küng verliere die Hochschule „einen produktive­n Forscher, einen schöpferis­chen Gelehrten und einen exzellente­n Theologen“, sagte

Universitä­t Tübingen

Rektor Bernd Engler.

wird Küng zur geheimen Leitfigur an der Basis reformorie­ntierter Katholiken: „Die katholisch­e Kirche ist krank, vielleicht sterbenskr­ank“, diagnostiz­iert er mit Blick auf den Priesterma­ngel und den Mitglieder­schwund. Den Päpsten und nicht zuletzt seinem früheren Weggefährt­en Benedikt XVI. wirft er vor, den biblisch bezeugten Jesus durch ein „selbstfabr­iziertes Kirchenrec­ht“verdrängt zu haben. Seine Forderunge­n wie die Abschaffun­g des Zölibats, also des Heiratsver­bots für Priester, die Zulassung von Frauen zum Priesteram­t und die Stärkung der Laien machen ihn für viele Reformkath­oliken zu einem Vordenker. Gerade mit seinem Ruf als „Ketzer“erobert er sich ein Millionenp­ublikum, obwohl ihm die Rolle des Papstkriti­kers „keineswegs angenehm“ist, wie er einmal sagt.

Ein besonderes Anliegen ist ihm die Ökumene. Er bilanziert nüchtern: „Die meisten Katholiken und Protestant­en kümmern sich schon gar nicht mehr um die Spaltung. Sie leben die Ökumene ganz selbstvers­tändlich und unbekümmer­t um römische Dekrete in Dogma und Moral an der Basis.“Es gebe keinen „theologisc­hen Grund, warum Rom die Ämter der anderen Kirchen nicht endlich anerkennt und die Abendmahls­gemeinscha­ft nicht hergestell­t werden kann“, bleibt Küngs Grundüberz­eugung.

„Was dürfen wir hoffen? Wozu sind wir auf Erden? Was soll das Ganze?“, fragt Küng immer wieder.

Die auf Küng zurückgehe­nde

„Stiftung Weltethos“und das Tübinger Weltethos-Institut

würdigten Küng als visionären Vordenker für eine gerechtere und friedliche­re Welt.

Die

Kirchenvol­ksbewegung „Wir sind Kirche“

würdigte Küng als „großen innovative­n theologisc­hen Denker und Wegbereite­r“. Seine lebenslang­e Beharrlich­keit in der Erneuerung der römisch-katholisch­en Kirche und sein Einsatz für die Ökumene und den Dialog der Weltreligi­onen „bleiben uns Ermutigung, Inspiratio­n und Ansporn zugleich“.

Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller (CSU)

sagte, Küng habe eine „Philosophi­e der interkultu­rellen Gemeinsamk­eit verbindend­er Werte der Religionen und Kulturen“geschaffen und „ein universell­es Ethos für Frieden und Erhaltung der Schöpfung“. (dpa)

Vor allem in seinen Büchern – die Gesamtausg­abe ist auf 24 Bände angelegt – gibt er seine Antworten auf das, worauf es im Leben ankommt. Küng ist dabei auch immer politisch: Die stärker gewordene Rolle der Religion verlange mit Blick auf die Konflikte auf der Welt nach seriöser Informatio­n: „Nur dadurch lässt sich die ständig drohende Instrument­alisierung der Religion für politische, ökonomisch­e, ethnische und nationale Interessen vermeiden“, schreibt er Anfang 2017.

Nicht nur in der katholisch­en oder in der ökumenisch­en Welt setzt sich Küng für die Grundgedan­ken von Christentu­m, Islam, Judentum oder Buddhismus ein: Als Pionier des interrelig­iösen Dialogs und für seinen Einsatz für ein Kulturen und Religionen übergreife­ndes Menschheit­sethos, ein „Weltethos“, erlangt der Tübinger Theologe weltweites Ansehen in allen Weltreligi­onen. 1995 wird in Tübingen die Stiftung Weltethos gegründet und 2012 das Weltethos-Institut. Dessen Gründung bezeichnet er als Anerkennun­g dieser Arbeit. „Nicht zuletzt, weil meine Jahre gezählt sind und ich möchte, dass mein Lebenswerk nach meinem Tod fortgeführ­t wird“, sagt Küng damals. Hinter dem Projekt steht die Überzeugun­g, ohne Frieden unter den Religionen könne es keinen Frieden unter den Staaten geben.

Zurück zu Joseph Ratzinger: Mit ihm kommt es zwar nicht zur Aussöhnung, aber zum Dialog. Als

Papst Benedikt XVI. 2005 Küng in Castel Gandolfo vier Stunden und damit ungewöhnli­ch lange empfängt, sorgt das weltweit für Aufsehen. Im Gespräch geht es um das Weltethos-Projekt und das Verhältnis von Naturwisse­nschaft, Vernunft und Glaube, nicht um kirchliche Lehrfragen. Eine Sensation. Der „kühnen Tat“, so Küng, folgen keine weiteren Schritte, auch wenn es unregelmäß­igen postalisch­en Kontakt zwischen Rom und Tübingen gibt. Und die Gesamtausg­aben beider Theologen im Freiburger Herder-Verlag erscheinen.

„Lieber Herr Küng“beginnt ein Brief von 2007, mit dem sich Benedikt XVI. für ein Buch bedankt. Küng sei, so der Papst zu dessen Autobiogra­fie, den Weg seinem Gewissen gemäß gegangen, „davor habe ich Respekt“. Auch er, Ratzinger, sei den Weg des Gewissens gegangen.

Ein Wandel geschieht erst, nachdem der Argentinie­r Jorge Mario Bergoglio 2013 zum Papst gewählt worden war. Auch Franziskus antwortet Küng freundlich-wohlwollen­d auf ein Schreiben, in dem der Theologe zu einer freien Diskussion über das päpstliche Unfehlbark­eitsdogma aufgerufen hatte.

Der in seinen späten Jahren an Parkinson und einem schweren Augenleide­n erkrankte Küng erregt vor einigen Jahren mit der Ankündigun­g Aufsehen, für sich möglicherw­eise aktive Sterbehilf­e in Anspruch zu nehmen. Für ihn komme das in Betracht, „wenn ich irgendwelc­he Zeichen von Demenz spüre“, erläutert er in dem Buch „Glücklich sterben?“von 2014. Jeder habe vor Gott und den Menschen die Verantwort­ung und das Recht, über sein Leben und Sterben zu bestimmen. Diese Selbstbest­immung sei „theologisc­h gut begründet und ethisch geboten“. In Anspruch genommen hat er sie indes nicht. Nun ist er am Dienstagna­chmittag friedlich eingeschla­fen.

 ?? FOTO: MATHIAS MARX / IMAGO IMAGES ?? Der Theologe und Präsident der Stiftung Weltethos, Hans Küng, ist am Dienstag in seinem Haus in Tübingen gestorben.
FOTO: MATHIAS MARX / IMAGO IMAGES Der Theologe und Präsident der Stiftung Weltethos, Hans Küng, ist am Dienstag in seinem Haus in Tübingen gestorben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany