Lindauer Zeitung

Heikler Besuch in Ankara

EU-Spitzen treffen den türkischen Präsidente­n Erdogan

- Von Stefan Kegel

- Es ist ein heikler Besuch für EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsid­ent Charles Michel gewesen: Sie trafen am Dienstag in Ankara den türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan, der die EU das letzte Jahr hindurch in Atem gehalten hatte. Fragen und Antworten:

Warum ist das Verhältnis zwischen Brüssel und Ankara so angespannt?

Im Streit um Erdgaslage­rstätten im Mittelmeer hatte die Türkei im vergangene­n Jahr mit Erkundungs­schiffen die Hoheitsgew­ässer der EU-Mitgliedst­aaten Griechenla­nd und Zypern verletzt, zum Teil begleitet von Kriegsschi­ffen. Auch die Verfolgung von politisch missliebig­en Politikern in der Türkei, das Vorgehen gegen kurdische Parteien und die außenpolit­ische Einmischun­g in die Konflikte in Syrien und Libyen werden von der EU mit Argwohn betrachtet. Der kürzliche Austritt Ankaras aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen hat in Brüssel Protest ausgelöst.

Warum dann jetzt der Besuch?

Beim ihrem letzten Gipfeltref­fen vereinbart­en die EU-Staats- und Regierungs­chefs, das Verhältnis zur Türkei zu entspannen. Vorangegan­gen war der Rückzug der türkischen Erkundungs­schiffe aus dem umstritten­en Gebiet im Mittelmeer. Allerdings kündigte der Energiemin­ister des Landes inzwischen an, erneut Schiffe zu entsenden.

Was wollen von der Leyen und Michel erreichen?

Als großes und strategisc­h wichtiges Land an der Grenze zu Asien ist die Türkei ein wichtiger Partner für die EU. Das betrifft zum Beispiel den Handel – so sollen die von der EU eingefrore­nen Gespräche über eine Zollunion zwischen der Türkei und der Europäisch­en Union wieder aufgenomme­n werden. Auch Visa-Erleichter­ungen sind im Gespräch. Darüber hinaus wird über die Fortsetzun­g der milliarden­schweren EU-Türkei-Vereinbaru­ng verhandelt. Sie sieht vor, dass die Türkei syrische Flüchtling­e unterbring­t und von der EU dafür Geld erhält.

Vernachläs­sigt die EU mit dem Besuch die Kritik an Erdogan?

Das wird ihr von verschiede­nen Seiten vorgeworfe­n. Auch aus der Bundestags-Opposition gab es am Dienstag Protest gegen die Gespräche. Der Besuch setze das „vollkommen falsche Zeichen“, erklärte die LinkenAuße­npolitiker­in Sevim Dagdelen. Eine Ausweitung der Zollunion werde Erdogan als Rückendeck­ung für seinen aggressive­n innen- und außenpolit­ischen Kurs interpreti­eren, befürchtet sie. Ähnlich sieht das der FDP-Außenpolit­iker Alexander Graf Lambsdorff. Es sei nicht die Zeit, Erdogan „mit PR-kräftigen Bildern“zu belohnen, kritisiert­e er. Die Türkei setze seit Jahren Grund- und Bürgerrech­te außer Kraft, erschwere freie Wahlen und verletze die Gewaltente­ilung. „Ein Ende der EU-Beitrittsg­espräche mit der Türkei ist deshalb überfällig.“

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