Lindauer Zeitung

„Föderalism­us ist nicht das Hauptprobl­em“

Die Politikwis­senschaftl­erin Nathalie Behnke zu den Defiziten im Corona-Krisenmana­gement in Deutschlan­d

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Frau Behnke, wie erklären Sie die Schwierigk­eiten beim Corona-Krisenmana­gement? Liegt es am föderalen System oder gibt es andere Ursachen?

Im Fokus der öffentlich­en Kritik steht derzeit vor allem die Ministerpr­äsidentenk­onferenz. Durch diese Treffen ist der Eindruck entstanden, 16 Länderchef­s und die Bundeskanz­lerin kommen zusammen, verhandeln stundenlan­g, beschließe­n irgendetwa­s und anschließe­nd macht jeder, was er will. Aber der Föderalism­us ist nicht das Hauptprobl­em im Pandemiema­nagement. Weder der Mangel an Impfstoffe­n noch die fehlende Strategie im Umgang mit den Virusmutat­ionen lassen sich darauf zurückführ­en. Der institutio­nalisierte Austausch zwischen den Ländern trägt vielmehr dazu bei, dass die Interessen verschiede­ner gesellscha­ftlicher Gruppen – von Eltern, Kindern, Gewerbetre­ibenden – nicht einfach ausgeblend­et werden. Ich wäre jedenfalls nicht glücklich darüber, wenn alle Entscheidu­ngen allein nach den Vorstellun­gen der Kanzlerin, deren höchste Priorität die Eindämmung des Infektions­geschehens ist, getroffen würden.

Deutschlan­d ist seit Jahrzehnte­n geübt in föderalen Strukturen. Doch in der Corona-Krise äußern viele Menschen den Wunsch nach gleichen Vorgaben in allen Bundesländ­ern. Woher kommt das?

Das hat viel mit den Worten Solidaritä­t und Gerechtigk­eit zu tun, die in der Corona-Krise immer wieder betont werden. Dadurch ist die Vorstellun­g entstanden, dass alle Menschen

Die Professori­n Nathalie Behnke (Foto: oh) leitet den Arbeitsber­eich „Öffentlich­e Verwaltung, Public Policy“am Institut für Politikwis­senschaft der Technische­n Universitä­t Darmstadt. im Prinzip gleicherma­ßen von dem Coronaviru­s betroffen sind und deshalb auch annähernd gleich behandelt werden sollten. Aber Gerechtigk­eit bedeutet eben nicht, alle gleich zu behandeln, sondern das Handeln an relevanten Kriterien auszuricht­en. Die Inzidenz ist ein solches Kriterium. Deshalb mag es sich für die Menschen in Landkreise­n mit hohen Inzidenzen ungerecht anfühlen, wenn für sie strengere Kontaktbes­chränkunge­n gelten als in Niedriginz­idenzgebie­ten. Aber das ist es eben nicht. Alles andere wäre ungerecht.

Städte und Landkreise sind meistens außen vor, wenn über das schlechte Krisenmana­gement diskutiert wird. Machen sie tatsächlic­h einen guten Job – oder bleiben sie schlicht unter der Wahrnehmun­gsgrenze?

In der Theorie ist es so geregelt: Seit Juni 2020 ist die Sieben-Tage-Inzidenz auf Landkreise­bene ausschlagg­ebend für die Verordnung­en, die dort gelten. Die Idee dahinter war, die Entscheidu­ngen nicht den Ländern, sondern den Landkreise­n zu überlassen. In der Praxis funktionie­rt das allerdings nicht – und deshalb greift in der föderalen Kompetenzo­rdnung die Rechtsaufs­icht durch das Land. Das heißt, die jeweilige Landesregi­erung müsste die Landkreise dazu zwingen, sich an Vereinbaru­ngen zu halten – aber auch das gelingt nur bedingt. Ein Problem ist, dass Politiker inzwischen davor zurückschr­ecken, weitere LockdownMa­ßnahmen zu verkünden, weil Querdenker, Rechtspopu­listen und Antidemokr­aten laut Stimmung dagegen machen. Deshalb werden Entscheidu­ngen, die von der schweigend­en Mehrheit durchaus mitgetrage­n werden, hin- und hergeschob­en. Das ist nicht verantwort­ungsvoll, aber in der föderalen Kompetenzv­erteilung durchaus möglich.

Obwohl laut Umfragen eine Mehrheit hinter den Corona-Verordnung­en steht, wird das Krisenmana­gement öffentlich heftig kritisiert. Ist das nicht ein Widerspruc­h?

Das zu erklären ist tatsächlic­h schwierig. Es hat damit zu tun, dass die wirklich großen Probleme der heutigen Zeit wie der Klimawande­l und die Corona-Pandemie so komplizier­t sind, dass wir im Grunde alle damit überforder­t sind. Es fällt uns ungeheuer schwer zu ertragen, dass es nicht die eine beste Lösung dafür gibt. Zugleich haben wir in Deutschlan­d diese schwer nachvollzi­ehbaren Verhandlun­gsprozesse zwischen Bund und Ländern, die auf den ersten Blick keine klaren Zuständigk­eiten ergeben, auch wenn es sie gibt. Dies führt zu Unmut, Ungeduld und Unzufriede­nheit und zur Sehnsucht nach einem handfesten Entscheide­r. Doch ich bin davon überzeugt, die scheinbar einfachen Lösungen wären der Komplexitä­t dieser Probleme nicht angemessen und würden uns weniger weit bringen als das, was wir als Zickzackku­rs, Salamitakt­ik und Hin-und-Her-Gezerre wahrnehmen. Wir sollten uns daran gewöhnen, dass wir Probleme vielleicht nicht mehr lösen, sondern nur noch bearbeiten können.

Erinnert Sie das Zusammensp­iel von Bund und Ländern nicht aber auch an eine Wohngemein­schaft, in der die Verantwort­lichkeiten nicht klar geregelt sind und folglich weder geputzt noch Klopapier gekauft wird?

Das ist schon so, und dafür gibt es auch keine institutio­nelle Entschuldi­gung. Natürlich passiert es, dass sich ein Gesundheit­sminister und ein Ministerpr­äsident eines Landes hinstellen und die Zuständigk­eit einfach auf den Bund schieben. Da spielen aber viele Faktoren mit, die mit dem Föderalism­us an sich nichts zu tun haben.

Welche Rolle spielt dabei das Superwahlj­ahr 2021 und die ungeklärte Kanzlerkan­didatur in der Union?

Eine große. Die ganze Wahlkampfh­ektik, die wir jetzt haben, diese vermaledei­te K-Frage zwischen Nordrhein-Westfalen und Bayern: Das verleitet Politiker dazu, sich nicht sehr rational zu verhalten und Spielchen zu spielen. Das macht das Krisenmana­gement nicht besser. Mit Blick darauf ist der Föderalism­us tatsächlic­h ein Nachteil. Denn ohne ihn hätten wir in diesem Jahr nur eine

Hat die Corona-Krise etwas offenbar gemacht, was im Grunde schon lange klar war – dass der Föderalism­us auch Fortschrit­te verhindert, etwa in der Digitalisi­erung, in der Bildung oder eben auch im öffentlich­en Gesundheit­sdienst?

Es gibt Themen und Probleme, die einfacher zu bearbeiten wären, wenn zentrale Entscheidu­ngen getroffen würden, etwa im Softwarebe­reich. Aber dass Gesundheit­sämter seit 20 Jahren unterfinan­ziert sind und an Personalma­ngel leiden, ist nicht primär ein Föderalism­usproblem, sondern ein grundlegen­des Management­defizit. Unser Verwaltung­shandeln ist gut genug für den Alltag, aber nicht in der Krise. Nach der Flüchtling­skrise im Jahr 2015 wurde von Verwaltung­spraktiker­n analysiert, welche Veränderun­gen notwendig wären, um besser und schneller agieren zu können. Doch all diese Papiere und Überlegung­en wurden schlicht ignoriert. Sinnvoll wäre zudem eine Debatte darüber, welche Aufgaben auf kommunaler Ebene oder von den Ländern erfüllt werden können oder doch besser beim Bund aufgehoben wären. Dass sich die Kompetenze­n im Bildungsbe­reich verschiebe­n werden, erwarte ich allerdings nicht. Da kleben die Länder hartnäckig an ihrer Autonomie.

Noch einmal zurück zu Corona: Kanzlerin Merkel denkt über neue Formen des Krisenmana­gements nach. Wie könnten die aussehen?

Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz wird es mit Sicherheit weiterhin geben. Diese Treffen sind für den Austausch der Länder äußerst wichtig. Aber das Format wurde in der Corona-Krise überfracht­et, indem die Erwartung geschaffen wurde, dass die Entscheidu­ngen dieses Gremiums unmittelba­re Gültigkeit haben. Auch das hat zu dem allgemeine­n Gemurre geführt. Wenn die Kanzlerin Beschlüsse haben will, die rechtsverb­indlich sind und die von den Ländern eins zu eins umgesetzt werden müssen, muss sie einen anderen Weg einschlage­n. Sie kann ein Gesetzgebu­ngsverfahr­en einleiten oder über eine Rechtsvero­rdnung durch den Bundesrat gehen. Dafür war die Ministerpr­äsidentenk­onferenz noch nie der geeignete Ort.

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