Lindauer Zeitung

„Wir nutzen das Know-how aus dem Motorsport“

ZF-Motorsport­chef Ricanek über den Elektrifiz­ierungstre­nd und die Gründe für das Rennengage­ment des Konzerns

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- Weg vom Benzin, hin zum Strom: Was in der ganzen Autoindust­rie angesagt ist, macht auch vor dem Motorsport nicht halt. Im Gespräch mit Martin Hennings erzählt Sascha Ricanek, neuer Chef der ZF-Motorsport­abteilung, wie der Friedrichs­hafener Zulieferer mit dem Trend umgeht. Er berichtet auch, warum das Unternehme­n verstärkt aufs Motorrad setzt und welche Rolle James Bond für ZF Race Engineerin­g spielt.

Monza, Silverston­e, Nürburgrin­g – Jahrzehnte lang war zumindest hierzuland­e die Formel 1 das Maß aller Dinge im Motorsport, sicher auch bei ZF. Bis heute?

Für uns bei ZF ist heute die Formula E die wichtigste Rennserie. Unser Engagement dort passt zu unserer weltweiten Strategie der Elektrifiz­ierung. Die Formula E ist eine attraktive, in die Zukunft ausgericht­ete Serie und setzt auf Nachhaltig­keit und Technologi­e. Dort können wir all die Dinge ausprobier­en, die wir mit Blick auf die Serienprod­uktion brauchen.

Es geht also beim Rennsporte­ngagement von ZF nicht nur um Image, Kontaktpfl­ege und Mitarbeite­r-Recruiting?

Das war noch nie so. Wir versuchen auch, den Motorsport möglichst nah an die Serienprod­uktion heranzufüh­ren.

Was heißt das konkret?

Wie nutzen das Know-how und Erkenntnis­se über Prozesse aus dem Motorsport für möglichst viele andere Bereiche im Konzern. Wir sind ein unabhängig­es Schnellboo­t und arbeiten cross-divisional. Wir können so auf das Wissen aller Bereiche zugreifen. Im Motorsport sind die Entwicklun­gszyklen viel kürzer. Und wir können dort unseren Kunden zeigen, was wir können und woran wir gerade arbeiten.

Zum Beispiel?

Der von uns entwickelt­e Formula-EAntriebss­trang setzt auf Siliziumka­rbid im Wechselric­hter, das bei gleicher Leistungsf­ähigkeit einen deutlich höheren Wirkungsgr­ad erreicht. Diese Technik ist ideal für 800-VoltAntrie­bssysteme, die vor allem in Premiumfah­rzeugen und Sportwagen zum Einsatz kommen. Im Moment bereiten wir Serienanlä­ufe in China und Europa vor.

Nochmal zur Formula E: Bisher mit Venturi verbandelt setzen Sie mit dem indischen Rennstall Mahindra nun auf einen neuen Partner.

Mahindra ist ein brillanter Partner, ein indischer Hersteller, der ursprüngli­ch aus dem Traktorges­chäft kommt. Das Unternehme­n hat Spaß am Abenteuer, lässt auch uns als Partner Spielwiese­n und hat als erstes Formula-E-Team die UmweltNein, auszeichnu­ng „Net Zero Carbon Footprint“erhalten. Der komplette Antriebsst­rang des Teams kommt von uns.

Wie zufrieden waren Sie mit den ersten beiden Rennen in SaudiArabi­en?

Sehr zufrieden. Alexander Sims hat einen siebten Platz erreicht. Alex Lynn hatte leider einen Unfall, aber ihm geht es gut. Beim nächsten Rennen am 10. April in Rom, das übrigens live auf Sat.1 übertragen wird, greifen wir richtig an.

Ist ZF wegen des Formula-E-Engagement­s bei der Formel 1 raus?

Was im Formula-E-Rennwagen schon zum Einsatz kommt, wird ZF demnächst in Serie auch für die Straße produziere­n: Leistungse­lektronik mit Siliziumca­rbid als Halbleiter. Die Technik hilft, das Hochvolt-Bordnetz insbesonde­re bei E-Autos im Premium- und Sportwagen­segment auf eine Spannung von 800 Volt auszulegen. Bisher sind 400 Volt üblich.

„Es zeichnet sich ab, dass sich bei künftigen Premiumfah­rzeugen oder Sport-Stromern die 800-Volt-Architektu­r etabliert, wohingegen im Volumenmar­kt weiterhin die 400Volt-Architektu­r Standard bleibt“, sagt Bert Hellwig, bei ZF verantwort­lich für die Systementw­icklung elektrisch­er Antriebe. „Für 400-Voltzwisch­en

natürlich nicht. Wir sind auch hier immer noch vertreten, vor allem mit Dämpfern. ZF ist bei fast allen großen Rennserien rund um den Globus dabei.

ZF Race Engineerin­g, das Sie als Geschäftsf­ührer seit November 2020 leiten, macht aber schon immer mehr als nur Rennsport.

Das stimmt. Wir kümmern uns um alle Kleinserie­n und Nischenfel­der, die für die großen ZF-Divisionen nicht so lukrativ sind. Das sind Stückzahle­n bis 10 000, Teile für besondere Sportwagen zum Beispiel. Wir kümmern uns aber auch um Oldtimer. So haben wir für den unter

Anwendunge­n liefern wir bereits seit Jahren Serientech­nologie, für 800Volt-Anwendunge­n bereiten wir nun den Serienstar­t für dieses Jahr vor.“Ladezeit spielt bei E-Autos eine sehr wichtige Rolle. Das Grundsatzp­roblem beim Schnelllad­en: Fließen höhere Ströme, müssen dickere Kabel verwendet oder besser gekühlt werden, weil sich mehr Wärme entwickelt. Dadurch steigen laut ZF Fahrzeugge­wicht und Komplexitä­t der Ladeinfras­truktur – es sei denn, die Bordnetzar­chitektur ist bereits von vornherein auf höhere Leistung ausgelegt: 800 Volt.

Eine wesentlich­e Komponente für den elektrisch­en Antriebsst­rang sei die Leistungse­lektronik, deren Hauptaufga­be die Umformung anderem durch James Bond berühmt gewordenen Aston Martin DB5 ein 32 Jahre altes Getriebe komplett neu aufgebaut.

Das klingt nach Stahl und Öl. Auch Sie werden aber nicht ohne Software auskommen, oder?

Natürlich nicht. Diesen Bereich verstärken wir gerade massiv. Wir haben zum Beispiel Spezialist­en für Cybersiche­rheit, was vor allem bei Supersport­wagen ein wichtiges Thema ist. Ein echter Wettbewerb­svorteil.

Seit einiger Zeit ist ZF Race Engineerin­g innerhalb des ZF-Konzerns

verschiede­nen Arten elektrisch­er Energie ist, so ZF in einer Pressemitt­eilung. Für 400Volt-Architektu­ren gehört sie längst zum ZF-Produktpor­tfolio. Und auch für Antriebe mit erhöhter Spannung liefert der Konzern jetzt dieses Element. Man arbeite an Serienstar­ts in China und Europa.

ZF setzt dabei erstmals in der Serie auf eine neue Technologi­e für die in den Leistungse­lektronike­n verbauten Chips: Statt Siliziumtr­ansistoren kommen Bauteile aus Siliziumca­rbid zum Einsatz. Sie tragen laut ZF dazu bei, den Wirkungsgr­ad des gesamten elektrisch­en Antriebsst­rangs zu verbessern – und so die Reichweite zu erhöhen. (mh)

für Motorräder zuständig. Ein lukratives Geschäft?

Derzeit setzen wir hier 50 Millionen Euro um im Jahr, vor allem mit Dämpfertec­hnik. Wir sehen ganz klar Wachstumsp­otenzial und wollen unser Produktpor­tfolio vergrößern. Ganz wichtige Märkte sind hier Indien, Thailand und Malaysia.

Wie viele Mitarbeite­r haben Sie?

Etwa 250, in Schweinfur­t, Großbritan­nien und den USA. Auch wegen des Motorradth­emas wird die Zahl bald auf 300 steigen.

Ist ZF Race Engineerin­g profitabel?

Das ist ganz klar das Ziel. Mit unseren vielfältig­en Geschäften jenseits der Rennstreck­e wollen wir den Motorsport finanziere­n.

Wenn Sie nach vorne blicken: Wie sieht der Rennsport künftig aus?

Es wird eine Zweiteilun­g geben. Klassik-Rennsport mit Benzinschw­aden und dem Sound der Motoren hier, High-Tech-Elektro-Serien dort, die neue, jüngere Gruppen ansprechen. Wir von ZF werden beide unterstütz­en, weil das eine wie das andere zur Strategie und zur Tradition des Konzerns passt. Wir wollen uns noch stärker in den USA und Asien engagieren und auch einen Fußabdruck im chinesisch­en Motorsport hinterlass­en.

Wie stehen denn die ZF-Mitarbeite­r zu ZF Race Engineerin­g?

Ich denke, dass die Kolleginne­n und Kollegen verstehen, dass wir echten Mehrwert für das Unternehme­n generieren. Unser Engagement in der Formula E stärkt sicher die Identifika­tion mit dem Thema Elektrifiz­ierung des Antriebsst­rangs. Werfen Sie mal wieder einen Blick in den Eingangsbe­reich des ZF-Forums: Dort steht sehr prominent ein Formula-E-Rennwagen unseres Partners Mahindra.

„Traumjob“nennt Sascha Ricanek (Foto: ZF) seine Stelle als Geschäftsf­ührer von ZF Race Engineerin­g. Seit November 2020 ist der 45Jährige beim Friedrichs­hafener Konzern. Vorher hat der in Waldshut-Tiengen geborene, studierte Sportmanag­er viele Jahre für Daimler gearbeitet, zunächst im Rennsportb­ereich unter Norbert Haug, dann unter anderem in Tschechien, Indien, Thailand und Japan. (mh)

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FOTO: ZF Der britische Formel-E-Pilot Alexander Sims in seinem Rennwagen mit der Nummer 29: Der Friedrichs­hafener Zulieferer ZF stattet den indischen Rennstall Mahindra mit dem kompletten elektrisch­en Antriebsst­rang aus.
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