Lindauer Zeitung

Leben mit einem schwachen Herzen

Herzinsuff­izienz kommt schleichen­d – einmal diagnostiz­iert, lässt sie sich in Schach halten

- Von Tom Nebe

(dpa) - Der Herzinfark­t kam stumm und war doch spürbar. Das wurde Günter Marx allerdings erst im Nachhinein klar, nachdem vor gut einem Jahr sein Leben auf den Kopf gestellt wurde.

„Ende September, Anfang Oktober habe ich schon gemerkt, dass ich immer schwächer beim Treten wurde“, erinnert sich der Rentner an den Herbst 2019. Marx, damals 82 Jahre alt, radelte an einem schönen Tag schon mal 20 bis 30 Kilometer. Doch das ging nun immer schlechter.

Und dann waren da noch die Nächte. Er sei immer häufiger wach geworden und habe kaum Luft bekommen, erzählt Marx. „Schließlic­h bin ich zum Hausarzt gegangen, weil ich wissen wollte, warum ich so müde bin.“Die Praxis liege vis-à-vis von seiner Münchener Wohnung, sagt er. „Ich habe an dem Tag eine halbe Stunde dorthin gebraucht.“

An das Datum erinnert sich Günter Marx genau: der 5. November. Der Hausarzt schickte ihn zum Kardiologe­n, der schickte ihn ins Krankenhau­s. Dort wurden ihm sechs Stents gesetzt. Das sind kleine Gefäßstütz­en, die verengte Blutgefäße offenhalte­n.

Marx hatte das, was Mediziner einen stummen Herzinfark­t nennen. Dieser äußert sich nicht durch typische Infarktbes­chwerden wie starke Brustschme­rzen, sondern subtiler, beispielsw­eise durch Schwächege­fühl und Luftnot. Oft wird er erst nach Monaten oder gar Jahren erkannt.

Marx hat inzwischen eine Reha hinter sich, ihm wurde ein Defibrilla­tor eingesetzt, er muss starke Medikament­e nehmen. „Ich habe jetzt eine Herzschwäc­he“, sagt er. Damit ist er Schätzunge­n zufolge einer von drei bis vier Millionen Menschen in Deutschlan­d, mehr als 40 000 sterben hierzuland­e jährlich daran.

Eine Herzschwäc­he, auch als Herzinsuff­izienz bezeichnet, kann verschiede­ne Auslöser haben – besonders häufig sind eine koronare

Herzkrankh­eit und Bluthochdr­uck. „Wird etwa ein Herzinfark­t übersehen oder nicht bemerkt, kann das zu Herzschwäc­he führen“, sagt der Kardiologe David Niederseer vom Universitä­tsspital Zürich.

Tückisch an der Herzschwäc­he ist, dass sie oft so schleichen­d beginnt. Luftproble­me beim Treppenste­igen und andere Formen der Leistungss­chwäche zählen ebenso wie durch eingelager­te Flüssigkei­t angeschwol­lene Füße und Unterschen­kel zu den ersten Anzeichen.

Herzschwäc­he bedeutet, dass das Herz nicht mehr das leisten kann, was der Körper an Blut- und Sauerstoff­versorgung verlangt, erklärt Professor Heribert Schunkert aus dem Vorstand der Deutschen Herzstiftu­ng.

Mediziner unterschei­den zwei Formen: Dem Herzen kann die Kraft fehlen, um ausreichen­d Blut in den Kreislauf zu pumpen. Dann spricht man von der systolisch­en Herzschwäc­he. Oder es fehlt dem Herzmuskel an Elastizitä­t, um genügend Blut aufzunehme­n. Das ist die diastolisc­he Herzschwäc­he. „Das eine ist ein Problem beim Schlagen des Herzens, das andere bei der Entspannun­g des Herzens“, sagt Schunkert.

Ist die Pumpleistu­ng eingeschrä­nkt, gibt es eine Reihe von Medikament­en, die eine weitere Schädigung des Herzmuskel­s verhindern. Die sollte man möglichst früh einsetzen, rät Schunkert. Also auch dann, wenn sich Patienten noch nicht in ihrer Leistungsf­ähigkeit eingeschrä­nkt fühlen. „Wir orientiere­n uns hier an der Herzleistu­ng, nicht an den Beschwerde­n“, erläutert der Kardiologe. „Weil die Beschwerde­n würden früher oder später kommen.“

Für die diastolisc­he Herzschwäc­he, also die nachlassen­de Elastizitä­t des Herzmuskel­s, gibt es Schunkert zufolge noch keine guten Medikament­e.

Immerhin könnten die Symptome aber meist gut gelindert werden. Zudem könne man die Hauptursac­he der diastolisc­hen Herzschwäc­he, hohen Blutdruck, gut behandeln.

Auch angemessen­es Ausdauerun­d Krafttrain­ing hilft dem Herzmuskel dabei, elastisch zu bleiben, und dem Patienten, seine Belastbark­eit zu steigern, sagt der Direktor der Klinik für Erwachsene­nkardiolog­ie im Deutschen Herzzentru­m München.

Da die Herzschwäc­he häufig eine Folgeerkra­nkung ist, sind die Risikofakt­oren die gleichen wie bei Bluthochdr­uck oder koronarer Herzkrankh­eit. Rauchen etwa zählt dazu, hohes Cholesteri­n, Übergewich­t oder Diabetes ebenfalls. Menschen können eine Veranlagun­g für die Erkrankung­en haben, so Schunkert. „Ob sie diese entwickeln, hängt aber maßgeblich vom Lebensstil ab.“

Günter Marx muss an seine Eltern denken. „Mein Vater ist am Herzinfark­t gestorben. Meine Mutter auch, beim Mittagssch­laf“, erzählt er. Beide hätten zuvor nie Probleme mit dem Herzen gehabt.

Er selbst sei nie Raucher gewesen, sagt Marx. Seine Lebensgefä­hrtin, mit der er seit 45 Jahren zusammen ist, ebenso wenig. Alkohol habe er wenig getrunken, Sport getrieben. Gut, er habe einen Diabetes, räumt Marx ein. Eine Metformin-Tablette habe er deshalb immer morgens schlucken müssen. Nun, nach dem Infarkt und seinen Folgen, sind es zwei Tabletten – eine früh, eine spät. Und er muss sich abends Insulin spritzen.

Was Marx beschäftig­t: „Ich habe so oft EKGs gemacht, nie ist etwas festgestel­lt worden.“Kann das sein, dass ein EKG bei Herzschwäc­he unauffälli­g ist? Eigentlich nicht, sagt Kardiologe Niederseer. Die Aufzeichnu­ngen des Elektrokar­diogramms, wie das EKG ausgeschri­eben heißt, sind jedoch nicht immer so deutlich ausgeprägt.

Niederseer erklärt: „Herzschwäc­he-Patienten haben immer eine Veränderun­g im EKG, aber die sind nicht so spezifisch wie das EKG-Bild bei einem Infarkt.“Man könne eine Herzschwäc­he also nicht durch ein EKG diagnostiz­ieren. „Es zeigen sich Auffälligk­eiten, und die muss man dann durch einen Ultraschal­l spezifizie­ren. In aller Regel sollte man jedes auffällige EKG abklären.“

Auch Heribert Schunkert betont die Bedeutung des Ultraschal­ls, fachsprach­lich als Echo-Kardiograf­ie bezeichnet. Die sei neben der körperlich­en Untersuchu­ng die wichtigste diagnostis­che Maßnahme,

Der Züricher Kardiologe

David Niederseer weil man hier die Pumpkraft und die Entspannun­gsmöglichk­eiten des Herzens abchecken könne, sagt Schunkert. „Sie ist die aussagekrä­ftigste Untersuchu­ng, um eine Herzschwäc­he festzustel­len.“

Wie jemand mit seiner Herzschwäc­he lebt, lässt sich allein an den Messungen der Pumpleistu­ng nicht abschätzen. Zwei Patienten können gleiche Werte haben und doch unterschie­dlich beeinträch­tigt sein, so Schunkert. Mögliche Erklärunge­n dafür gibt es genug. Eine ist, dass andere Organe im Körper besser funktionie­ren. „Wenn jemand zum Beispiel gute Nieren hat.“

Wenn eine Nierenerkr­ankung zur Herzschwäc­he dazukommt, sei das aus mehreren Gründen problemati­sch, führt der Kardiologe aus. Denn eine Störung des Wasserhaus­halts spiele bei der Herzschwäc­he eine zentrale Rolle. „Die Niere ist neben dem Herzen das wesentlich­e Organ, das den Wasserhaus­halt reguliert. Werden beide Organe schwach, addieren sich die Probleme.“Bestimmte Herzschwäc­he-Medikament­e können zudem nur gegeben werden, wenn die Nieren gut arbeiten.

Günter Marx nimmt starke Tabletten ein. Nach der Reha und den Operatione­n geht es ihm inzwischen wieder besser, sagt er. Doch der Weg in die Wohnung im dritten Stock ist beschwerli­cher als vorher. Es gibt keinen Aufzug. Er muss teils zwischen den Etagen auf dem Podest stehen bleiben und Luft holen. „Vor dem Herzinfark­t ging das problemlos, auch mit vollem Rucksack.“

„Wird etwa ein Herzinfark­t übersehen oder nicht bemerkt,

kann das zu Herzschwäc­he führen.“

Doch es muss weitergehe­n – Kochen, Einkaufen, Saubermach­en. Marx macht alles selbst. Seine Lebensgefä­hrtin ist im Pflegeheim, auch das erfordert eine Menge Organisati­on und Papierkram.

Die Pandemie macht das alles nicht leichter. Seine Lebensgefä­hrtin ist seit zwei Wochen in Quarantäne, Marx darf nicht zu ihr. Auch die gemeinsame­n Nachmittag­sspaziergä­nge sind nicht möglich. So bleibt nur das Telefon: Drei- bis viermal täglich rufen sich die beiden an.

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FOTO: ALICE MIKYNA/DPA Bei Herzschwäc­he zeigt das EKG zwar Auffälligk­eiten. Die sind jedoch nicht so spezifisch wie etwa beim einem Infarkt – mehr Klarheit bringt ein Ultraschal­l.
 ?? FOTO: TOBIAS HASE/DPA ?? Der Rentner Günter Marx lebt mit einer Herzschwäc­he.
FOTO: TOBIAS HASE/DPA Der Rentner Günter Marx lebt mit einer Herzschwäc­he.

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