Lindauer Zeitung

„Lasst Khoshal arbeiten!“

Dem beliebten Mitarbeite­r von Rapunzel in Legau wurde die Arbeitserl­aubnis entzogen

- Von Verena Kaulfersch

- Als das Fax eintrifft, muss Khoshal Jan seinen Arbeitspla­tz bei Rapunzel sofort verlassen. Schon seit Mai 2019 gehört der 22-jährige Afghane beim Legauer Naturkosth­ersteller zum Team, ihm gefällt seine Tätigkeit als Maschinenf­ührer an der Abfüllanla­ge für Müsli und andere Trockenpro­dukte – trotz Schichtdie­nst: „Ich habe davon geträumt, dass ich lange hier arbeiten kann.“Doch am 19. März um 11 Uhr holt ihn die Realität ein: Im Fax der Zentralen Ausländerb­ehörde (ZAB) Schwaben wird dem Asylbewerb­er die Arbeitserl­aubnis mit sofortiger Wirkung entzogen. Der Teamleiter­in bleibt nichts, als ihn nach Hause zu schicken. Aber Kollegen und Vorgesetzt­e wollen Jan nicht verlieren – eine Auszubilde­nde hat sogar eine Petition an Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann gestartet.

Mehr als 775 Unterstütz­er hat die Petition „Lasst Khoshal arbeiten!“auf www.change.org nach etwas mehr als einer Woche. Der Aufruf beschreibt den 22-Jährigen so, wie es auch Personalle­iter Markus Babel und Pressespre­cherin Eva Kiene tun: als beliebten, fähigen und engagierte­n Mitarbeite­r, der noch dazu in einem Bereich tätig ist, in dem es an Arbeitskrä­ften und Nachwuchs mangelt. Jan, der zunächst als Leiharbeit­er zu Rapunzel kam, sollte nach einem auf ein Jahr befristete­n Arbeitsver­hältnis – laut Babel der übliche Ablauf – ab November fest angestellt werden. Doch seine Duldung wurde nicht verlängert – völlig unverständ­lich ist das auch für Rosina Konrad, die sich ehrenamtli­ch für Asylbewerb­er einsetzt. Sie fügt an, dass Jans Identität geklärt ist und er sich nichts habe zuschulden kommen lassen.

Nach Deutschlan­d war er 2015 gekommen – als Jugendlich­er auf der Flucht vor Krieg und Anschlägen in seiner Heimat. Jan erzählt, wie die Taliban seine Familie bedrohten: „Wir mussten Geld zahlen, damit sie uns nichts tun.“Als der Jugendlich­e gezwungen werden sollte, sich der Terrororga­nisation anzuschlie­ßen, organisier­te der Onkel die Flucht. Seither hat sich der heute 22-Jährige viel aufgebaut: Er hat die Sprache gelernt, den Führersche­in gemacht, eine Wohnung in Illerbeure­n gefunden und Freunde gewonnen. Und Alexander Freudling von der Personalab­teilung bei Rapunzel betont: „Wir finden nicht jeden Tag gute Leute wie Herrn Jan.“Denn auch wenn die Tätigkeit des Maschinenf­ührers formal betrachtet eine ist, die angelernt werden kann: Das Aufgabenfe­ld des Maschinenf­ührers sei eine „qualifizie­rte Tätigkeit, die nicht jeder ausüben kann“, betont Babel. Knowhow im Umgang mit dem Computer gehört ebenso dazu wie zum Beispiel die Kenntnis von Hygiene-Richtlinie­n:

in der Lebensmitt­elbranche ein Muss.

Die Auftragsla­ge bei Rapunzel ist gut – nun hat das Unternehme­n alle Hände voll zu tun, den Ausfall aufzufange­n: „Wir versuchen, Pläne umzuschrei­ben, teilweise auch Mitarbeite­r aus anderen Teams einzusetze­n“, schildert Pressespre­cherin Kiene. Schlimmste­nfalls müssten Maschinen abgeschalt­et werden. Personalle­iter Babel hat sich bereits schriftlic­h an die Behörde bei der Regierung von Schwaben gewandt, die Situation geschilder­t und verdeutlic­ht, dass Rapunzel Jan als Mitarbeite­r behalten will. Auch Rosina Konrad ist aktiv geworden: In einem laufenden Härtefall-Verfahren soll die Entscheidu­ng nochmals geprüft werden. Die Petition bezeichnet sie nun als weiteren „Puzzlestei­n in der Geschichte“.

Dass die anders ausgeht als erhofft, wollen sich weder Konrad noch Jans Kollegen ausmalen: „Wenn nichts Wirkung zeigt, könnte Khoshal irgendwann in einem Flieger nach Kabul sitzen“, sagt Konrad. Doch auch eine Variante ohne Abschiebun­g wäre für den 22-Jährigen schlimm: „Dann kann er zwar hier sein, muss aber von 365 Euro Sozialhilf­e im Monat leben.“Jan kann derweil wenig mehr tun, als zuhause zu sitzen und zu warten. Größere Ausflüge wagt er nicht – nicht nur wegen

Alexander Freudling von der Personalab­teilung bei Rapunzel

Corona. In seinem Ausweis prangt an mehreren Stellen der Stempel „ungültig“– etwas, das dem 22-Jährigen zu schaffen macht: „Das ist kein gutes Gefühl.“

Gesetzesre­gelungen und behördlich­e Vorgaben für die Asylbewerb­er beschäftig­en die Mitarbeite­r bei Rapunzel nicht nur auf menschlich­er Ebene: „Für uns als Unternehme­n verursacht das auch Kosten und es bedeutet viel Arbeitsauf­wand, sich um Verträge, Vollmachte­n und alles Nötige zu kümmern“, sagt Freudling. Es ist eine Erfahrung, die Rapunzel nicht zum ersten Mal macht: Ein weiterer junger Afghane, der eine Ausbildung begonnen hat, muss aufgrund von Bestimmung­en nach dem 2020 eingeführt­en Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz noch nach Pakistan ausreisen, um dort bei der deutschen Botschaft diverse Unterlagen vorzulegen und damit das erforderli­che Visum zu erhalten.

„Eigentlich hätte er nach Afghanista­n reisen müssen, aber die Botschaft ist zerbombt“, erklärt Konrad. Die Kosten für die Reise seien für Betroffene eine Hürde und längst nicht die einzige, sagt sie: Nach pakistanis­chem Recht ist beispielsw­eise die Einladung zweier Pakistaner Bedingung für die Einreise – „und das in einem fremden Land, wo man niemanden kennt“. Eigentlich, erzählt sie, habe sie sich als Rentnerin Ruhe gönnen wollen, doch inzwischen sei es ein Vollzeitjo­b, den aus ihrer Sicht besonders betroffene­n jungen Afghanen zu helfen.

„Wir finden nicht

jeden Tag gute Leute wie Herrn Jan.“

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