Lindauer Zeitung

Eine Flasche erreicht nach 24 Jahren ihr Ziel

Mika ist sieben, als er eine alte Colaflasch­e aus dem Bodensee zieht – Sie war 24 Jahre unterwegs

- Von Ingrid Grohe

Sieben Jahre alt ist Martina Türtscher, als sie einen Zettel in eine Cola-Plastikfla­sche steckt. Ihre Mama hatte die Idee, die Flaschenpo­st am siebten Geburtstag zu verschicke­n und zu warten, wen sie erreicht. Martina wirft die gut verschloss­ene Flasche in die Lutz, einen Fluss im Großen Walsertal in Vorarlberg. Als Mika Fuchs aus Niederstau­fen im vergangene­n Sommer diese Flasche findet, ist er ebenfalls sieben Jahre alt. Was er in diesem Moment nicht ahnen kann: Die Flaschenpo­st war 24 Jahre unterwegs. Von einem Fluss in den nächsten hat das Wasser sie getragen, an mancher Staustufe mag sie einige Zeit verweilt haben, vielleicht hing sie auch ein paar Jahre im Unrat eines Ufers fest, bevor Mika sie aus dem Bodensee fischen kann.

An diesem Tag im vergangene­n Juli unternimmt die vierköpfig­e Familie Fuchs aus Niederstau­fen einen Ausflug mit ihrem Motorboot auf dem Bodensee. Als Mika ein Stück entfernt einen auf dem Wasser treibenden Gegenstand entdeckt, erinnert er sich, wie seine Kindergart­engruppe kürzlich eine Flaschenpo­st an der Leiblach vorbereite­t hat. „Die ist uns dann abgehauen“, erzählt der Bub. Vielleicht ist es ja diese Flasche? Mika will das auffällige Ding aus dem See holen.

Der Papa stoppt das Boot, gemeinsam mit seiner Schwester Amelie und Mama Andrea Fuchs schwimmt Mika zu dem einigermaß­en verschmutz­ten Gegenstand. Tatsächlic­h: eine Plastikfla­sche mit einem Papier drin.

Amelie versucht sofort, den Zettel herauszuzi­ehen – das gelingt nicht, denn das feuchte Blatt würde reißen. Daheim schnappt sich Mika eine Holzsäge und sägt den Flaschenbo­den

ab. „Hallo Finder! Ich heiße Martina und feiere heute am 3.07.96 meinen 7. Geburtstag!!“steht auf dem Papier, das er jetzt, leicht beschädigt, in den Händen hält. „Wenn Du Lust hast, schreib zurück“. Mika hat Lust. Er setzt sich hin, schreibt einen Brief. Seine Mama versucht per Internet, die Adresse zu verifizier­en und schickt den Brief nach Österreich, nach Vorarlberg.

Es dauert ein bisschen, bis Martina Trütscher den Brief aus dem Westallgäu erhält. In dem kleinen Dorf Sonntag, in dem sie aufwuchs, geht er erst durch einige Hände, denn viele Familien tragen ihren Nachnamen. Außerdem lebt sie inzwischen in Laterns, einem Nachbartal des Großen Walsertals; sie ist verheirate­t und hat zwei Buben. Ihre Freude ist groß, als ihre Mutter ihr schließlic­h den „besonders hübsch verpackten Brief“überreicht – und natürlich schreibt sie zurück: „Ich bin mittlerwei­le 31 und habe zwei Söhne. Frederik ist drei, von ihm kommt die Zeichnung auf der Rückseite. Landolin ist drei Monate.“Auf das gelbe Blatt Papier setzt sie außerdem ein großes „Danke“und unterstrei­cht das Wort mit einer geschwunge­nen Linie.

An ihren siebten Geburtstag, den Tag, an dem die Post auf den Weg ging, erinnert sich Martina Türtscher nicht mehr genau. „Wir haben öfter Geburtstag an der Lutz gefeiert“, erzählt sie am Telefon. Ihre Mutter wisse noch von der Flaschenpo­st, doch wer die Botschaft auf den Zettel geschriebe­n hat, rätseln beide Frauen noch. „Es ist eine Erwachsene­nschrift, aber weder die von meiner Mama noch von meiner Patentante.“

Wie eine Botschaft aus ihrer Kindheit den Weg ins Westallgäu gefunden hat, nennt Martina Türtscher eine „ganz wunderhaft­e Geschichte“. Und dann erzählt sie vom kleinen Wildbach Lutz, der sich in vielen Biegungen aus dem Großen Walsertal hinaus schlängelt und bei Nenzing in die Ill mündet.

Schon in Blons im Großen Walsertal muss die Flasche ein Kraftwerk passieren. „Ich habe keine Ahnung, wie sie dort durchgekom­men ist,“sagt Martina Türtscher. Und noch eine Reihe weiterer Kraftwerke und Staustufen liegen auf dem Weg der Flaschenpo­st.

Mit der Ill passiert sie den Walgau und biegt dann unterhalb von Feldkirch in den Rhein ein, der sich etliche Kilometer weiter nördlich in den Bodensee ergießt.

 ?? FOTO: MAGDALENA TÜRTSCHER ?? Martina Türtscher freut sich auf die Osterpost. Sie sei „ein bisschen wasserverb­unden“, sagt die Sozialarbe­iterin. Als Vorsitzend­e des Vereins „Wassertal“macht sie auf die Bedeutung besonderer Wasserorte, vergessene­r historisch­er Badekultur ihrer Heimat und die heilsame Wirkung von Wasser aufmerksam. Die verbindend­e Wirkung des Wassers hat ihr und ihrem neuen Brieffreun­d eine alte Colaflasch­e vor Augen geführt.
FOTO: MAGDALENA TÜRTSCHER Martina Türtscher freut sich auf die Osterpost. Sie sei „ein bisschen wasserverb­unden“, sagt die Sozialarbe­iterin. Als Vorsitzend­e des Vereins „Wassertal“macht sie auf die Bedeutung besonderer Wasserorte, vergessene­r historisch­er Badekultur ihrer Heimat und die heilsame Wirkung von Wasser aufmerksam. Die verbindend­e Wirkung des Wassers hat ihr und ihrem neuen Brieffreun­d eine alte Colaflasch­e vor Augen geführt.
 ?? FOTO: I. GROHE ?? Mika (links) hat eine Flaschenpo­st aus dem Bodensee gezogen, die 24 Jahre unterwegs war. Mit seiner Schwester Amelie zeigt er den Zettel, den er aus der Plastikfla­sche zog, nachdem er sie aufgesägt hatte. Inzwischen steht er mit Martina Türtscher aus dem Großen Walsertal in Kontakt (rechtes Bild mit Nichte und Neffe). Die Kraft des Wassers, das die Post über Bäche, Flüsse, durch Kraftwerke und Staustufen trug, hat eine Brieffreun­dschaft begründet.
FOTO: I. GROHE Mika (links) hat eine Flaschenpo­st aus dem Bodensee gezogen, die 24 Jahre unterwegs war. Mit seiner Schwester Amelie zeigt er den Zettel, den er aus der Plastikfla­sche zog, nachdem er sie aufgesägt hatte. Inzwischen steht er mit Martina Türtscher aus dem Großen Walsertal in Kontakt (rechtes Bild mit Nichte und Neffe). Die Kraft des Wassers, das die Post über Bäche, Flüsse, durch Kraftwerke und Staustufen trug, hat eine Brieffreun­dschaft begründet.

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