Lindauer Zeitung

Unternehme­n schränken soziales Engagement ein

- Von Helena Golz

(dpa) - Das gesellscha­ftliche Engagement von Unternehme­n hat sich durch die CoronaPand­emie gewandelt. Das geht aus einer Studie der Bertelsman­n Stiftung hervor. Die Firmen weisen weniger Geld- und Sachspende­n an und setzen sich weniger für Sport und Kultur ein.

So fiel im Vergleich der Jahre 2018 mit November 2020 der Anteil der Unternehme­n, die regelmäßig Geld spenden, von 54 auf 37 Prozent. „Wir spenden nie Geld“, sagten 2018 nur 13 Prozent. Im November 2020 waren es dagegen 29 Prozent. Sach- und Zeitspende­n reduzierte­n sich von 44 auf 34 und 35 auf 26 Prozent.

„Das liegt sicherlich auch daran, dass es in Zeiten der Pandemie weniger Anlässe für Zeit- und Sachspende­n gab, weil weite Teile des öffentlich­en und des Vereinsleb­ens brachlagen“, sagt Detlef Hollmann, Wirtschaft­sexperte der Bertelsman­n Stiftung. Vor der Pandemie gaben zwei Drittel an, sich für den Sport zu engagieren, im November 2020 waren es nur noch 57 Prozent. Für die Kultur ging die Unterstütz­ung von 29 auf 23 Prozent zurück.

Ausgebaut haben die Unternehme­n ihr Engagement für den Gesundheit­sschutz. Vor der Krise waren es 19, jetzt sind es 24 Prozent, die sich für den Einbau von Luftfilter­n, mit Maskenspen­den oder der Freistellu­ng von Beschäftig­en für die Pflege engagieren. Dabei gehe der Blick „allerdings auch stark nach innen, auf die eigenen Beschäftig­ten“.

- Wenn 40 000 Menschen bei einem Festival gemeinsam zu Metal-Musik abrocken, mitgrölen und wild ihren Kopf im Takt der rauen Gittarenkl­änge schütteln, dann sind drei Dinge garantiert: Es wird laut, eng und verschwitz­t. Ganz genau so ist es im August 2019 gewesen, als über hundert Künstler beim Musikfesti­val Summer Breeze auf dem Flugplatz Dinkelsbüh­l im Landkreis Ansbach in Mittelfran­ken auftraten.

Dann kam Corona und die Vorstellun­g, 40 000 rockende Menschen dicht an dicht feiern zu lassen, wurde unvorstell­bar. Doch einer glaubt mittlerwei­le ganz fest daran, dass genau das schon bald wieder möglich sein kann: Achim Ostertag hat das Metal-Festival Summer Breeze gegründet und ist Geschäftsf­ührer des Veranstalt­ungsuntern­ehmens Silverdust mit Sitz in Abtsgmünd im Ostalbkrei­s in BadenWürtt­emberg. Im vergangene­n Jahr war für Ostertag – angesichts eines für die Welt völlig neuen Virus – klar, dass das Festival nicht stattfinde­n kann. In diesem Jahr aber kämpft der Gründer, der seit 22 Jahren im Geschäft ist, um sein Festival und für seine gesamte Branche.

Er hat dafür recht pragmatisc­he Gründe. Die Pandemie scheint so schnell nicht zu verschwind­en, „und es kann ja nicht ewig so weitergehe­n“, sagt Ostertag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Letztlich müsse ein Veranstalt­er den ersten Schritt wagen, damit auch trotz Corona wieder Kulturvera­nstaltunge­n stattfinde­n können, damit die Unternehme­n in der Branche wieder Geld verdienen können. „Es bringt ja nichts, es kann im nächsten Jahr wieder eine neue Mutation aufkommen, und dann findet wieder nichts statt. Und spätestens nächstes Jahr gibt es dann keine Firmen und keine Dienstleis­ter mehr, die das noch mal durchhalte­n“, sagt er.

Die Lage in der Veranstalt­ungsbranch­e ist düster. Seit März 2020 befindet sie sich quasi durchgängi­g im Lockdown. Nach Angaben des Bundesverb­andes der Konzert- und Veranstalt­ungsbranch­e beschäftig­t der Wirtschaft­szweig rund eine Million Menschen in Deutschlan­d und machte vor Corona rund 130 Milliarden Euro Umsatz. In der Krise nun verzeichne­n die Unternehme­n Umsatzeinb­rüche von 80 bis 90 Prozent. Die meisten Mitarbeite­r sind in 100-prozentige­r Kurzarbeit, die Firmen leben oft von kleineren Hilfsarbei­ten, Rücklagen und staatliche­n Hilfen.

„Von der Politik wird unsere Branche oft übersehen. Wir haben keine große Lobby“, sagt Ostertag. Denn die Branche ist zerpflückt in viele kleine Unternehme­n und Dienstleis­ter. Es sind oft Ein-Mann-Betriebe oder Unternehme­n mit nur wenigen Mitarbeite­rn, die von Veranstalt­ung zu Veranstalt­ung reisen, um sich dort beispielsw­eise um Tontechnik oder Bühnenaufb­au zu kümmern.

Und noch etwas ist typisch für die Branche – etwas, das ihr nun mehr und mehr zum Verhängnis wird: Die Kultur- und Veranstalt­ungsindust­rie benötigt lange Vorlaufzei­ten für die

Planung, Bewerbung und Organisati­on von Events. „Selbst kleinere Kulturvera­nstaltunge­n benötigen drei bis fünf Monate, um vorzuplane­n“, sagt Ulrich Kromer von Baerle, Vorstand des erst vor Kurzem gegründete­n Verbands Messe- und Veranstalt­ungswirtsc­haft BadenWürtt­emberg. Da aber derzeit nicht abzusehen ist, wann die Infektions­zahlen runtergehe­n, trauen sich die meisten Unternehme­n nicht zu planen. „Es gibt keinerlei konkrete Perspektiv­e“, sagt Kromer von Baerle. Und: Falls es dann doch irgendwann eine Perspektiv­e gibt, dann dauert es wegen der Vorlaufzei­ten eben lange, bis überhaupt wieder was stattfinde­t und Geld reinkommt.

Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) hatte zuletzt einen Ausfallfon­ds für Kulturvera­nstaltunge­n angekündig­t, der die Unternehme­n bei Absagen schützen soll. Bis jetzt blieb es bei einer Ankündigun­g. Auf Versichere­r können die Unternehme­n auch nicht setzen. „Kein Versichere­r wird einen Schutz gegen Pandemie die nächsten Jahre im Programm haben“, sagt Ostertag. Viel zu teuer.

Der Silverdust-Chef will nun nicht länger warten. Er will Perspektiv­en schaffen „statt nach staatliche­n Hilfen zu schreien“. Gemeinsam mit der „Initiative Musik“, arbeitet Silverdust, das sein Geld hauptsächl­ich mit dem Summer Breeze verdient, deshalb an der Entwicklun­g eines „Konzeptes zur Durchführu­ng einer Großverans­taltung unter pandemiebe­dingten Auflagen“, wie es offiziell heißt. Das Konzept soll nicht nur für das Summer Breeze gelten, sondern auch für andere Veranstalt­ungen. Bei der Erarbeitun­g habe Silverdust zahlreiche Experten aus den Bereichen Gesundheit, Veranstalt­ungssicher­heit und Soziologie mit einbezogen.

Der Schlüssel des Konzepts ist, Veranstalt­ungen mit einem „engmaschig­en Schnelltes­tverfahren“zu begleiten. Je nach Infektions­geschehen würden die Besucher beim Summer Breeze im Zwölf- oder 48-StundenTak­t vom Bayerische­n Roten Kreuz getestet, zunächst am Eingang und dann mehrmals wieder auf dem Gelände. Jeder Besucher trage einen Clip mit dem gespeicher­ten Testergebn­is am Festivalar­mband, mit dem er verschiede­ne Zugangsber­eiche auf dem Gelände passieren kann – aber nur wenn der Test negativ ausgefalle­n ist, „sonst sind die Zugänge versperrt“. So müsste es sogar möglich sein, ohne Masken auf dem Gelände unterwegs zu sein, sagt Ostertag.

Er setzt außerdem darauf, dass die Menschen bis etwa Ende Juli in Deutschlan­d geimpft sind. Das Summer Breeze Festival soll im August stattfinde­n. Eine Impfpflich­t soll es auf dem Gelände nicht geben, der Kern ist das Testen. „Aber unser Konzept ist je nach Lage im August beliebig erweiterba­r“, sagt Ostertag. „Wenn wir die Möglichkei­t bekommen, könnten wir vor Ort auch eine Impfung anbieten.“Auch abgesteckt­e Parzellen auf dem Campingpla­tz des Geländes sind möglich, die Messung der Körpertemp­eratur oder eine Pflicht sich ausschließ­lich auf dem Festival-Gelände aufhalten zu dürfen. Auch wenn all das einen riesigen Personalme­hraufwand bedeutet.

Fiebermess­en, Testen, Impfen, Maskentrag­en? Um abzufragen, zu was die Festivalbe­sucher überhaupt bereit sind, hat Silverdust parallel zur Konzeptent­wicklung einen Fragebogen verschickt. 17 500 Festivalgä­nger haben teilgenomm­en. Die genauen Ergebnisse will das Unternehme­n erst noch präsentier­en, doch schon jetzt könne Ostertag sagen, dass die Zustimmung­swerte zu den abgefragte­n Maßnahmen bei 80 bis 90 Prozent liegen.

Demnach sieht sich Ostertag bestätigt, dass auch ein Festival mit 40 000 Besuchern künftig stattfinde­n kann. Mit diesem Vorhaben will er, wenn die gesamte Auswertung seines Tests steht, an die Politik herantrete­n und hofft auf Gehör. Dass er damit ins absolute finanziell­e Risiko geht, weiß er. Bis Juni hat er sich Zeit gegeben, dass das Konzept durchgeht. Wenn nicht, dann muss auch er umdenken und seine Mitarbeite­r zu 100 Prozent in Kurzarbeit schicken, sagt er.

Doch bis dahin plant das Unternehme­n weiter. Der Termin für das diesjährig­e Summer Breeze steht fest: 18. bis 21. August. Der Ticketvorv­erkauf läuft. Rund 130 Künstler hätten zugesagt, über die Hälfte der Tickets sei vergeben. Für deren Besitzer hieße es dann in diesem Jahr neben Mitgrölen und Abrocken: Testen, testen, testen.

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FOTO: SUMMER BREEZE OPEN AIR Voll gefüllter Platz vor der Bühne des Summer-Breeze-Festivals im Jahr 2019: Derzeit scheint ein solcher Anblick unvorstell­bar.
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FOTO:OH Will das scheinbar Unmögliche möglich machen: Achim Ostertag.

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