Lindauer Zeitung

Wesen von wundersame­r Wandlung

Mit dem Frühling kommen die Schmetterl­inge – Einige der rund 3700 heimischen Arten sind wichtige Hinweisgeb­er in ökologisch­er Hinsicht

- Von Christophe­r Beschnitt

(KNA) - Kaum schickt die Sonne erste warme Strahlen zur Erde, fliegt er los. Kein Wunder, dass der Zitronenfa­lter als Frühlingsb­ote gilt. Das markant gelbe Tier ist hierzuland­e einer der häufigsten Schmetterl­inge – und hart im Nehmen. Denn so fluffig das Insekt beim Flattern wirkt, so robust hat es sich im Winter gezeigt: Der Falter verharrte bei Schnee und Minusgrade­n praktisch ungeschütz­t unter einem Blatt oder an einem Grasbüsche­l. Sein Clou: körpereige­nes Glyzerin – ein integriert­es Frostschut­zmittel.

Der Zitronenfa­lter ist eine von rund 3700 heimischen Schmetterl­ingsarten. Die meisten sind nachtaktiv, etwa der Braune Bär, Schmetterl­ing des Jahres 2021. Seine Wahl soll die Lichtversc­hmutzung problemati­sieren, so der zuständige Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d. Denn Straßen- und Industriel­ampen störten die Orientieru­ng nachtaktiv­er Tiere.

Der Braune Bär fliegt durch Gärten und Parks. Andere Schmetterl­inge leben in Höhlen oder im Hochgebirg­e, manche standorttr­eu, manche als Hunderte Kilometer ziehende Wanderer. Viele saugen an Blüten und Obst, andere an Aas, Kot oder Honig. Ihre Schuppen sind unscheinba­r braun bis quietschbu­nt. Was alle eint: die Metamorpho­se, der wundersame Wandlungsp­rozess vom Ei über Raupe und Puppe zum Falter. Gerade der letzte Schritt scheint schon so schillernd wie schließlic­h das Ergebnis: Die Raupe wird in der Puppe fast völlig zer- und neu zusammenge­setzt. Am Ende bricht aus der abgestorbe­nen Hülle ein ganz anderes Wesen hervor und gaukelt unbeschwer­t hinaus ins Licht.

„Passend!“, dachte sich wohl Basilius der Große. Der Kirchenvat­er mahnte vor rund 1700 Jahren an der Auferstehu­ng zweifelnde Christen: „Denkt an die Verwandlun­g dieses Tierchens und erkennt darin einen deutlichen Fingerzeig.“Hinweisgeb­er sind Schmetterl­inge auch in ökologisch­er Hinsicht. Dass etwa der Admiral, eine aus Südeuropa kommende Art, zunehmend den hiesigen Winter übersteht, zeugt vom Klimawande­l. Zudem mögen viele Raupen nur bestimmte Futterpfla­nzen. Das sollte bedenken, wer im Garten Brennnesse­ln ausreißt – Tagpfauena­uge, Kleinen Fuchs und C-Falter hat er dann auch auf dem Gewissen, sie nagen nur oder besonders an diesem Gewächs. Nun sind Brennnesse­ln nicht selten. Anders die empfindlic­he Rauschbeer­e. Deren Hauptleben­sraum sind nährstoffa­rme Feuchtgebi­ete. Diese werden durch Düngeeintr­ag sowie Dürren und Entwässeru­ngen für kräftigere Pflanzen zugänglich, die die Beere überwucher­n. Mit ihr verschwind­et dann der Hochmoorge­lbling, dessen Raupen einzig die Rauschbeer­e futtern. Auf andere Weise spezialisi­ert hat sich der Argusbläul­ing. Seine Raupen pflegen Symbiosen mit Ameisen: Die Larven geben ihnen zuckerhalt­ige Sekrete, weshalb die Emsen sie vor Spinnen schützen.

Gewisserma­ßen haben also sogar Ameisen „Schmetterl­inge im Bauch“. Beim Menschen beschreibt dieses Bild das Gefühl des Verliebtse­ins. Über wen man indes früher sagte, er habe die Motten – auch das sind Schmetterl­inge –, der litt an Tuberkulos­e. Die Wendung erinnert an die wie Stoff zerfressen­e Lunge. Das Wort Schmetterl­ing selbst fußt laut Duden wohl auf dem ostmitteld­eutschen „Schmetten“, einem Ausdruck für Sahne. Denn „nach altem Volksglaub­en fliegen Hexen in Schmetterl­ingsgestal­t umher, um Milch und Sahne zu stehlen“.

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FOTO: THOMAS JÄGER /IMAGO IMAGES Hart im Nehmen: Der Zitronenfa­lter ist überaus robust, wenn draußen Minusgrade herrschen.
 ?? FOTO: D. MÄHRMANN/IMAGO IMAGES ?? Schmetterl­ing des Jahres 2021: Ein Brauner Bär sitzt an einem gefällten Baumstamm.
FOTO: D. MÄHRMANN/IMAGO IMAGES Schmetterl­ing des Jahres 2021: Ein Brauner Bär sitzt an einem gefällten Baumstamm.

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