Hat die Mutter ihrer Tochter nachgestellt?
32-Jährige zeigt ihre Mutter wegen Stalkings an – Richter spricht die 52-Jährige frei
- Nachstellung – der deutsche Begriff für Stalking – sei ungenau gefasst, sagte Richter Sebastian Kühn, nachdem er eine 52jährige Angeklagte freigesprochen hatte. Die Frau war von ihrer Tochter angezeigt worden und musste sich daher vor dem Kemptener Amtsgericht verantworten. „Die Rechtsprechung stellt hier hohe Anforderungen“, erklärte Kühn. Und im vorliegenden Fall seien die Voraussetzungen nicht ausreichend erfüllt. Knackpunkt war, dass die Tochter ihrer Mutter nicht klar gesagt hatte, keinen Kontakt mehr zu wollen.
Doch zurück zum Anfang. Die 32-Jährige sagte vor Gericht als Zeugin aus. Die Mutter war während der Verhandlung nicht anwesend. Die Tochter sprach von einem schlechten Verhältnis zu ihren Eltern, bereits seit ihrer Kindheit. Dennoch habe sie in der Nähe gewohnt. Bei einem mehrtägigen Besuch sei ihre Mutter dann aus nichtigem Anlass ausgerastet. „Sie hat mit Gegenständen geworfen und mich mit dem Rücken aufs Sofa gedrückt.“Am nächsten Tag fand sie eine E-Mail von ihrer Mutter im Posteingang – verfasst auf russisch. Eine Dolmetscherin übersetzte: „Ich werde mich dir nicht mehr aufzwingen, nachdem du meine Gesellschaft nicht mehr möchtest.“Ein Zettel und ein Brief folgten.
„Ich habe entschieden, dass ich sie nicht mehr in meinem Leben haben will“, sagte die 32-Jährige. Sie habe ihre Mutter auf allen sozialen Netzwerken blockiert, habe sich eine neue Arbeitsstelle gesucht und sei umgezogen. Zwei Monate später habe ihre Mutter ihre Arbeitsstelle ausfindig gemacht und über Wochen hinweg in ihrem Büro angerufen – teilweise stündlich. „Ich hatte Ängste und Konzentrationsprobleme, Albträume“, sagte die Tochter aus. Zudem habe sie in ihrem Büro nicht mehr arbeiten können, weshalb sie ihren Arbeitgeber schließlich bat, die Nummer sperren zu
„Stalking kann jeden treffen“, heißt es in einem Infoblatt der WeisserRing-Stiftung. Frauen seien überdurchschnittlich häufiger betroffen als Männer. Oft würden ehemalige Lebens- oder Ehepartner zu Stalkern.
Die Polizei empfiehlt:
Machen Sie dem Stalker sofort und unmissverständlich klar, dass Sie keinerlei Kontakt mehr wünschen. Keine letzte Aussprache zu zweit!
Öffentlichkeit kann schützen – also das Umfeld (Familie, Freunde, Kollegen und Nachbarn) informieren.
Alarmieren Sie bei einer akuten Bedrohung die Polizei.
Verfolgt Sie ein Stalker im Auto, fahren Sie zur nächsten Polizeidienststelle.
Persönliche Daten gehören nicht in den Hausmüll. lassen. Nach weiteren fünf Monaten habe dann früh morgens jemand an ihrer Haustür sturmgeklingelt, sagte die Tochter. Als sie durchs Fenster ihre Mutter sah, sei sie völlig fertig gewesen. „Panik, ich konnte nicht mehr klar denken.“Sie rief die Polizei, die die Frau bat, zu gehen. Die Tochter erstattete schließlich Anzeige und beantragte ein Kontaktverbot nach dem Gewaltschutzgesetz (siehe Infokasten) .
„Haben Sie mal Arbeitskollegen gebeten, ranzugehen und klarzustellen, dass die Anrufe nicht gewünscht sind?“, fragte Richter Kühn die 32-Jährige. „Nein, ich wollte sie da nicht mitreinziehen. Und ich kenne sie, das hätte nichts gebracht.“Auch die Verteidigerin hakte nach. Die Tochter entgegnete, dass das ihre Mutter bestärkt hätte. „Sie braucht dieses Drama.“
Die Staatsanwältin forderte eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen à 15 Euro, da die Mutter Hartz IV bezieht. Ihre „beharrlichen Kontaktversuche“hätten die Lebensgestaltung der 32-Jährigen schwerwiegend beeinträchtigt. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Tochter der Mutter deutlich gesagt habe, dass sie die Anrufe unterlassen soll.
Die Verteidigerin führte an, dass die Mutter nicht gewusst haben könne, dass ihre Anrufe bewusst nicht entgegengenommen wurden oder dass überhaupt jemand am anderen Ende der Leitung sitzt. „Ich gehe davon aus, sie wollte als Mutter zeigen, dass sie für sie da ist.“
Richter Kühn sprach die Angeklagte schließlich frei. Diese habe zwar mitbekommen, dass ihre Tochter sie auf sozialen Netzwerken blockiert und auf Anrufe am Handy nicht reagiert habe. Die Rechtsprechung sei aber zu streng, als dass man daraus ableiten könne, dass sie sich bewusst über den Willen ihrer Tochter hinweggesetzt habe. „Es muss klar sein, dass die Tochter keinen Kontakt will und die Beschuldigte sich bewusst darüber hinwegsetzt. Davon kann man hier nicht ausgehen.“
Eine Anzeige bei der Polizei kann helfen. Häufig hören die Belästigungen danach auf.
Gewaltschutz: Kriminalhauptmeisterin Petra Tebel ist im Polizeipräsidium Schwaben Süd/West Beauftragte für Kriminalitätsopfer. Sie rät Stalking-Opfern, ein Kontaktverbot nach dem Gewaltschutzgesetz beim Amtsgericht zu beantragen. Eine Kontaktaufnahme mit der Polizei sei dazu nicht notwendig.
Stalking-Tagebuch: Tebel empfiehlt auch, ein Tagebuch über die einzelnen Vorfälle zu führen, so dass nichts vergessen wird.
App: Die Weisser-Ring-Stiftung hat zum gleichen Zweck zusammen mit der Polizei eine App entwickelt. (kes)
Nähere Infos im Internet unter www.nostalk.de