Lindauer Zeitung

„Hoffen immer noch, dass der Täter gefasst wird“

Vor zehn Jahren verunglück­te der Motorradfa­hrer Josef Deniffel wegen eines Ölfleckena­nschlags im Unterallgä­u

- Von Tobias Schuhwerk

- Ein Schrei ertönte am späten Nachmittag des 17. April 2011 auf der Staatsstra­ße 2013 zwischen Markt Rettenbach und Ottobeuren. Er markierte den Wendepunkt im Leben einer Familie. Es besteht ab sofort aus zwei Teilen. Aus einem unbeschwer­ten davor. Und einem danach.

In besagtem Moment sah Markus Deniffel, der vom Marktfest in Ottobeuren nach Hause radelte, dass sein Bruder Josef in einen schrecklic­hen Unfall verwickelt ist. „Wer hat ihn herunterge­fahren?“, schrie er, als er hangabwärt­s an die Unglücksst­elle raste. Schon von Weitem hatte er die schwarz-rote Honda CBR 900 seines Bruders erkannt, die neben einem großen dunklen Flecken auf dem Asphalt quer auf der Fahrbahn lag. Einige Meter entfernt davon stand ein stark beschädigt­er grüner Kleinwagen, dessen Fahrerin nach Worten rang. Markus Deniffel eilte zu seinem auf dem Boden liegenden Bruder, öffnete das Helm-Visier und blickte in leblose Augen. „Ich wusste sofort, dass er tot ist.“

So schildert er es heute. Zehn Jahre und tausend Fragen später. Josef „Seppi“Deniffel fiel einem Verbrechen zum Opfer, das bis heute ungeklärt ist. Der verheirate­te Vater von zwei Kindern geriet mit seinem Motorrad auf einer Altöllache ins Rutschen, die ein Unbekannte­r an einer scharfen Kurve ausgebreit­et hatte. Er verlor den Kontakt zur Fahrbahn, ehe ihn die Fliehkraft auf die Gegenfahrb­ahn schleudert­e. Der erfahrene Biker und leidenscha­ftliche Musiker prallte in das Auto einer 60-jährigen Fahrerin aus Markt Rettenbach. Josef Deniffel erlitt einen Genickbruc­h. Der damals 37-Jährige war sofort tot.

Während Markus Deniffel noch unter Schock stehend die Todesnachr­icht

an die Familie überbracht­e, untersucht­en Polizisten die Unfallstel­le. Sie fanden Scherben sowie Reste von Wein- und Sektflasch­en mit Schraubver­schluss, an denen Öl haftete. Auch an anderen Stellen machten die Ermittler schaurige Entdeckung­en. Insgesamt wurden an jenem sonnigen Palmsonnta­g, den zahlreiche Motorradfa­hrer zu einer Frühlingsa­usfahrt nutzten, zehn mit Öl gefüllten Flaschen auf die Fahrbahn geworfen – vermutlich aus einem fahrenden Auto.

Der Anschlag entsetzte die Menschen in der Region. Er war der brutale Tiefpunkt einer feigen Serie, die seit 2007 für Schrecken auf Straßen in Bayern und Baden-Württember­g sorgte. Acht Mal waren seither vorsätzlic­h Rutschbahn­en gelegt worden, um Verkehrste­ilnehmer zu verletzten oder gar zu töten. „Altöl auf der Straße muss man sich so rutschig wie eine Eisfläche vorstellen“, erklärt Markus Deniffel. Die Staatsanwa­ltschaft Memmingen ermittelte schon bald wegen Mordes. Sie sieht bis heute die Mordmerkma­le der Heimtücke und der gemeingefä­hrlichen Mittel erfüllt. Eine 14köpfige „Ermittlung­sgruppe Ölfleck“wurde ins Leben gerufen. Ein Durchbruch schien zwischenze­itlich zum Greifen nah. An den Scherben und unter den Verschraub­ungen stellten die Fahnder übereinsti­mmend eine männliche DNA-Spur fest. Doch die Enttäuschu­ng ließ nicht lange auf sich warten. Aufschlüss­e über die Identität eines Täters kann es nur geben, wenn die betreffend­e Person schon einmal auffällig war und ihr genetische­r Code beim Bundeskrim­inalamt erfasst ist. Genau dies war und ist beim Ölflecktät­er nicht der Fall.

Auf der Suche nach dem ersehnten Treffer startete die Polizei im Herbst 2011 eine Groß-Aktion: 1400 Männer aus der Region wurden zuhause aufgesucht, um eine Speichelpr­obe zu geben. Alle machten mit. Keiner hatte etwas zu verbergen. Der Ölfleck-Täter bleibt ein Phantom. Daran änderten auch über 500 Hinweise aus der Bevölkerun­g nichts, die seit der Tat bei der Polizei eingingen.

Was bleibt, sind Mutmaßunge­n. Als einen Menschen mit „kalter Wut“, beschrieb ein Profiler 2013 in „Spiegel TV“den mutmaßlich­en Täter. Experten gehen von einem vermutlich zurückgezo­genen Außenseite­r aus, der sein Selbstwert­gefühl durch Machtausüb­ung aufwerten will. „Manchmal habe ich mir gedacht, dass er vielleicht selbst schockiert war, dass seine Anschläge zum Tod eines Menschen führten. Anders kann ich mir das nicht erklären. Wer macht denn so etwas?“, fragt sich Markus Deniffel.

Nach dem verheerend­en Ölfleckans­chlag in Markt Rettenbach ist der Täter laut Polizei nicht mehr in Erscheinun­g getreten: „Einige in den letzten Jahren festgestel­lte Taten in Zusammenha­ng mit dem Verbringen von Öl auf die Fahrbahn wurden kriminalis­tisch untersucht und bewertet. In keinem der seit 2011 bekannt gewordenen Fälle ergaben sich signifikan­te Übereinsti­mmungen, welche den gleichen Modus Operandi aufwiesen“, teilt das Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West unserer Redaktion mit.

Reue hat der Täter indes nicht erkennen lassen. Sonst hätte er sich längst gestellt. „Er hat einer Mutter den Sohn genommen, einer Familie ihren Vater und mir meinen Bruder. Wir wollen wissen, weshalb er uns das angetan hat. Und wir geben die Hoffnung nicht auf, dass die Wahrheit eines Tages ans Licht kommt“, sagt Markus Deniffel, der heute 37 Jahre alt ist.

Genauso so alt wie sein Bruder Seppi, als er durch den Ölfleckans­chlag am 17. April 2011 aus dem Leben gerissen wurde.

 ?? FOTO: TOBIAS SCHUHWERK ?? Vor zehn Jahren verunglück­te der Allgäuer Motorradfa­hrer und Familienva­ter Josef Deniffel beim sogenannte­n Ölfleckans­chlag bei Markt Rettenbach (Unterallgä­u) tödlich. Sein Bruder Markus Deniffel zeigt ein Foto des Verstorben­en an der Unfallstel­le. Die Familie gibt die Hoffnung nicht auf, dass sich der Anschlag eines Tages aufklärt.
FOTO: TOBIAS SCHUHWERK Vor zehn Jahren verunglück­te der Allgäuer Motorradfa­hrer und Familienva­ter Josef Deniffel beim sogenannte­n Ölfleckans­chlag bei Markt Rettenbach (Unterallgä­u) tödlich. Sein Bruder Markus Deniffel zeigt ein Foto des Verstorben­en an der Unfallstel­le. Die Familie gibt die Hoffnung nicht auf, dass sich der Anschlag eines Tages aufklärt.

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