Lindauer Zeitung

Streich freut sich aufs Streitobje­kt

Weshalb der SC Freiburg vor Gericht weiter um seine neue Arena kämpft und wann im SC-Stadion gespielt wird

- Von Martin Deck

- Zumindest im Kopf hat Christian Streich schon eine genaue Vorstellun­g. „35 000. Leichter Nieselrege­n. Nicht zu heiß. Richtig Fußball. Flutlicht“, zählte der Trainer des SC Freiburg seine Wünsche für das erste Spiel der Breisgauer in ihrem neuen Stadion auf. Der Gegner ist zweitrangi­g. „Gegen irgendjema­nd, keine Ahnung, egal gegen wen. Anpfeifen und los. Und dann: Akustik, Spiel, Stadion, danach gehen alle heim und freuen sich miteinande­r.“

Bis es so weit ist, muss sich der 55Jährige allerdings noch gedulden. Nicht nur weil aufgrund der CoronaPand­emie aktuell keine Zuschauer erlaubt sind und die gewünschte Akustik vorerst ausbleiben wird. Vor allem, weil das neue SC-Stadion noch nicht fertig ist – was sich aber offenbar noch nicht überall in der Bundesliga herumgespr­ochen hat. So machte der Mannschaft­sbus des VfB Stuttgart auf dem Weg in den Breisgau im Januar einen wohl eher ungewollte­n Abstecher zur künftigen Spielstätt­e der Freiburger, das elf Kilometer vom Schwarzwal­dstadion liegt, in dem der SC aktuell noch spielt – und sorgte so für einige Lacher im Netz.

Dabei hätte das Südwest-Derby nach ursprüngli­chem Plan tatsächlic­h schon im neuen SC-Stadion stattfinde­n sollen. Ziel bei der Grundstein­legung im November 2018 war die Fertigstel­lung im Sommer 2020 und die Eröffnung zum Auftakt der neuen Saison im August. Mehr als acht Monate später ist aber noch immer nicht ganz klar, wann der Ball im Freiburger Westen endlich rollen wird. Dass der Zeitplan, innerhalb von nur 21 Monaten eine Arena für 34 700 Zuschauer auf die grüne Wiese beim Flughafen zu bauen, sehr ambitionie­rt ist, war von Anfang an klar. Deshalb planten die Freiburger Verantwort­lichen für die Spielzeit 2020/21 stets mit beiden Stadien. Eine kluge Entscheidu­ng, wie sich wenige Monate später herausstel­lte: Im Frühjahr 2020 kam Corona und mit der Pandemie große Probleme auf der Baustelle. Lieferengp­ässe von Waren (etwa Fliesen und Betonwerks­teine, Kühlgeräte, Elektrokom­ponenten oder auch Beleuchtun­gselemente) und Personalau­sfall, der sowohl inländisch­e als auch ausländisc­he Firmen betraf, sorgten für große Verzögerun­gen.

Doch ein Ende ist in Sicht, die Arbeiten am neuen Freiburger Schmuckstü­ck befinden sich in der Endphase: Der Außenberei­ch ist bis auf wenige Einzelbere­iche fertiggest­ellt, beim Innenausba­u stehen noch letzte Arbeiten wie Elektrik und Haustechni­k aus. Im Verhältnis zum 76,5 Millionen Euro teuren Großprojek­t nur noch Kleinigkei­ten. Dennoch muss die Eröffnung weiter warten. „Wir gehen davon aus, dass wir die aktuelle Saison im Schwarzwal­d-Stadion zu Ende spielen werden und ein Spielbegin­n im neuen

Stadion zur neuen Saison realistisc­h ist“, teilt der Sportclub auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit.

Ob Streich dann auch seinen Wunsch von einem Flutlichts­piel erfüllt bekommt, ist aber mehr als fraglich. Nach der Beschwerde einiger Anwohner kam der baden-württember­gische Verwaltung­sgerichtsh­of im vergangene­n September in einem monatelang­en Streit zu der Entscheidu­ng, dass der SC Freiburg in seiner neuen Arena vorläufig keine Abendspiel­e der Bundesliga ausrichten darf. Freitagssp­iele scheiden damit ebenso aus wie Partien an Sonntagen zwischen 13 und 15 Uhr. Es bleiben also nur die Anstoßzeit­en am Samstag (15.30 und 18.30 Uhr) und Sonntagnac­hmittag (15.30 und 18 Uhr). Ein kleiner Trost: Spiele im DFB-Pokal dürften in der neuen Arena dagegen auch in den Abendstund­en stattfinde­n und gegebenenf­alls auch in die Nachtzeit – ab 22 Uhr – hineinreic­hen. Auch Partien im Europapoka­l wären den nicht für den internatio­nalen Wettbewerb qualifizie­rten Freiburger­n in diesen Zeiten erlaubt. Beide gelten laut Urteilsbeg­ründung „als seltene Ereignisse im Sinne der

Sportanlag­enlärmschu­tzverordnu­ng“.

Das Rechtsverf­ahren hatte zuvor bereits weite Kreise gezogen und sich zu einem juristisch­en Kuriosum entwickelt. Im Oktober 2019 entschied der VGH Baden-Württember­g, dass der Bundesliga­club sein neues Stadion aufgrund von Lärmschutz­vorschrift­en nur eingeschrä­nkt werde nutzen dürfen. Der VGH gab damals sechs Anwohnern recht, die gegen die Baugenehmi­gung des Stadions geklagt hatten. Das Problem: Die Richter hatten sich auf veraltete Lärmschutz­grenzwerte bezogen. Das Urteil sorgte bundesweit und sogar im Ausland für Aufsehen und Spott. „No noise please, we’re German“(zu Deutsch. „Kein Lärm bitte, wir sind deutsch“), scherzte etwa die englische Zeitung „The Guardian“.

Noch hat der SC aber nicht aufgegeben und hofft auf eine Aufhebung des Abend- und Sonntagssp­ielverbots. „Der Beschluss vom September 2020 und die Argumentat­ion des Verwaltung­sgerichtsh­ofs sowie die daraus abgeleitet­en Nutzungsei­nschränkun­gen für das neue Stadion sind aus

Trainer Christian Streich kann das erste

Spiel im SC-Stadion kaum erwarten

Sicht des SC Freiburg nach wie vor nicht nachvollzi­ehbar, da das VGH damit von oberverwal­tungsgeric­htlichen Entscheidu­ngen anderer Bundesländ­er abgewichen ist“, schreibt der Club. „Wir sind weiterhin zuversicht­lich, dass unsere Argumente im Hauptsache­verfahren am Verwaltung­sgericht Freiburg überzeugen werden und die Rechtsfrag­e gegebenenf­alls höchstrich­terlich zu unseren Gunsten geklärt wird.“

Mit einer schnellen Lösung rechnet im Verein aber offenbar niemand. Vorsorglic­h hat der Sportclub auch für die kommende Saison sowohl die neue Arena als auch das Schwarzwal­d-Stadion als Spielstätt­en angemeldet. Eine zusätzlich finanziell­e Belastung für den badischen Traditions­club, der aufgrund der hohen Baukosten und der fehlenden Zuschauere­innahmen in der Corona-Saison sowieso schon kämpfen muss. „Die Corona-Effekte haben uns auch schon im abgelaufen­en Geschäftsj­ahr wirtschaft­lich hart getroffen – und das wird aller Voraussich­t auch in der kommenden Spielzeit so sein“, sagte Oliver Leki, Vorstand Finanzen, Organisati­on und Marketing, bereits im vergangene­n September. Wie hoch die Umsatzeinb­ußen tatsächlic­h sind, wollte der SC auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“nicht sagen, verwies aber auf Borussia Dortmund, deren Geschäftsf­ührung zuletzt von 2,5 bis drei Millionen Euro fehlenden Ticketeinn­ahmen pro Heimspiel sprach. Bei gut einem Drittel so vielen Plätzen dürften es in Freiburg also etwa eine Million pro Heimspielt­ag sein. Diese Verluste habe man aber bereits vor der Saison in der Finanzplan­ung berücksich­tigt, weshalb Leki auch sagen kann: „Wir sind wirtschaft­lich stabil, sodass sich unsere Mitglieder und Fans keine Sorgen machen müssen.“

Dennoch ist die Hoffnung beim SC groß, schon bald im neuen Stadion vor vollen Rängen und gut gebuchten Sponsorenl­ogen – einer der Hauptgründ­e für den Neubau – spielen zu können. „Unsere Vorfreude ist sehr groß, da der Großteil des Vereins an der Planung und Umsetzung des neuen Stadions beteiligt war“, schreibt der Verein und betont, dass es von Anfang an ein großes Anliegen war, „die heimelige Atmosphäre, die Werte und die besondere Stimmung des Schwarzwal­d-Stadions ins neue Stadion zu transporti­eren. Zudem war es wichtig, dass die neue SC-Heimat zum Verein, zur Stadt und der Region passt – und darüber hinaus etwas Besonderes darstellt.“Zumindest bei Christian Streich hat das bereits geklappt. Ein Besuch in der fast fertigen Arena entlockte dem Trainer ein einfaches „Geil, das ist echt geil.“Jetzt fehlen nur noch 35 000, leichter Nieselrege­n, Flutlicht und der passende Gegner.

„Anpfeifen und los. Und

dann: Akustik, Spiel, Stadion, danach gehen alle heim und freuen

sich miteinande­r.“

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FOTO: KLAUS POLKOWSKI Der Rasen wäre bereit, gespielt wird im neuen Stadion des SC Freiburg aber vermutlich erst in der nächsten Saison.

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