Lindauer Zeitung

Karrierepl­anung als Familie

Die Vereinbark­eit von Beruf und Familie sollte nicht das einzige Kriterium sein

- Von Elena Zelle

Flexible Arbeitszei­ten, Kinderbetr­euung im Betrieb und Homeoffice-Tage: Beruf und Familie vereinbare­n zu können, ist für viele ein Kriterium für die Jobsuche. Arbeitgebe­r wissen das und werben mit entspreche­nden Angeboten. Aber was bedeutet „familienfr­eundlich“überhaupt?

Das lässt sich nicht pauschal beantworte­n. Karriere-Coach Bernd Slaghuis empfiehlt daher, nicht nur nach der Bezeichnun­g „familienfr­eundlich“zu gehen, sondern sich zunächst selbst zu überlegen: Was benötige ich und was passt zu meiner familiären Situation?

Das können flexible Arbeitszei­ten, arbeiten in Teilzeit, Hilfe bei der Organisati­on von Kinderbetr­euung oder aber auch der Arbeitgebe­r, der direkt um die Ecke ist, sein. „Meist geht es gar nicht um die Anzahl der Stunden, sondern um die Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t.“Sobald man sich darüber im Klaren ist, was man selbst braucht, sollte man auch im Gespräch mit einem Arbeitgebe­r Klarheit schaffen und besprechen, was möglich ist, empfiehlt Slaghuis.

Oliver Schmitz ist Geschäftsf­ührer der berufundfa­milie Service GmbH – ein Dienstleis­ter und Think Tank, der Unternehme­n im Bereich Vereinbark­eit von Beruf, Familie und Privatlebe­n unterstütz­t und zertifizie­rt. Dabei spricht Schmitz lieber von „familienun­d lebensphas­enbewusst“als von „familienfr­eundlich“.

„Es gibt eben nicht nur die Konstellat­ion Vater, Mutter, Kind. Das muss man breiter sehen“, sagt er. Außerdem bringen auch andere Lebensphas­en Bedürfniss­e mit sich, auf die Unternehme­n ebenso eingehen sollten wie auf die von Familien. Er empfiehlt daher zum Beispiel auch Berufseins­teigern, darauf zu schauen, welche Angebote es etwa für Menschen mit Familie oder auch kurz vorm Ruhestand gibt. „Wenn man längerfris­tig irgendwo arbeiten will, macht das Sinn.“

Spreche ein Unternehme­n mit seinem Maßnahmen etwa nur hochqualif­izierte Jobeinstei­ger oder aber auch nur Mütter von kleinen Kindern an, führe das zum einen zu einem Ungleichge­wicht in der Belegschaf­t. Außerdem sei so etwas meist nicht langfristi­g gedacht – Mitarbeite­r sind nicht ewig Jobeinstei­ger und die Kinder nicht für immer klein.

Man sollte auch auf die Art der Maßnahmen achten: Sind es Angebote, die langfristi­g beibehalte­n werden können? Eher als Augenwisch­erei bezeichnet Schmitz Angebote für Mitarbeite­r, die zwar schön anzusehen und plakativ, aber auch sehr teuer sind – das sind nicht unbedingt immer die besten, meint Schmitz.

„Wichtig ist die Summe an Einzelmaßn­ahmen“, erklärt er. Außerdem komme es darauf an, dass die Angebote, die es zum Beispiel für Eltern gibt, auch gut und regelmäßig kommunizie­rt werden.

Bernd Slaghuis, Karriere-Coach

Und nicht zuletzt ist die Führung wichtig: Gehen die Vorgesetzt­en mit gutem Beispiel voran? Kommen sie etwa selbst mal später, weil sie ihr Kind in die Kita gebracht haben? „Das setzt Zeichen und erhöht die Legitimitä­t, solche Angebote auch zu nutzen.“

Ob es mit einem Arbeitgebe­r und der aktuellen Lebenssitu­ation klappt, lasse sich am besten im Gespräch klären, sagt Slaghuis. Einen Job, der ein Leben lang passt, gibt es meist nicht. Muss es auch nicht. „Auf 20 Jahre sein Leben und seine Karriere zu planen, das passt nicht mehr in unsere schnellleb­ige Zeit“, sagt der Coach. Von vornherein auf vermeintli­ch familienfr­eundliche Jobs zu setzen, hält er deshalb für falsch. „Die Geburt eines Kindes, ein Todesfall oder eben eine Pandemie verändern unser Wertesyste­m. Die Frage sollte dann sein: Wie reagiere ich im berufliche­n Umfeld darauf ?“

In diesem Zusammenha­ng hält Slaghuis es für wichtig, Karriere nicht als Einbahnstr­aße, in der es immer weiter bergauf geht, zu definieren. Karriere sei nicht der ständige Aufstieg, sondern schlichtwe­g eine berufliche Entwicklun­g.

Es kann auch ein guter nächster Schritt in der Karriere sein, Verantwort­ung abzugeben, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Selbst der hierarchis­che Rückschrit­t als sogenannte­s Downshifti­ng kann für eine Führungskr­aft eine gute Karriereen­tscheidung sein, wenn dies zur aktuellen Lebenssitu­ation besser passt. Es selbst nicht als Rückschrit­t zu sehen, sei eine Frage der inneren Haltung.

Ebenfalls Sache der eigenen Haltung: Sich selbst nicht als Arbeitnehm­er zweiter Klasse sehen, nur weil man Mutter oder Vater ist. „Viele Eltern, meist sind es Mütter, gehen mit der Haltung „Hauptsache ich kriege irgendetwa­s in Teilzeit“auf Jobsuche“, sagt Slaghuis. „Das ist Quatsch.“

Nur weil man ein Kind und somit andere Bedürfniss­e im Job habe, sei man auf dem Arbeitsmar­kt nicht weniger Wert. Er rät: sich selbst klarmachen, unter welchen Bedingunge­n man Beruf und Familie gut unter einen Hut bekommt und gezielt nach einem passenden Umfeld suchen.

Laut Slaghuis können Eltern sich ruhig auf interessan­te Vollzeitst­ellen bewerben, selbst wenn sie nur in Teilzeit arbeiten können. Vielleicht ist der Arbeitgebe­r offen für sogenannte­s Jobsharing. Oder die Arbeitszei­ten können so flexibel gestaltet werden, dass es doch möglich ist, Vollzeit zu arbeiten. (dpa)

„Auf 20 Jahre sein Leben und seine Karriere zu planen, das passt nicht mehr in unsere schnellleb­ige

Zeit.“

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Was ein familienfr­eundliches Arbeitsver­hältnis bedeutet, muss jeder für sich selbst beantworte­n.

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