Nur ein erster Schritt
Zwölf Geschworene haben ein Urteil gefällt, wie man es mit gesundem Menschenverstand anders kaum fällen konnte. Zu eindeutig waren die Aufnahmen einer Handykamera, als dass sich Derek Chauvin auf Notwehr oder sonstige mildernde Umstände berufen konnte.
Und doch. Nicht wenige Amerikaner hatten bis zum Schluss sogar einen Freispruch für möglich gehalten. Zu bitter, zu frisch sind die Erfahrungen, die Opfer exzessiver Gewalt machen mussten, wenn die Hüter von Recht und Ordnung, was selten genug passierte, vor Gericht standen. Zu lang ist die Serie skandalöser Fehlurteile, zu groß der Schatten jahrhundertelanger Diskriminierung, der über allem hängt.
Amerika hat es gebraucht, dieses Urteil. Doch es kann nur ein Anfang sein. Ein erster Schritt auf der langen Strecke hin zu echten Reformen, zu nachhaltigen Verhaltensänderungen. Dass weiße Polizisten überdurchschnittlich viele Schwarze unter häufig dubiosen Umständen töten, ist seit Langem erwiesen. Nur wenn sich daran etwas ändert, hat das Wort von der Wende seine Berechtigung.
wichtigster Beweis: das Video einer Handykamera, mit der Darnella Frazier, seinerzeit 17, am Abend des 25. Mail 2020 filmte, was vor dem Lebensmittelladen Cup Foods im Süden von Minneapolis geschah. In seinem Schlussplädoyer hatte der Staatsanwalt Steve Schleicher die Geschworenen noch einmal, wie schon etliche Male zuvor, aufgefordert, ihren eigenen Augen zu trauen: „Genau das, was Sie sehen, ist tatsächlich passiert.“Chauvin habe Floyd mit dem Knie am Hals die Luft zum Atmen genommen und ihn getötet, vielleicht nicht absichtlich, wohl aber in einer Art Allmachtgefühl. In der Gewissheit, dass sich ein Polizist alles erlauben könne, ohne zur Verantwortung gezogen zu werden.