Sabotage am Kletterseil?
Zwei 38-jährige Oberallgäuer bemerken Durchtrennung erst in der Wand – Kripo ermittelt
- „Es ist so, wie wenn man einem Auto die Bremsleitung durchschneidet. Oder noch schlimmer“, sagt ein 38-jähriger Kletterer aus dem Oberallgäuer Durach. Er kann immer noch nicht fassen, was er zusammen mit seinem Freund, dem Sonthofener Valentin Notemann, ebenfalls 38, vor Kurzem auf der Südseite des Grünten entdeckt hat. Die beiden Kletterer wollten ihr Projekt fortsetzen: Die Durchsteigung eines extrem schweren KletterKlassikers an der Stuhlwand des Grünten. Doch in der 45 Meter hohen, senkrecht verlaufenden Felswand entdeckten sie, dass jemand das Kletterseil durchtrennt hatte. Nun ermitteln Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft wegen eines versuchten Tötungsdelikts.
Beide Kletterer haben es sich zum Ziel gesetzt, die Stuhlwand im Freiklettern zu bezwingen. Dabei werden künstliche Hilfsmittel wie Seil und Haken zum Sichern verwendet, aber nicht als Kletterhilfe. Die Route, die die beiden bezwingen wollen, liege „in einem Eck, wo sonst niemand hinkommt“, schildert der Vorsitzende der Interessengemeinschaft (IG) Klettern Allgäu, Stefan Heiligensetzer. Sie sei nicht mit der Überschreitung des Stuhlwand-Grates zu verwechseln.
Die Stuhlwand selbst sei extrem schwer und lange nicht begangen worden. Vergangenes Jahr sei es dem neunfachen Deutschen Meister Christian Bindhammer gelungen, sie zu durchklettern. „So ist sie wieder in der Szene bekannt geworden“, sagt Heiligensetzer. Aufgrund des Schwierigkeitsgrades und des langen Zustiegs wagten sich nur etwa zehn Sportkletterer im Jahr an die Wand.
Der 38-Jährige aus Durach hat dort im vergangenen Herbst zu klettern begonnen, wie er schildert. Anfang März habe er in einer kleinen
Höhle am Berg ein 80 Meter langes Seil deponiert – sauber „aufgeschlossen“, also zusammengelegt – und in einer Plastiktüte verstaut. So etwas sei in Kletterkreisen durchaus üblich, berichtet Heiligensetzer.
Mitte März ging der 38-jährige Duracher dann mit Notemann zum Klettern an die Stuhlwand. Das Seil habe aufgeschlossen und verpackt in der Höhle gelegen. Der Duracher band sich ein und kletterte die erste Länge. Notemann sicherte ihn, wie er schildert. „Ich habe mich in der Mitte des Seils eingebunden, weil wir einen Rucksack hochziehen wollten“, erklärt er.
Plötzlich habe er bemerkt, dass das Seil durchtrennt ist. Von den 80 Metern seien zehn Meter abgeschnitten worden. „Wir konnten uns das nicht erklären“, sagt Notemann. Erst später hätten sie realisiert, dass es sich um Sabotage handelt. „Ich kann mir nicht vorstellen, wer so etwas
Valentin Notemann macht“, sagt sein Kletterfreund aus Durach. Er zeigte den Vorfall bei der Polizei an.
Seinen Namen möchte er nicht öffentlich nennen: Aus Sorge, dass derjenige, der das Seil durchtrennt hat, es auf ihn persönlich oder seine Familie abgesehen haben könnte. Das durchschnittene Seil macht ihn fassungslos. „Jeder Kletterer ist sich der Konsequenz bewusst, dass so etwas tödlich enden kann“, erklärt der 38jährige Duracher.
Laut IG-Klettern-Chef Heiligensetzer gab es in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen zwischen Jägern, Naturschützern und Kletterern. In solchen Fällen sei die IG Klettern Allgäu Ansprechpartner für alle Seiten. „Bisher haben wir immer gute Lösungen gefunden, gerade auch am Grünten“, betont Heiligensetzer. Sabotagen seien eine Straftat.
„Wer so etwas macht, nimmt wissentlich in Kauf, dass jemand zu Tode stürzt“, warnt Heiligensetzer.
So sehen das auch die Ermittler der Kemptener Kripo und der Alpinen Einsatzgruppe. „Hätten die Geschädigten die Seilbeschädigung nicht rechtzeitig bemerkt, hätte dies zu einem folgenschweren Absturz, möglicherweise sogar mit tödlichem Ausgang, führen können“, beschreibt Kripo-Ermittler Norbert Bernhard die möglichen Konsequenzen. Das Seil und die Plastiktüten werden derzeit beim Bayerischen Landeskriminalamt auf Spuren untersucht.
Stefan Heiligensetzer
„Wir konnten uns das nicht erklären.“
„Wer so etwas macht, nimmt wissentlich in Kauf, dass jemand zu
Tode stürzt.“
Wem zwischen dem 3. und dem 13. März an der Stuhlwand etwas aufgefallen ist, soll sich bei der Kemptener Kripo, Telefonnummer 0831 / 909-0, melden.