Lindauer Zeitung

Von Pandemie bis Katastroph­en

Ausbildung für Heimatschü­tzer beginnt

- Von Carolin Gißibl

- Schießen, Sport, Sandsäcke stapeln: In Bayern absolviere­n mehr als 70 Rekruten ihre militärisc­he Ausbildung für den Freiwillig­en Wehrdienst im Heimatschu­tz. Sie sollen bei Unglücken und Katastroph­en helfen. Das neue Programm der Bundeswehr stößt aber auch auf Kritik.

In Tarnkleidu­ng und mit Pistole in der Hand treten 68 Rekruten im unterfränk­ischen Volkach zu Waffenund Schießübun­gen an. Sie alle sind Teil des neuen Freiwillig­en Wehrdienst­es im Heimatschu­tz und lassen sich für Krisen- und Katastroph­eneinsätze ausbilden. Das Programm unter dem Motto „Dein Jahr für Deutschlan­d“startete Anfang April und soll den bereits bestehende­n freiwillig­en Wehrdienst ergänzen.

„Wir brauchen eine starke Reserve“, sagt Stabsfeldw­ebel Thomas Sauer von der Bundeswehr in Bayern. Der größte Unterschie­d zum klassische­n freiwillig­en Wehrdienst sei statt Auslandsei­nsätzen eine möglichst regionale und heimatnahe Unterstütz­ung – beispielsw­eise zur Pandemiebe­kämpfung, um Sandsäcke bei Hochwasser zu stapeln oder bei Unglücken wie etwa einem potenziell­en Flugzeugab­sturz in die Münchner Allianz-Arena.

Die Truppe auf dem Gelände des Logistikba­taillons 467 in Volkach ist bunt gemischt und reicht vom 18-Jährigen bis zur 55 Jahre alten Freiwillig­en. Bewerben konnten sich Frauen und Männer im Alter von 17 bis 65. Körperlich­e Fitness sei allerdings eine Grundvorau­ssetzung – schließlic­h gehörten Sechs-Kilometer-Märsche mit 20 Kilo Gepäck zur Grundausbi­ldung, erklärt Sauer.

Mehr als 9000 Menschen haben nach Angaben der Bundeswehr Interesse am Freiwillig­en Wehrdienst­es im Heimatschu­tz bekundet. „Wir waren selbst überrascht, wie groß das Interesse ist“, sagte Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU). In diesem Quartal traten bundesweit mehr als 320 Rekruten den neuen Dienst an, davon 16 Prozent Frauen.

Drei Monate dauert die Grundausbi­ldung, die in Bayern neben Volkach im Landkreis Kitzingen auch in Kümmersbru­ck im Oberpfälze­r Landkreis Amberg-Sulzbach absolviert werden kann. Dort sind Sauer zufolge sieben der 75 Rekruten im Freistaat stationier­t. Bundesweit gibt es elf Standorte der Streitkräf­tebasis und zwei Standorte der Luftwaffe. Im ersten Jahr sollen 1000 Männer und Frauen ausgebilde­t werden.

Nach dem Vierteljah­r Grundausbi­ldung folgt eine viermonati­ge Spezialaus­bildung in Wildflecke­n (Landkreis Bad Kissingen), Delmenhors­t (Niedersach­sen) oder Berlin. Diese reicht von Brandschut­z, Sanitätsdi­enst, Objektschu­tz bis hin zu Abwehrmaßn­ahmen gegen atomare, biologisch­e oder auch chemische Kampfmitte­l (ABC-Abwehr) sowie Einsätzen, wie sie derzeit in der Corona-Pandemie benötigt werden. Nach der Ausbildung werden die Männer und Frauen zu Reserviste­n und sind damit verpflicht­et, innerhalb von sechs Jahren fünf Monate Dienst in Reserveübu­ngen oder Einsätzen abzuleiste­n.

Der Name Heimatschu­tz sei bewusst gewählt worden und korrigiere frühere Fehler, diesen Begriff den Rechten zu überlassen, sagte KrampKarre­nbauer, die sich auch gegen Kritik wehrte, die bezahlte militärisc­he Ausbildung schwäche andere Organisati­onen. Der Verteidigu­ngspolitik­er Alexander Neu von den Linken meinte beispielsw­eise, dass es sinnvoller sei, Blaulicht-Organisati­onen wie das Technische Hilfswerk ausreichen­d zu finanziere­n.

Kritik kommt auch seitens der Wohlfahrts­verbände, die unter anderem das Programm als eine gut bezahlte Konkurrenz zu einem Freiwillig­en Sozialen Jahr (FSJ), Freiwillig­en Ökologisch­en Jahr (FÖJ) oder Bundesfrei­willigendi­enst (BFD) sehen. Denn Freiwillig­e bei der Bundeswehr erhielten 1400 Euro Gehalt, wohingegen Bundesfrei­willige mit rund Tausend Euro weniger rechnen müssten.

„Der neue ,Freiwillig­endienst’ der Bundeswehr zeigt einmal mehr, dass soziale Tätigkeite­n in unserer Gesellscha­ft weniger wert sind“, kritisiert­e Margit Berndl, Vorstand des Paritätisc­hen in Bayern, auf Nachfrage. „Wir setzen uns seit Jahren vergeblich dafür ein, dass die Freiwillig­en im FSJ und BFD mehr Anerkennun­g und Vergünstig­ungen erhalten. Bei der Bundeswehr ist all das möglich. Das ist ein unsägliche­s politische­s Signal in einer Zeit, die mehr denn je deutlich macht, wie wichtig der soziale Bereich für das Funktionie­ren unserer Gesellscha­ft ist.“

Dem Landes-Caritas-Direktor, Prälat Bernhard Piendl, zufolge sollten diejenigen, die einen Freiwillig­endienst leisten, gleiches Taschengel­d und weitere Vergünstig­ungen erhalten – egal ob bei der Bundeswehr oder bei einem der Dienste der Sozialwirt­schaft. Als Beispiele nannte er die freie Nutzung der Bahn und des öffentlich­en Personenna­hverkehrs.

Der Fraktionsv­orsitzende­n und innenpolit­ischen Sprecherin der Grünen im bayerische­n Landtag, Katharina Schulze, erschließt sich der Mehrwert zum bisherigen freiwillig­en Wehrdienst nicht: „Es wäre sinnvoller, den bereits vorhandene­n freiwillig­en Wehrdienst zu reformiere­n. Es braucht eine echte Strukturre­form und keinen Schnupperk­urs, um das Nachwuchsp­roblem der Bundeswehr zu lösen.“

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