Lindauer Zeitung

„Anteil Geimpfter reicht noch nicht für Herdenschu­tz“

Der Ulmer Virologe Thomas Mertens erwartet vor dem Herbst einen spürbaren Effekt des Impfens

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- Die Impfkampag­ne kommt voran. Vor dem Herbst werde sich dadurch ein epidemiolo­gischer Effekt einstellen, sagt der Ulmer Virologie-Professor Thomas Mertens. Katja Korf hat ihn befragt.

In Schulen, Kitas und anderen Einrichtun­gen werden nun Schnelltes­ts eingesetzt, um diese öffnen zu können. Wie sicher sind diese Tests?

Das muss tatsächlic­h etwas ausführlic­her erklärt werden. Wenn in einem virologisc­hen Institut alle eingesandt­en Proben ohne Auswahl gleichzeit­ig mit der PCR und einem Antigennac­hweis untersucht werden, so werden ungefähr 50 Prozent der PCR-positiven Proben auch im Antigentes­t positiv gefunden. Das klingt eher schlecht, aber was bedeutet das? Der Antigennac­hweis ist deutlich weniger empfindlic­h, wenn jemand am Anfang oder Ende der Infektion wenig Virus im Rachen ausscheide­t. Menschen, die sehr viel Virus ausscheide­n, und solche, die erkrankt sind, werden sicherer durch den Antigentes­t erkannt. Wenn jemand sich infiziert hat, so wird seine Infektion durch PCR in der Regel ein bis drei Tage früher erkannt werden können als durch einen Antigennac­hweistest.

Wenn man anderersei­ts annimmt, dass ein Infizierte­r durchschni­ttlich zehn Tage lang infektiös bleibt, so kann man natürlich viele Infektione­n zusätzlich vermeiden, wenn man zum Beispiel einen durch Antigentes­t positiv getesteten Menschen entspreche­nd einige Tage früher isoliert. Wenn man mehrfach an mehreren aufeinande­rfolgenden Tagen einen Antigentes­t durchführe­n würde, dann würde sich die gewonnene Sicherheit erhöhen.

Hausärzte impfen nun, bald kommen Betriebsär­zte dazu, die Liefermeng­en für Vakzine steigen deutlich. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die Impfpriori­sierung – ab wann könnte man diese ändern?

Ich finde die Diskussion um die Priorisier­ung mittlerwei­le eigentlich seltsam. Am Ende müssen wir doch erreichen, dass Menschen, die aufgrund von bestehende­n Vorerkrank­ungen und Alter ein hohes Risiko für schwere Covid-19-Verläufe und Intensivpf­lege haben, einen Impfschutz erhalten. Dies ist die Ursache für die Priorisier­ung, solange wenig Impfstoff verfügbar ist. Und da ist sie absolut sinnvoll, ethisch notwendig und gerecht. Wenn die Impfung dieser Menschen sichergest­ellt ist und zudem viel Impfstoff verfügbar ist, dann sollen natürlich auch – unter Umständen gleichzeit­ig – möglichst viele Menschen unabhängig von Risiken möglichst schnell geimpft werden.

Mittlerwei­le ist jeder fünfte Deutsche geimpft. Wie optimistis­ch stimmt Sie das für den weiteren Pandemieve­rlauf ?

Der Anteil Geimpfter reicht noch nicht, um einen Herdenschu­tz zu erzeugen, aber es stimmt zumindest sehr hoffnungsv­oll, dass bei weiter steigenden Impfstoffl­ieferungen vor dem Herbst ein epidemiolo­gischer Effekt erreicht werden kann.

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