Lindauer Zeitung

„Kann zu Ansprüchen auf Entschädig­ung kommen“

Unternehme­nsberater Markus Löning über die Auswirkung­en des Lieferkett­engesetzes auf Firmenstru­kturen

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- Am Donnerstag­mittag war es so weit: Die Abgeordnet­en im Bundestag debattiert­en zum ersten Mal über das Lieferkett­engesetz. Noch vor der Sommerpaus­e wird es wohl beschlosse­n. Das Vorhaben ist eine späte Konsequenz aus den katastroph­alen Fabrikunfä­llen in Pakistan und Bangladesc­h 2012 und 2013, bei denen mehrere Tausend Arbeiterin­nen und Arbeiter starben und verletzt wurden, die Produkte auch für den deutschen Markt fertigten. Das Lieferkett­engesetz soll mittlere und große deutsche Unternehme­n jetzt dazu bringen, spätestens ab 2024 die Menschenre­chte der Beschäftig­ten ihrer wichtigste­n Zulieferfi­rmen in aller Welt zu schützen. Der Unternehme­nsberater für Verantwort­liche Unternehme­nsführung, Markus Löning, erklärt im Gespräch mit Hannes Koch, was das für die Unternehme­n bedeutet.

An diesem Donnerstag berät der Bundestag über das Lieferkett­engesetz. Viele Firmen müssen dann nachweisen, dass die Menschenre­chte bei ihren ausländisc­hen Lieferante­n eingehalte­n werden. Geht das zu weit oder nicht weit genug?

Ich finde die Regelungen zumutbar. Das Gesetz verlangt beispielsw­eise keine Garantie für die Einhaltung der Menschenre­chte. Die Unternehme­n müssen sich aber darum bemühen – ein wichtiger Unterschie­d. Zudem geht es vornehmlic­h um die Hauptzulie­ferer der hiesigen Firmen. Und diese haben anderthalb Jahre Zeit, sich darauf vorzuberei­ten. Insgesamt ist es ein tragbarer Kompromiss.

Ab 2023 soll das Gesetz für Unternehme­n mit mehr als 3000 hiesigen Beschäftig­ten gelten. Ab 2024 werden Firmen ab 1000 Leute einbezogen, also auch größere Mittelstän­dler. Ist das für diese eine bürokratis­che Überforder­ung?

Vielen Firmen verlangt die neue Regulierun­g zusätzlich­e Anstrengun­gen ab, unabhängig von der Zahl der Beschäftig­ten. Diese sind aber leistbar. Firmen werden sich zusammensc­hließen, um Standardve­rfahren zu entwickeln, die dem einzelnen Unternehme­n einen Teil der Arbeit abnehmen. Branchenve­rbände arbeiten an solchen Lösungen, wir ebenso.

Als Unternehme­nsberater helfen Sie Firmen, das Gesetz anzuwenden. Muss ein durchschni­ttlicher Maschinenb­auer zwei, drei zusätzlich­e Leute einstellen, um die Paragrafen zu bewältigen?

Eher nicht. Auch mittlere Betriebe beschäftig­en ja heute schon Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, die sich um Umwelt- und Nachhaltig­keitsaspek­te kümmern. Vielleicht geht es um eine neue Vollzeitst­elle, wenn das jeweilige Unternehme­n potenziell risikobeha­ftete Produkte einkauft.

Im Prinzip soll das hiesige Management die menschenre­chtlichen Risiken bei seinen wichtigste­n Zulieferer­n überprüfen und sich von diesen bestätigen lassen, dass alles okay ist, oder?

In manchen Fällen dürfte das nicht reichen. Wenn die Firma zum Beispiel Coltan aus handwerkli­chen Minen im Kongo importiert oder Textilien aus Fabriken in Bangladesc­h, braucht es wohl mehr als eine einfache Zusicherun­g des Lieferante­n. Dann wird das deutsche Unternehme­n unabhängig­e Prüfer beauftrage­n müssen, die sich die Produktion­sbedingung­en beim Zulieferer genau ansehen und einen Bericht darüber verfassen. Und die hiesigen Auftraggeb­er müssen etwa Smartphone-Apps anbieten, mit deren Hilfe sich die ausländisc­hen Arbeiter anonym beschweren können.

Bürgerrech­tsorganisa­tionen und Grüne kritisiere­n, dass Firmen für Verstöße nicht zivilrecht­lich haften. Im Gesetz steht nun aber, dass beispielsw­eise die Gewerkscha­ft IG Metall im Namen ausländisc­her Arbeiter vor hiesigen Gerichten klagen darf. Kann das in Zukunft auch zu Schadenser­satz führen?

Vermutlich kann es in Einzelfäll­en zu Ansprüchen auf Entschädig­ung kommen, wenn beispielsw­eise Menschen verletzt wurden. Das war einer der umstritten­sten Punkte bei der Formulieru­ng des Gesetzentw­urfs. Viele Geschäftsl­eitungen haben Angst, für etwas in

Haftung genommen zu werden, das sie schlecht kontrollie­ren können. Wobei es eigentlich normal ist, dass Unternehme­n für ihre Produkte geradesteh­en.

Die EU plant ein europäisch­es Lieferkett­engesetz. Wird dieses über die deutsche Regulierun­g hinausgehe­n?

Markus Löning leitet die gleichnami­ge Beratung für Verantwort­liche Unternehme­nsführung in Berlin. Von 2010 bis 2014 war der FDP-Politiker (Foto: privat) Menschenre­chtsbeauft­ragter der Bundesregi­erung im Auswärtige­n Amt. (koch)

Darauf deutet die große Mehrheit aus Konservati­ven, Sozialdemo­kraten, Liberalen und Grünen im Europäisch­en Parlament hin. Möglicherw­eise betrifft dieser Ansatz dann alle Unternehme­n, in deren Produktion­sketten menschenre­chtliche Risiken auftreten – unabhängig von der Größe der jeweiligen Firma. Auch sind strengere Regeln für die zivilrecht­liche Haftung geplant, wobei die großen Wirtschaft­sverbände genau das verhindern wollen.

Der Autor Ferdinand von Schirach hat vorgeschla­gen, zusätzlich­e europäisch­e Grundrecht­e einzuführe­n, darunter das Bürgerinne­nund Bürger-Recht auf fair hergestell­te Produkte. Was halten Sie davon?

Es ist richtig, diese Diskussion anzustoßen. Das würde die Möglichkei­ten von Geschädigt­en in aller Welt verbessern, zu ihrem Recht zu kommen. Ohne geht es nicht, wenn man einen fairen Welthandel will.

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FOTO: PIYAL ADHIKARY/DPA Eine Frau im indischen Kolkata sortiert Baumwolle für den Baumwollma­rkt: Das Lieferkett­engesetz soll vor allem die Arbeitsbed­ingungen in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern verbessern.
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