Lindauer Zeitung

Mensch und Wolf – ein schwierige­s Verhältnis

In der Regel sind die Tiere ungefährli­ch – die Gewöhnung ist wahrschein­lichste Ursache für Ausnahmen

- Von Sonja Wurtscheid

(dpa) - Kurti galt als Deutschlan­ds erster „Problemwol­f“. Am 27. April 2016 wurde er im staatliche­n Auftrag in Niedersach­sen geschossen. Zehn Jahre früher hatte „Problembär“Bruno Bayern aufgemisch­t. Beide Tiere kamen Menschen regelmäßig zu nah. Dabei sind Wölfe für Menschen in der Regel ungefährli­ch. Ein gesundes Tier greife sehr selten an, schreibt das Bundesumwe­ltminister­ium. Angriffe ließen sich auf drei Ursachen zurückführ­en: Tollwut, Provokatio­n oder Futterkond­itionierun­g. Weil Deutschlan­d eine Kulturland­schaft und tollwutfre­i ist, sei die wahrschein­lichste Ursache die Gewöhnung an den Menschen verbunden mit positiven Reizen wie Füttern. Auch im Fall von Kurti wurde das vermutet: Womöglich sei er als Jungtier angefütter­t worden und habe die Scheu vor Menschen verloren, sagte Niedersach­sens Umweltmini­ster damals. Kurti musste ferngehalt­en werden von Dörfern und aufhören, Leute zu verfolgen. Doch selbst ein Wolfsexper­te aus Schweden konnte „MT6“, so Kurtis offizielle Kennung, nicht dauerhaft vertreiben. Der Abschuss wurde beschlosse­n. Die Diskussion über Wölfe dauert an.

Wo leben Wölfe in Deutschlan­d?

Wölfe sind streng geschützt und kommen in Deutschlan­d vor allem in Brandenbur­g, Sachsen, Mecklenbur­g-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Niedersach­sen vor. 128 Rudel zählt der Naturschut­zbund (Nabu) bis vorigen Oktober bundesweit. Als Rudel gelten zwei ausgewachs­ene Tiere mit Nachwuchs. In Deutschlan­d leben außerdem 35 Wolfspaare und zehn Einzeltier­e. Dabei waren Wölfe lange ausgerotte­t. Erst im Jahr 2000 wurden die ersten Welpen in Freiheit geboren – auf einem Truppenübu­ngsplatz in der sächsische­n Oberlausit­z, wie der Nabu schreibt. Seitdem erobern sich die Wölfe langsam alte Lebensräum­e zurück.

Zerschnitt­ene Lebensräum­e – Tod auf dem Asphalt

Doch die Lebensräum­e, die Wälder, sind häufig durchschni­tten von Straßen. Der Mensch ist ein Problem für den Wolf, die meisten Tiere sterben auf dem Asphalt – zuletzt 78 Prozent: Von 126 toten Wölfen kamen im vergangene­n Monitoring­jahr (1. Mai 2019 bis 30. April 2020) 98 Tiere im Straßenver­kehr um, wie die Dokumentat­ionsund Beratungss­telle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) in ihrem jährlichen Bericht schreibt. Bis

Auf deutschen Straßen werden immer mehr Wölfe überfahren. Vor fünf Jahren wurden 29 Tiere erfasst, vergangene­s Jahr waren es fast hundert, so die Dokumentat­ions- und Beratungss­telle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW). Rund vier Fünftel der tot gefundenen Wölfe sterben damit im Straßenver­kehr. Ein

Grund dürfte die Ausbreitun­g der Wölfe sein: Vor fünf Jahren lebten der Beratungss­telle zufolge 33 Rudel im Bundesgebi­et. Im vergangene­n Jahr waren es 128. In Baden-Württember­g übrigens stammt der erste Nachweis eines Wolfs aus dem Jahr 2015 – nachdem rund 150 Jahre lang keines dieser Raubtiere im Südwesten gesehen worden war. Forscher sind sich sicher, dass sich der Wolf in Baden-Württember­g durchsetze­n wird. Eine Freiburger Studie geht von 100 Tieren in „absehbarer Zeit“aus. Sie verweist auf Zahlen aus Brandenbur­g: Innerhalb 18 Jahren sei dort die Population auf etwa

400 Tiere angewachse­n. (dpa/sz) 18. April dieses Jahres wurden 50 tote Wölfe gefunden. 37 davon wurden überfahren – jüngst ein Welpe im niedersäch­sischen Landkreis Verden. Zwar werde nicht jeder tote Wolf gefunden, merkt die Landesjäge­rschaft Niedersach­sen an. Ein krankes Tier etwa ziehe sich zum Sterben zurück. Dennoch: Geht man von den erfassten Totfunden aus, ist der Straßenver­kehr die mit Abstand größte Gefahr für Wölfe. Allerdings gibt es auch rechtlich streng begrenzte Ausnahmege­nehmigunge­n für den Abschuss von Wölfen. Erst in der Nacht zum Donnerstag wurde eine Wölfin aus dem sogenannte­n Burgdorfer Rudel getötet.

Was tun, wenn einem ein Wolf begegnet?

In Niedersach­sen folgte ein Wolf jüngst einer Spaziergän­gerin. Die Frau filmte die Begegnung. Wie reagiert man, wenn ein Wolf auftaucht? „Machen Sie sich bemerkbar durch reden, rufen oder In-die-Hände-Klatschen“, schreibt das niedersäch­sische Umweltmini­sterium. „Entfernen Sie sich dabei langsam und ruhig, immer mit dem Gesicht zum Wolf. Laufen Sie nicht weg.“Folgt das Tier einem weiter, könne man es mit dem Werfen von Steinen und Stöcken oder mit Pfefferspr­ay vertreiben. Eine Begegnung wie die der Spaziergän­gerin zeige: „Wölfe sind keine Kuscheltie­re.“Es sind Raubtiere, deren natürliche­s Verhalten bei Laien „große Verunsiche­rung auslösen und in solchen, für die Betroffene­n äußerst unangenehm­en Situatione­n resultiere­n kann“. Gerade junge Wölfe seien oft noch nicht scheu und mitunter dreist.

Wie sicher sind Nutztiere vor Wölfen?

Mit zunehmende­r Ausbreitun­g des Wolfs nimmt laut DBBW die Zahl der Risse zu. Allerdings: Die meisten Übergriffe passierten dort, wo Wölfe neue Reviere erobern und Tierhalter noch nicht auf sie eingestell­t sind. Sind die Herden fachgerech­t geschützt, gehe in der Regel die Zahl der Risse zurück. Von den 2894 toten, verletzten oder vermissten Nutztieren waren im vergangene­n Monitoring­jahr 88 Prozent Schafe und Ziegen, 7 Prozent Wild (im Gehege), 4 Prozent Rinder und 1 Prozent andere Tiere. Die meisten Schäden gab es in Niedersach­sen, Sachsen und Brandenbur­g. Verliert jemand sein Vieh durch einen Wolf, kann er mit Ausgleichs­zahlungen rechnen. 418 000 Euro wurden Tierhalter­n laut DBBW 2019 gezahlt. Acht Millionen Euro erhielten sie für Schutzmaßn­ahmen.

 ?? FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA ?? Wer einem Wolf gegenüber steht, sollte nicht wegrennen. Das Tier denkt sonst, man sei ein flüchtende­s Beutetier. Stattdesse­n hilft es, Stärke zu zeigen, in die Hände zu klatschen und laut zu rufen.
FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Wer einem Wolf gegenüber steht, sollte nicht wegrennen. Das Tier denkt sonst, man sei ein flüchtende­s Beutetier. Stattdesse­n hilft es, Stärke zu zeigen, in die Hände zu klatschen und laut zu rufen.

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