„Querdenker“wollen Landtag abberufen
Kritiker der Corona-Maßnahmen versuchen, per Volksbegehren Neuwahlen in Bayern zu erzwingen
- Kritiker der Corona-Maßnahmen protestieren nicht nur auf der Straße. Die „Wir Partei“möchte Bayerns Landtag per Volksbegehren abberufen. Zu den Unterstützern gehören sogenannte „Querdenker“aus Kempten. 25 000 Unterschriften sind für den Zulassungsantrag nötig.
Mehr als 33 000 gibt es laut Gerhard Estermann (Wir Partei) bereits. Bis Mitte Mai wolle man den Antrag einreichen, sagt er. Zudem gibt es „die Basis“, für die bereits in Durach ein Kreisverband Allgäu gegründet wurde. Ihr Ziel ist direkte Demokratie, um die Bürger aktiv an politischen Prozessen teilnehmen zu lassen.
Beide seien aus der Kleinstpartei „Widerstand 2020“hervorgegangen, die im Zuge der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen gegründet wurde, erklärt der FDP-Landtagsabgeordnete Dominik Spitzer. Er spricht von einem verlängerten Arm der „Querdenker“-Szene in die Politik für die, „die mit der völkischen Politik einer AfD nichts zu tun haben wollen und sich eher im linken politischen Spektrum verorten würden“.
Spitzer räumt ihnen mangels konkreter Inhalte und gefestigter Struktur bei anstehenden Wahlen wenig Chancen ein. „Mit dem Abflachen der Corona-Krise werden diese Parteien wie schon andere Bewegungen an Aufmerksamkeit verlieren“, sagt der FDP-Politiker.
Thomas Kreuzer, Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion, sieht die Neugründungen „erst mal“gelassen. Beide Parteien seien bei der Wahl in Baden-Württemberg zusammen nicht einmal auf zwei Prozent gekommen. Zugleich habe die AfD massiv eingebüßt. „Es sieht eher nach Zersplitterung der Ränder aus“, meint Kreuzer. Die deutliche Mehrheit in Deutschland halte die Corona-Maßnahmen für angemessen oder plädiere sogar für härtere.
Darauf verweist auch Landtagsvizepräsident Thomas Gehring (Grüne), betont allerdings zugleich, dass „Parteineugründungen absolut legitim“seien. Es sei nachvollziehbar, dass Menschen Maßnahmen, die ihren Alltag massiv betreffen, auch kritisieren. „Dass die Akzeptanz von Maßnahmen sinkt, wenn man beispielsweise den Osterurlaub auf Mallorca, nicht aber in der Ferienwohnung im Allgäu verbringen darf, darf niemanden wundern“, sagt FWLandtagsvizepräsident Alexander Hold. Für die Daseinsberechtigung einer Partei wäre es notwendig, sich allen Zukunftsaufgaben der Gesellschaft zu stellen, gemeinsame Werte und Positionen zu finden. Fast sämtliche Neugründungen seien an diesem Punkt gescheitert.
Sorgen macht Hold, wie viele Menschen für Fakten nicht mehr zugänglich seien. „Wir müssen uns intensive Gedanken machen, wie wir das Vertrauen in demokratische Abläufe und die verlässliche Kontrolle durch die Medien stärken können“, so der FW-Politiker.
Auch Thomas Gehring sorgt es, „wenn Leute kein Vertrauen mehr zur Presse, öffentlich-rechtlichen Medien, staatlichen Institutionen und der Wissenschaft haben, hier alles als Lüge abtun und gleichzeitig Videos im Internet kritiklos akzeptieren“.
Thomas Kreuzer missfällt die fehlende Distanzierung vieler CoronaGegner zu Rechtsextremen und die zunehmende Radikalisierung in Chatgruppen. „Aus aggressiven Tönen können schnell Gewalttaten werden.“
Dominik Spitzer sieht die Demokratie schon länger in einer ernst zu nehmenden Krise: Viele Menschen wendeten sich von der repräsentativen Demokratie ab und versuchten, über Bewegungen Einfluss zu nehmen.
Und die Chancen der Initiative zur Abberufung des Landtags? Hold bezweifelt, dass „die Initiatoren, die die Landtagsabgeordneten als Schande und blökende Schafe verunglimpfen, damit eine Mehrheit überzeugen können“. Kreuzer betont: „Das Volksbegehren verzerrt vollkommen die Realität.“
Auch Spitzer und Gehring räumen dem Volksbegehren keine Chancen ein: „Ich glaube nicht, dass eine so radikale Forderung von einer Million Bayern geteilt wird“, sagt der FDP-Landtagsabgeordnete. Es gebe viel an der Corona-Politik zu bemängeln. „Das machen wir als liberale Opposition tagtäglich.“
Deshalb den bayerischen Landtag auszutauschen, wäre keine echte Lösung.
„Das Volksbegehren verzerrt vollkommen
die Realität.“
CSU-Landtagsabgeordneter
Thomas Kreuzer