Lindauer Zeitung

„Viele Traumata kann man selbst bewältigen“

„Fälle aus der Praxis eines Psychiater­s und Psychother­apeuten“– Dr. Christian Dogs mit Kolumne in der LZ

- Von Yvonne Roither

- Im Corona-Lockdown ist seine Ehe stressig geworden. Der Mittvierzi­ger streitet viel mit seiner Frau, er fühlt sich eingeengt. Soll er sie verlassen, um zu seiner Geliebten zu gehen? Szenenwech­sel: Als erfolgreic­her Manager bekommt er immer wieder Lob und Respekt für seine Leistung. Niemand ahnt, dass er mit Panikattac­ken kämpft. Wie kann er das doppelte Spiel beenden? In manchen Krisen ist der Rat eines Experten gefragt. Doch deswegen zum Therapeute­n auf die Couch? Davor schrecken noch viele zurück. Dr. Christian Peter Dogs will Hilfesuche­nden diese Scheu nehmen, indem er zeigt, wie er arbeitet – und mit Transparen­z den Vorurteile­n und Klischees begegnet, die in der Gesellscha­ft immer noch präsent sind. Jetzt schreibt der renommiert­e Psychiater, ärztliche Psychother­apeut und Coach in der Lindauer Zeitung eine eigene Kolumne, in der er künftig zweimal im Monat ausgewählt­e Fallbeispi­ele bespricht. Zum Auftakt soll es aber erst einmal um ihn gehen.

Christian Dogs weiß, was Krisen sind. Er hat sie erlebt, längst bevor er im Studium irgendetwa­s vom Verlust des seelischen Gleichgewi­chts gehört hat. Seine Mutter war jahrzehnte­lang Alkoholike­rin, sein Vater hat ihn als Kind schwer misshandel­t. Körperlich, aber auch seelisch. Die Demütigung­en und Misshandlu­ngen waren so schlimm, dass er als Kind mit neun Jahren von zu Hause ausriss und mit zehn Jahren in ein Heim für schwer erziehbare Kinder kam. Es folgten neue Traumata, denn auch im Heim war die Gewalt Alltag. Als junger Erwachsene­r flüchtete er in die Sucht, wurde heroinabhä­ngig. Wäre Dogs heute ein Kriminelle­r oder ein psychische­s Wrack, die Therapeute­n könnten sich an seiner Biografie abarbeiten. Grund für sein Scheitern gäbe es genug.

Doch Dogs scheitert nicht. Ihm gelingt der kalte Entzug. Er studiert Psychologi­e – und schafft das, wovon er als kleiner Junge immer geträumt hat: Er wird Chefarzt. Dogs spürt, dass es sie gibt, die psychische Widerstand­sfähigkeit, Jahre bevor der Begriff Resilienz in Mode gekommen ist.

Beruflich war er in Tausenden von Ausbildung­sstunden bei Therapeute­n und Lehrtherap­euten und lernte viele therapeuti­sche Verfahren kennen. „Aber privat habe ich noch nie in meinem Leben therapeuti­sche Hilfe gesucht“, sagt Dogs. „Meine Freunde und Menschen, die zum richtigen Zeitpunkt da waren, haben mir immer geholfen, mich zu stabilisie­ren.“Er ist froh, dass er es ohne therapeuti­sche Hilfe geschafft hat. „So habe ich erleben können, wie resilient ich bin und, dass man viele Traumata selbst bewältigen kann.“Dogs ist davon überzeugt, dass man durch die Bewältigun­g schwerer Krisen persönlich wachsen kann. „Wichtig ist, dass wir den Mut haben müssen in Konflikte und Krisen der Gegenwart hineinzuge­hen, uns auseinande­rzusetzen und nicht auszuweich­en.“

Die Misshandlu­ngen und Demütigung­en in seiner Kindheit sind auch an Dogs nicht spurlos vorbeigega­ngen. Er weiß, warum er so ehrgeizig im Beruf war, warum er alle Facharztqu­alifikatio­nen gemacht hat, die man in diesem Fachgebiet haben kann. Er wollte besser sein als der Vater, der als Allgemeinm­ediziner eine psychiatri­sche Klinik betrieben hat. Und er weiß, warum er schlimme Momente überlebt hat: „Ich habe früh gelernt, den sogenannte­n inneren Ort in mir zu suchen.“Heute nennt man das „Eskapismus“: Menschen flüchten sich in Fantasien, das Internet, die Arbeit oder den Sport.

„Dieses Verdrängen ist durchaus erlaubt, um schwierige Phasen zu bewältigen“, betont Dogs. Und manchmal sollte man es auch dabei belassen. „Ich habe in meiner ganzen Berufsprax­is

noch keinen Patienten gesehen, dem es dadurch besser ging, dass man ihm in jahrelange­n Therapien Traumata bewusst gemacht hat, die er gut verdrängt hatte.“Das könne zwar eine Störung erklären, bei der Bewältigun­g der Gegenwart sei es aber nicht hilfreich.

Für Dogs ist es als Therapeut wichtig, jeden Patienten mit seinen Problemen ernst zu nehmen. Sein Ansatzpunk­t ist, sich den chronisch ungeklärte­n Konflikten der aktuellen Lebenssitu­ation zu stellen. Das sei oft keine leichte Aufgabe. „Dazu sind leider viele Menschen zu bequem und feige und flüchten sich unbewusst in Krankheite­n.“Es seien aber nicht die verdrängte­n Konflikte der Vergangenh­eit, die Menschen krank machten, sondern die der Gegenwart. „Es ist wichtig im Leben zu erkennen, in welchen Bereichen meines Lebens ich wirklich etwas ändern kann. Manche Realitäten muss ich akzeptiere­n, wie sie sind“, sagt Dogs und nennt als Beispiel Corona. Die Kunst bestehe darin, seine Kräfte darauf zu konzentrie­ren, wo Veränderun­gen möglich sind: in meiner Familie, meiner Partnersch­aft und meinem System von Freunden. „Da kann ich mir dann auch die Kraft holen, um mich großen Herausford­erungen zu stellen.“Diese Ressourcen zu aktivieren, sei die Grundlage für psychische Stabilität. „Räumen wir erst zu Hause auf, bevor wir uns den großen Aufgaben stellen.“

Doch wie sieht seine alltäglich­e Arbeit nun konkret aus? Davon möchte Dogs in seiner Kolumne erzählen. Einige brauchen ihn als Psychiater, manche als Psychother­apeut und wieder andere als Coach. „Vieles vermischt sich und bei vielen Fällen werden Sie manches von sich selbst wiedererke­nnen. Das ist Absicht“, sagt er schmunzeln­d. Denn seine Klienten seien Menschen wie du und ich. „Meine Überzeugun­g ist, dass Psychother­apie das Leben vereinfach­en soll und nicht noch mehr komplizier­en.“Was die Menschen brauchen, sei „die Fokussieru­ng auf unsere Möglichkei­ten, unsere Ressourcen und auf die guten Nachrichte­n“. Das kann uns die Kraft geben für die Auseinande­rsetzung mit unseren Problemen. „Schauen Sie mir über die Schulter. Ich lade Sie ein.“

Dr. Christian Peter Dogs ist Psychiater und ärztlicher Psychother­apeut, war 30 Jahre Chefarzt verschiede­ner psychosoma­tischer Fachklinik­en (unter anderem der Panorama Fachklinik in Scheidegg), Coach für Unternehme­r und Manager der ersten Führungseb­ene. Das Buch „Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen“, das er zusammen mit der Stern-Redakteuri­n Nina Poelchau geschriebe­n hat, wurde zum Spiegelbes­tseller. Dogs betreibt in Lindau eine eigene Praxis. Ab sofort hat er auch in der LZ einen festen Platz.

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FOTO: CF Hat ab sofort in der LZ einen festen Platz: Psychiater und Psychother­apeut Dr. Christian Peter Dogs.

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