Lindauer Zeitung

835 Straftaten gegen Politiker

Zahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdreifac­ht – Mehr Anzeigen durch Online-Verfahren

-

(lby) - Immer mehr Politiker in Bayern werden Opfer von Hass, Bedrohung und Gewalt. Die Zahl politisch motivierte­r Straftaten gegen Amts- und Mandatsträ­ger ist im vergangene­n Corona-Jahr förmlich explodiert und hat sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdreifac­ht.

835 solcher Straftaten wurden gezählt, wie das bayerische Innenminis­terium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur in München mitteilte. 2019 waren nur 272 solcher Fälle gemeldet worden, im Jahr davor 232 und 2017 sogar nur 194. „Die deutliche Steigerung 2020 ist besorgnise­rregend, auch wenn ein Teil des Anstiegs sicherlich auf eine erhöhte Anzeigeber­eitschaft zurückzufü­hren ist“, sagte ein Ministeriu­mssprecher. „Dass entspreche­nde Taten angezeigt werden, ist aus unserer Sicht sehr wichtig. Nur dann können die Ermittlung­sbehörden unverzügli­ch eingreifen, um die Opfer zu schützen und die Täter zu verfolgen.“Seit dem vergangene­n Jahr können im Internet

„Während der Pandemie haben Hass und Hetze noch mal

deutlich zugenommen.“

Ilse Aigner (CSU), bayerische

Landtagspr­äsidentin

bedrohte oder beleidigte Kommunalpo­litiker in Bayern in einem Onlineverf­ahren direkt Anzeige erstatten. Geprüft werden die Meldungen dann von Bayerns Hate-SpeechBeau­ftragtem, Oberstaats­anwalt Klaus Dieter Hartleb.

Immer mehr Kommunalpo­litiker sahen sich in den vergangene­n Monaten direkten Anfeindung­en bis hin zu Morddrohun­gen im Netz ausgesetzt. So ergab eine nicht repräsenta­tive Umfrage des Bayerische­n Städtetage­s unter Dutzenden Bürgermeis­tern 2020: Rund 80 Prozent der Mandatsträ­ger haben bereits Erfahrunge­n mit Beleidigun­gen

im Netz gemacht. Fast die Hälfte der Befragten erhielt schon anonyme Drohungen als E-Mail oder Brief, über soziale Medien ist etwa jeder Dritte schon bedroht worden.

In der Folge verzeichne­ten die Parteien sogar bereits Probleme bei der Suche nach Interessen­ten für kommunalpo­litische Ämter und Mandate.

Ein besonders krasser Fall wird derzeit vor dem Oberlandes­gericht München verhandelt. Dort steht eine mutmaßlich­e Neonazi-Terroristi­n vor Gericht – unter anderem weil sie zwei Kommunalpo­litikern Todesdrohu­ngen geschickt und einen Brandansch­lag vorbereite­t haben soll.

Am zweiten Verhandlun­gstag schilderte­n die beiden Männer – ein Landrat und ein Bürgermeis­ter aus Franken – ihre Erfahrunge­n eindringli­ch vor Gericht. Beide hatten eine makabre Beileidska­rte und Munition für eine Pistole zugeschick­t bekommen und Drohanrufe erhalten. Es bedürfe

Ein Sprecher des bayerische­n

Innenminis­teriums

einer „Kampfansag­e der Demokratie an Staatsfein­de“, hatte der Bürgermeis­ter im Zeugenstan­d gesagt. Er habe sich schon gefragt, „wie viel Öffentlich­keit darf sich ein kleiner Bürgermeis­ter noch zutrauen, um sich und seine Familie nicht zu gefährden?“Das sei aber die falsche

Frage. Die richtige sei, wie eine Gesellscha­ft sicherstel­len könne, „dass die Öffentlich­keit nicht zur Gefahr wird“.

Bayerns Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner (CSU) verurteilt­e erst kürzlich eine zunehmende Verrohung in der Gesellscha­ft und kritisiert­e Hass und Hetze gegen Politiker. „Während der Pandemie haben Hass und Hetze noch mal deutlich zugenommen“, sagte sie. Insbesonde­re Kommunalpo­litiker seien betroffen. „Umso mehr müssen wir es ernst nehmen, wenn im Netz sogenannte Todesliste­n kursieren, die Abgeordnet­e ,zum Abschuss freigeben’. Und das, weil deren Abstimmung­sverhalten in den Parlamente­n nicht akzeptiert wird“, sagte Aigner. Längst gehe es nicht mehr um Einzelfäll­e, sondern um ein politische­s und gesellscha­ftliches Klima.

„Dass entspreche­nde

Taten angezeigt werden, ist aus unserer

Sicht sehr wichtig.“

 ?? FOTO: JENS SCHULZE/DPA ?? Besonders die Zahl der im Internet begangenen Straftaten steigt.
FOTO: JENS SCHULZE/DPA Besonders die Zahl der im Internet begangenen Straftaten steigt.
 ?? FOTO: DPA ?? Ilse Aigner
FOTO: DPA Ilse Aigner

Newspapers in German

Newspapers from Germany