Ein Luftschiff hebt ab
Mit seinem Musical „Zeppelin“will Ralph Siegel es allen zeigen – Prominenz bei der Premiere im Festspielhaus Neuschwanstein
Von Markus Röck
Es ist ein gigantisches Werk, das am Wochenende seine Uraufführung im Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen erlebte. Angemessen dem 245 Meter langen Zeppelin LZ 129 „Hindenburg“, einem der größten je gebauten Luftfahrzeuge. Angemessen aber auch dem Schöpfer des Musicals „Zeppelin“, Ralph Siegel, den der bayerische Ministerpräsident Markus Söder in seinem Grußwort von der Bühne herab just zum „Titan der deutschen Musik“beförderte.
Tatsächlich ist in jeder Szene zu sehen und in jedem Lied zu hören, dass da einer es allen noch einmal zeigen will. Dass er mehr kann, als mit gefälligen Schlagern Hitparaden zu erobern. Schicksalsdramen spielen sich auf der Bühne ebenso ab wie Geschichten um Liebe und Verrat, protestierende Arbeiter sind ebenso zu sehen wie marschierende und tanzende Nazis. Ein Zeppelin schwebt über die Köpfe der Zuschauer, Tanzrevuen aus Hollywood lassen grüßen. Die großen Fragen der Menschheit werden aufgeworfen.
Dank eines eindrucksvollen Bühnenbilds, schwungvollen Tanzeinlagen begleitet von Artistik und abwechslungsreicher Musik, ist keine Minute des vierstündigen Spektakels langweilig. Um sein Musical auf die Bühne zu bringen, setzte Komponist Siegel nicht nur sein Privatvermögen ein, sondern auch seine ohnehin angeschlagene Gesundheit aufs Spiel. Unermüdlich rackerte der 76-Jährige in den vergangenen Jahren, um seinen großen Traum wahr werden zu lassen. Sichtlich erschöpft begrüßte er vom Rollstuhl aus die Prominenz, darunter Wolfgang Bosbach, Katja Ebstein, Helmut Markwort, Carolin Reiber, Günther Siegl, Dagmar Wöhrl, die ans Ufer des Forggensees bei Füssen geströmt war.
Erleichtert war auch Theaterdirektor und Regisseur Benjamin Sahler. Nicht nur, weil es die erste große Premiere des Musiktheaters vis-à-vis Schloss Neuschwanstein war, seit dort 2005 mit „Ludwig2“das zweite Spektakel um den bayerischen Märchenkönig erstmals über die Bühne ging. Mit Siegels unbedingten Willen, das Stück nach zwei coronabedingten Absagen nun schnell auf die Bühne zu bringen, hatte er den Füssener Musicalmachern gehörige Hausaufgaben aufgegeben. Das gigantische Skelett eines Zeppelins findet sich ebenso auf der Bühne wieder wie ein Oldtimer, der Passagiere zur „Hindenburg“bringt, ein Flammenwerfer, eine große Showtreppe und der Bühnensee. Er markierte den Bodensee, in dem der Flugversuch des ersten Zeppelins endet.
Gewaltig auch das Textbuch von Hans Dieter Schreeb. Schließlich begnügte sich Ralph Siegel nicht mit der Tragödie des gigantischen Luftschiffs, das 1937 in Flammen aufging. Dabei böte das allein genug Stoff für einen ganzen Abend. Siegel kombinierte sie auch noch mit der Lebensgeschichte des Luftschifferfinders Graf Ferdinand von Zeppelin. Gleich drei Sänger stellen den Grafen in verschiedenen Lebensphasen dar: als Kind (Noah von Rom), das vom Fliegen träumt, als jungen Mann (Tim Wilhelm), der in Diensten König Karls I. von Württemberg (Alexander Kerbst) den amerikanischen Bürgerkrieg beobachtet. Und als Erfinder und Unternehmer.
Patrick Stanke zeigt ihn hin- und hergerissen zwischen Rückschlägen, der bedingungslosen Unterstützung seiner großen Liebe Isabella (Stefanie Gröning) und dem Rückhalt durch seinen Vater, der an ihn glaubt: „Junge, du schaffst das!“Bis er an einer Lungenentzündung leidend seinem Tod entgegenblickt und sein Lebenswerk in die Hände von Hugo Eckener übergibt. Sigmar Solbach hatte sich in dieser Rolle Zeppelins Vertrauen erworben.
Solbach verband mit seiner Figur auch die Zeitebenen: Als die Hindenburg 1937 gen USA abhebt, steht er an der Spitze des Unternehmens. Ansonsten helfen Übertitel über der Bühne dem Zuschauer, sich zurechtzufinden. Etwa im „KaDeKo“, dem Kabarett der Komiker 1937 in Berlin, wo die Wiener Sängerin Emmy Berg (großartig: Tanja Petrasek) erstmals als Jüdin Probleme bekommt. Von Eckener zwecks Flucht in die USA als Bordsängerin auf die „Hindenburg“geholt, gerät sie mit Nazi-Ekel und Frauenschläger Lutz Grivius (Hannes Staffler) aneinander.
Dennoch ist „Zeppelin“kein Drama um Faschismus versus Freiheit, auch wenn diese Frage nach dem Unglück der „Hindenburg“kurz aufgeworfen wird. Es ist auch keines um die große Liebe, auch wenn sich mehrere Pärchen eindrucksvoll singend anschmachten, und trotz Ferdinands Erkenntnis „Der Sinn des Krieges ist der Krieg“keines um Krieg und Frieden. Worüber dann, wird nicht ganz klar, denn die eine verbindende Idee fehlt. Die Frage „Wo führt der Weg uns hin?“im Schlusschor bleibt unbeantwortet.
Klar ist nur, es ist auch ein Stück über Ralph Siegel selbst. Wenn Graf Zeppelin sterbend in „Ich hab gelebt“von seinen Rückschlägen singt, die er überwunden hat, statt aufzugeben, ist es auch Siegel, der Bilanz zieht. Vermutlich ist auch Barpianist und Herzensbrecher Paul Stiller (Mathias Edenborn) ein Alter Ego Siegels. Gewiss sprechen auch die Huldigungen auf die USA als Land der Freiheit und unbegrenzten Möglichkeiten sowie englischsprachige Textteile von dessen Sehnsucht, es auch in Übersee mit dem Musical auf die Bühne zu schaffen. Wer weiß: Wenn es ihm noch gelingt, das Ganze auf dort übliche Maße zu straffen, hat sein Stück durchaus Potenzial.
Nach dem ersten Block im Oktober und November folgen Aufführungen von Mai bis Juli kommenden Jahres. Infos und Tickets unter