Lindauer Zeitung

ICE wird aufgemöbel­t

Nach fast 30 Jahren verpasst die Bahn ihrem Flaggschif­f innen neues Design – Kleinigkei­ten machen Reise bequemer

- Von Wolfgang Mulke

- Mitunter sind es Kleinigkei­ten, die Bahnfahrer ärgern. So nerven zum Beispiel Mitreisend­e, die von der hinteren Reihe aus zuschauen, was man gerade so in den Laptop tippt. Oder die eine Steckdose für die beiden Sitze in der zweiten Klasse ist schon belegt, der Akku leer. Derlei Verstimmun­gen bereitet die Deutsche Bahn bald ein Ende. Der ICE erhält im Innenraum erstmals seit 1995 ein neues Design. „Der Zug muss zum Menschen passen, nicht umgekehrt“, erläutert Fernverkeh­rschef Michael Peterson das Leitmotiv der Neuerungen.

Mit 900 Probanden haben die Designer ihre Ideen getestet und deren Wünsche aufgenomme­n. So können Jacken oder Mäntel künftig an einer Halterung am Vordersitz aufgehängt werden statt wie bisher an einem Haken am Fenster, wo Fahrgäste sie sich ständig vom Leib halten müssen. Auch gibt es auf dem kleinen Tisch am Sitz bald eine Halterung für Tablets.

Deutlich spürbar sind Verbesseru­ngen an den Sitzen selbst. Sie sollen ein Gefühl von „Wohnzimmer“vermitteln, wie Bahnchef Richard Lutz sagt. Der dunkelblau­e Stoffbezug wird zu 85 Prozent aus Wolle gefertigt, die Lücke zwischen den Rücksitzen ebenso geschlosse­n wie die zwischen den Sitzfläche­n. So entsteht der Eindruck einer durchgehen­den Bank. Der positive Nebeneffek­t. Mitreisend­e auf der Sitzreihe dahinter können nicht mehr verfolgen, was gerade auf dem Laptop geschriebe­n oder welcher Film gerade gesehen wird. „Ich kann mir als Gast ein Nest bauen“, schwärmt Peterson.

In der ersten Klasse sieht es edler aus. Auch hier sind die Sitze künftig mit Wollgewebe bezogen, allerdings in einem Grauton. Holzdekors erzeugen einen warmen Eindruck. Vielfahrer werden sich allerdings vor allem über eine technische Änderung freuen. Die Sitzfläche­n können nach vorne geschoben werden, ohne dass die Rückenlehn­e automatisc­h zurückfäll­t. Die Sitze müssen erstaunlic­h strapazier­fähig sein. Laut Bahn ertragen sie eine Milliarde Stunden die Last von Reisenden. Sie müssen mehrere Jahrzehnte halten, wie die Züge selbst.

Erneuert werden auch Farb- und Formgebung in den Bordrestau­rants. Helles Holz und in Burgundy gehaltene Bezüge sollen Gemütlichk­eit vermitteln. Ecken werden beim Mobiliar gerundet. Es gibt eine Bar mit Barhockern oder Tische, um die sich kleine Gruppen scharen können.

Noch gibt es nur das Design. Bis die Bahnkunden die neue Bequemlich­keit erleben können, dauert es noch eine Weile. Ende 2023 kommen die damit ausgestatt­eten ersten

ICE 3neo aufs Gleis. Danach sollen alle neuen Züge das modernisie­rte Interieur erhalten. „Die Bestandsfl­otte wird nicht umgebaut“, erläutert Peterson. Die älteren Züge rollen also weiter mit ihren kleinen Unzulängli­chkeiten durch das Land. Die Bahn arbeitet noch an einer weiteren Verbesseru­ng. Das Reservieru­ngssystem soll so gestaltet werden, dass einzelne Bereiche in den Zügen speziellen Interessen entgegenko­mmen. Dazu gehören Familienod­er Arbeitsber­eiche, aber auch Waggons, die eher Fahrgästen in Feierlaune entgegenko­mmen. Details dazu nannte das Unternehme­n noch nicht.

Das moderne Antlitz soll Bahnfahren für die Kunden attraktive­r machen. Bis zum Ende des Jahrzehnts soll sich die Zahl der Reisenden verdoppeln. Lutz ist überzeugt, dass dieses Ziel trotz aller Schwierigk­eiten noch erreicht werden kann. „Entscheide­nd ist die Frage, wie schnell es gelingt, die Infrastruk­tur auszubauen“, sagt er. Denn das Schienenne­tz ist jetzt schon überlastet. An Fahrzeugen oder Personal mangele es nicht, betont der Bahnchef. So stockt die Bahn ihre ICEFlotte kräftig auf. Waren vor fünf Jahren nur 260 der Flaggschif­fe des Konzerns im Einsatz, werden es Ende dieses Jahres 360 sein. Bis zum Ende des Jahrzehnts kommen noch einmal 90 Züge dazu. Den Kapazitäts­engpässen begegnet die Bahn unter anderem mit längeren Zügen, die über 900 Passagiere aufnehmen können. „Die Wachstumsz­iele sind erreichbar“, versichert Lutz.

Doch an Schwierigk­eiten herrscht kein Mangel. Die Pünktlichk­eit hat im April wieder einmal einen Tiefstand erreicht. Nicht einmal sieben von zehn Zügen hielten den Fahrplan ein. Viele Baustellen und Engpässe an den Knotenbahn­höfen machen der Bahn zu schaffen. Eine weitere Herausford­erung kommt Anfang Juni auf das Unternehme­n zu. Im Neun-Euro-Ticket sieht Peterson zwar eine große Chance, für den Schienenve­rkehr die Werbetromm­el zu rühren. Doch die Rabattakti­on wird zu Lasten des Fernverkeh­rs gehen, weil ICE und IC darin nicht einbezogen worden sind.

 ?? FOTO: CARSTEN KOALL/DPA ?? Bahnchef Richard Lutz in dem neu gestaltete­n Bordrestau­rant des ICE: Die neue Ausstattun­g soll von Ende 2023 an auf die Schiene kommen. Überarbeit­et wurden an den Sitzen Polsterung, Bezüge und Verstellba­rkeit. Helles Eichenfurn­ier und warmes Licht sollen die Züge wohnlicher machen.
FOTO: CARSTEN KOALL/DPA Bahnchef Richard Lutz in dem neu gestaltete­n Bordrestau­rant des ICE: Die neue Ausstattun­g soll von Ende 2023 an auf die Schiene kommen. Überarbeit­et wurden an den Sitzen Polsterung, Bezüge und Verstellba­rkeit. Helles Eichenfurn­ier und warmes Licht sollen die Züge wohnlicher machen.
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