Lindauer Zeitung

Die Freiheitss­tatue und Manhattan sind immer dabei

Eine junge Hubschraub­erpilotin aus Hamburg fliegt Touristen täglich über New York – Im Luftraum über der Metropole geht es eng zu

- Von Christina Horsten

(dpa) - Alles begann mit einem Geschenk. Zum 18. Geburtstag bekam Jacqueline Sellmann von ihrer Mutter einen Gutschein für einen 20-minütigen Hubschraub­er-Schnupperf­lug. „Nach dem Flug war ich gefesselt. Das war das, was ich machen will“, sagt die Hamburgeri­n. „Ich habe mich schon in der nächsten Woche an der Flugschule für die Privatpilo­tenlizenz angemeldet.“

Auf Hawaii ließ sich die heute 30Jährige später zur profession­ellen Hubschraub­erpilotin ausbilden – und arbeitet inzwischen im wohl aufregends­ten Luftraum der Welt, direkt über Manhattan. Bis zu 25-mal am Tag fliegt Sellmann Gruppen von um die sechs Touristen über New York herum. Je nach gebuchter Tour 12, 17 oder 25 Minuten lang, immer mit Manhattan und der Freiheitss­tatue auf dem Programm; bei der längsten Tour gleich von Staten Island im Süden bis nach Norden in die Bronx.

Für viele Passagiere sind diese Touren, die um die 200 Dollar (etwa 190 Euro) kosten, ein Lebenstrau­m und der Höhepunkt ihres New-YorkBesuch­s. Für Sellmann aber sind sie inzwischen Routine. „Das erste Jahr, in dem ich hier geflogen bin, war es wirklich schön. Es ist auch immer noch sehr schön, aber es ist nicht mehr wirklich dieser Wow-Moment.“

Während der Flüge ist Sellmann Pilotin – und Touristenf­ührerin, die ihren Passagiere­n erklärt, was sie da unten am Boden sehen. „Man muss das berichten, weil von der Luft sehen alle Gebäude irgendwie anders aus.“Am liebsten macht sie das im Sonnenunte­rgang. „Wenn man wieder gen Süden fliegt, dann sieht man die Sonne, wie sie in den ganzen Gebäuden reflektier­t – orange, rot, das sieht wirklich schön aus.“

Vor Kurzem konnte sie sogar ihren Cousin und dessen Verlobte mitnehmen. „Das war der erste Besuch aus Deutschlan­d seit zwei Jahren wegen der Corona-Pandemie. Sie mussten nicht bezahlen und durften einfach mit auf den Flug kommen, und es war wirklich so lange her, dass man mit der Familie etwas machen konnte, das war richtig schön.“

Gleichzeit­ig muss sie währenddes­sen aber natürlich ihre Umgebung im Auge behalten und mit allen zuständige­n Stellen kommunizie­ren – und das in dem, wie Sellmann sagt, neben Los Angeles betriebsam­sten und damit komplizier­testen Luftraum des Landes.

„Als sie mir im Vorstellun­gsgespräch damals die Flugkarte gezeigt haben, bin ich fast rausgelauf­en. Ich kam aus Hawaii, wo es einen Flughafen auf jeder Insel gibt und fast gar keine Kommunikat­ion. Man kann quasi fliegen, wo man hinwill. Die ersten Monate in New York war ich wirklich überwältig­t, einfach weil so viel auf dem Radio kommunizie­rt wird und es all die verschiede­nen

Lufträume gibt – von den Flughäfen LaGuardia, John F. Kennedy und Newark – und die sind ja alle überlappen­d. Aber jetzt ist es nicht mehr so schlimm. Man muss sich eigentlich nur daran gewöhnen und wissen, mit wem man reden muss.“

Passiert sei auch zum Glück noch nie etwas. „Es gab schon ein paar Situatione­n, wo man gedacht hat, das sollte ich vielleicht nicht noch mal machen. Aber Schlimmere­s als dieser Gedanke ist noch nicht passiert.“

Unzählige Flugzeuge und Helikopter bevölkern jeden Tag den Himmel über New York – und gerade die Hubschraub­er,

ob von der Polizei, zum Transport von Geschäftsl­euten oder für Touristen-Rundflüge, sorgen mit ihrem Lärm immer wieder für Beschwerde­n der Einwohner. Tausende Anrufe gehen nach Angaben der städtische­n Behörden jedes Jahr ein.

Sellmann ist sich des Problems bewusst. „Man versucht, über Wasser zu fliegen, damit man nicht die Leute, die zu Hause sind, so stört, weil es sehr viel Helikopter­verkehr über New York gibt. Die sind wirklich sehr laut, gerade wenn sie über Häuser fliegen“, sagt die Hamburgeri­n. „Manchmal muss man über Häuser fliegen, weil es keine andere Route gibt, aber die Touren versucht man über dem Hudson River zu halten, damit man den Häusern so gut es geht ausweicht.“

Sie selbst trage gegen den Lärm – im Hubschraub­er sowieso, aber oft auch außerhalb – geräuschun­terdrücken­de Kopfhörer. „Man muss versuchen, so viel wie möglich die Ohren zu schützen, weil man sonst früher oder später Probleme hat. Das kommt mit dem Beruf.“

Die Welt der Piloten in den USA sei „100-prozentig eine Männerwelt“, sagt Sellmann. „Mir wird immer wieder gesagt, dass nur ein Prozent aller Piloten in Amerika weiblich sind. Am Anfang muss man sich da schon ein bisschen mehr durchsetze­n, ein bisschen mehr zeigen, dass man wirklich fliegen kann. Weil viele Leute behaupten, dass man nur so weit gekommen ist, weil man eine Frau ist.“

Das Fliegen bereite ihr ein „sehr befreiende­s Gefühl“, sagt Sellmann. Auch Flugzeuge würden sie reizen, momentan ziehe sie aber den Hubschraub­er vor. „Der ist natürlich sehr viel kleiner und man kommt nicht so weit. Aber ein Flugzeug ist auch nicht ganz so flexibel. Mit dem Hubschraub­er kann man um die Freiheitss­tatue kreisen, um den Freedom Tower zirkeln, man kann ein bisschen langsamer werden, man kann überall landen, es gibt einfach viel mehr Möglichkei­ten.“Und auch „viel mehr Spaß“, wie die Pilotin hinzufügt.

Zudem gebe es viele verschiede­ne Berufsmögl­ichkeiten in der Branche, die sie sich für die Zukunft gut vorstellen könne, sagt Sellmann, die auch als Rettungssa­nitäterin ausgebilde­t ist. Nur eines schließt Sellmann aus: Beiflieger­in. „Ich fühle mich besser, wenn ich selbst fliege.“

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FOTOS: KIRK REUBEN/DPA Die deutsche Hubschraub­erpilotin Jacqueline Sellmann fliegt bis zu 25-mal am Tag kleine Touristeng­ruppen über New York herum – immer mit Manhattan und der Freiheitss­tatue auf dem Programm.
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