Lindauer Zeitung

Biobauer kontra Volkswagen

Landwirt will Autokonzer­n zu klimafreun­dlicherer Firmenpoli­tik zwingen – Verbrenner-Aus soll 2030 kommen

- Von Björn Hartmann

- In Saal 67 des Landgerich­ts Detmold wird an diesem Freitag ein Fall mit internatio­naler Bedeutung und möglicherw­eise einschneid­enden Folgen für einen Weltkonzer­n verhandelt. Biobauer Ulf AllhoffCra­mer aus dem Kreis Lippe hat VW verklagt. Der zweitgrößt­e Autobauer der Welt soll Verbrenner schneller aus dem Programm streichen als bisher geplant. Ein Verbot solcher Fahrzeuge von 2030 an fordert AllhoffCra­mer. VW nimmt die Klage nach eigenen Angaben sehr ernst, hält sie aber für unbegründe­t.

Der 61-jährige Landwirt klagt, weil er „künftig nicht durch übermäßige CO2-Emissionen in zentralen Rechtsgüte­rn wie Eigentum, Gesundheit und dem Recht auf Erhalt treibhausg­asbezogene­r Freiheit verletzt werden“will. Kurz: VW soll den Klimawande­l nicht mehr befeuern und Allhoff-Cramers Acker und Wald bei Detmold im östlichen NordrheinW­estfalen dadurch indirekt zerstören. VW allein hatte 2018 einen CO2Ausstoß von 582 Millionen Tonnen, nach Berechnung­en der Kläger etwa ein Prozent des gesamten Weltaussto­ßes und mehr als der von Australien (527 Millionen Tonnen).

Unterstütz­t wird der Biobauer von der Umweltschu­tzorganisa­tion Greenpeace. Die Klage hat Roda Verheyen formuliert. Die Rechtsanwä­ltin ist in der Branche bekannt. Unter anderem hat sie das Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts vom Frühjahr 2021 mit erstritten, das Klimaschut­z zu den Grundrecht­en zählte und die Bundesregi­erung zwang, ihr Klimaschut­zprogramm deutlich nachzubess­ern und die Belange zukünftige­r Generation­en mehr zu berücksich­tigen.

Der VW-Konzern verweist auf den radikalen Wandel hin zu E-Mobilität, den sich der Konzern verordnet hat. Er ist unter anderem eine Folge des Dieselskan­dals, des Aufstiegs des E-Autobauers Tesla zum ernsten Konkurrent­en und des Schubs für E-Mobilität in China, dem größten Absatzmark­t der Welt. Die Transforma­tion laufe seit Jahren, heißt es bei VW. „Volkswagen investiert bis 2026 insgesamt 52 Milliarden Euro in die Elektromob­ilität. Die Ziele für eine CO2-Reduzierun­g werden regelmäßig angepasst und wurden zuletzt 2022 verschärft.“

Der Konzern sieht sich in der Branche weit vorn. VW habe sich als erster Autokonzer­n zum Pariser Klimaschut­zabkommen bekannt und wolle bis spätestens 2050 bilanziell klimaneutr­al sein. Einzelne Konzerntöc­hter, etwa Audi, sind deutlich weiter. Die Ingolstädt­er wollen spätestens 2030 nur noch E-Autos verkaufen, die Marke VW 2035. Letzteres ist auch das Jahr, das die EU anstrebt für das Ende der Neuwagen mit Benzin- oder Dieselmoto­r.

Eine zentrale Frage des Verfahrens ist sicher, ob VW für den CO2Ausstoß

der verkauften Fahrzeuge verantwort­lich gemacht werden kann. Schließlic­h hängt der auch sehr entscheide­nd davon ab, wer die Autos wie fährt.

Der Fall erinnert an ein anderes Verfahren, das noch läuft. 2015 hat der peruanisch­e Bergführer Saúl Luciano Lliuya, ebenfalls unterstütz­t von Greenpeace und Verheyen, den Energiekon­zern RWE verklagt. Lliuyas Grundstück unterhalb eines Gletschers­ees droht überschwem­mt zu werden. Das Eis schmilzt wegen des Klimawande­ls. RWE, das in seinen Kraftwerke­n unter anderem große Mengen Braunkohle verfeuere, trage mit 0,47 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes nachhaltig dazu bei, so das Argument. Das Verfahren liegt inzwischen beim Oberlandes­gericht

Hamm. Demnächst reisen Mitarbeite­r des Gerichts nach Peru, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Gewinnt Lliuya, drohen RWE weitere Klagen und Zahlungen in Milliarden­höhe.

Verheyen sieht einen grundlegen­den Unterschie­d: Der RWE-Fall blicke in die Vergangenh­eit, der Bauer verlange Schadeners­atz. Das VWVerfahre­n schaue nach vorn, VW solle ein schädliche­s Verhalten abstellen. In der Klage heißt es: „Der Kläger verfolgt ausdrückli­ch nicht das Ziel, dass die Volkswagen AG (…) einen Schaden erleidet. Im Gegenteil: Die Beklagte könnte dieses Verfahren vielmehr auch als Gelegenhei­t erfassen, Maßnahmen zu ergreifen, die auch aus betriebswi­rtschaftli­cher Sicht nachhaltig vernünftig sind.“

Völlig abwegig ist es nicht, dass ein Gericht einen Konzern zum Klimaschut­z zwingt. Ein niederländ­isches Gericht verurteilt­e Shell vor knapp einem Jahr dazu, bis 2030 netto 45 Prozent weniger CO2 freizusetz­en als 2019. Das zwingt den größten Ölkonzern Europas, sein Geschäftsm­odell nachhaltig zu ändern. Das Urteil gilt als bahnbreche­nd. Es war das erste seiner Art.

Unklar ist bisher noch, ob das Landgerich­t Detmold überhaupt entscheide­t, die Klage anzunehmen. Anwältin Verheyen kündigte schon an, dann in die nächste Instanz zu gehen – ans Oberlandes­gericht Hamm. Der VW-Konzern rechnet damit, dass das Verfahren durch die Instanzen gehen wird: „Das wird sich sicher ziehen, dauert einige Jahre.“

 ?? FOTO: JAN HUEBNER/VOIGT/IMAGO ?? VW-Stammwerk in Wolfsburg: Der Landwirt Ulf Allhoff-Cramer verklagt VW, weil er „künftig nicht durch übermäßige CO-Emissionen in zentralen Rechtsgüte­rn wie Eigentum, Gesundheit und dem Recht auf Erhalt treibhausg­asbezogene­r Freiheit verletzt werden“will.
FOTO: JAN HUEBNER/VOIGT/IMAGO VW-Stammwerk in Wolfsburg: Der Landwirt Ulf Allhoff-Cramer verklagt VW, weil er „künftig nicht durch übermäßige CO-Emissionen in zentralen Rechtsgüte­rn wie Eigentum, Gesundheit und dem Recht auf Erhalt treibhausg­asbezogene­r Freiheit verletzt werden“will.

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