Eine Pause war sein frühes Meisterwerk
Der ehemalige IG-Metall-Spitzenfunktionär Franz Steinkühler wird heute 85 Jahre alt
- Es ist in den vergangenen Jahren ruhig geworden um Franz Steinkühler. Aber sein Platz in der Sozial- und Tarifgeschichte unseres Landes ist und bleibt ihm sicher. Heute feiert der ehemalige IGMetall-Spitzenfunktionär seinen 85. Geburtstag.
Als Franz Steinkühler 1972 Nachfolger des legendären Arbeiterführers Willi Bleicher als Stuttgarter Bezirksleiter der IG Metall wurde, war dies nicht nur ein Personalwechsel. Der neue Mann an der Spitze des wichtigsten Bezirks der größten Industriegewerkschaft verkörperte einen völlig neuen Gewerkschaftertyp. Stets elegant gekleidet, rhetorisch brillant, an bildender Kunst interessiert und einem gewissen Lifestyle nicht abgeneigt, hätte man dem damals 35-Jährigen auch den Vorstand eines Industrieunternehmens abgenommen. In der Sache freilich war Franz Steinkühler Gewerkschafter durch und durch und als harter Tarifpolitiker seinem Vorgänger Bleicher ebenbürtig. Dies bekam sein Kontrahent auf Arbeitgeberseite, HannsMartin Schleyer, auch bald zu spüren. Gleich im ersten Jahr als Bezirksleiter setzte Steinkühler den bis heute als historisch geltenden Lohnrahmentarifvertrag II durch mit umfangreichen Bestimmungen zur Arbeitsorganisation. Das bekannteste Detail war der neue Anspruch von Akkordlöhnern auf fünf Minuten Erholungspause je Stunde, die sogenannte „Steinkühler-Pause“.
Dieser Tarifvertrag war zweifellos ein frühes Meisterwerk Steinkühlers. In der breiten Öffentlichkeit wurde der Gewerkschafter aber vor allem als Gegenspieler des SchleyerNachfolgers Heinz Dürr bekannt. Ein solches Duo hatte es in der deutschen Tarifpolitik zuvor nicht gegeben. Zwar schenkten sich auch Dürr und Steinkühler nichts in einer Reihe ebenfalls richtungweisender Tarifverhandlungen. Aber dass darunter die persönliche Wertschätzung niemals gelitten hat, konnten und wollten beide nicht verbergen. Heinz Dürr hat es in der Regio-TV-Sendereihe „MenschWirtschaft“einmal so auf den Punkt gebracht: „Franz Steinkühler hatte Charisma. Er wollte über den Tellerrand hinausblicken, und wir beide wollten eine bessere Welt.“Dass der Respekt und die Sympathie durchaus gegenseitig waren, zeigte sich auch daran, dass Heinz Dürr, wie er sich gern erinnert, als einziger „Kapitalist“zu Steinkühlers 70. Geburtstag eingeladen war.
Bei der hohen Popularität, die Steinkühler bundesweit erreicht hatte, war es nur folgerichtig, dass er 1983 zum zweiten und 1986 zum ersten Vorsitzenden der IG Metall gewählt wurde. Zum Glücksfall für ihn selbst wurde dieser Karrieresprung jedoch nicht. Einmal, weil er als oberster Gewerkschaftschef auf das verzichten musste, was er am besten konnte und am liebsten tat: Tarifverhandlungen führen. Weit schlimmer freilich war, dass Franz Steinkühler 1993 in Verdacht geriet, er habe seine Position als Aufsichtsratsmitglied der Daimler-Benz AG für Aktien-Insidergeschäfte genützt und hohe Spekulationsgewinne realisiert. Dem starken öffentlichen Druck, dem er sich in dieser Situation ausgesetzt sah, konnte Steinkühler nicht lange standhalten, und so entschloss er sich im Mai 1993 zum Rücktritt als erster Vorsitzender der IG Metall. Dass er anschließend noch viele Jahre als Vermögens- und Unternehmensberater arbeitete, war für manche dann auch wieder eine nur folgerichtige Entwicklung.
Aber auch in seiner eigenen Gewerkschaft gab es damals Stimmen, die seinen Rücktritt als voreilig, als Beweis für seine Dünnhäutigkeit gewertet hatten. Dass Franz Steinkühler im Austeilen tatsächlich besser war als im Einstecken, hatte er auch einmal in unserer Region bewiesen. Im November 1982 sollte er als Gast bei den „Salemer Gesprächen“der Wirtschaftsjunioren BodenseeOberschwaben an einer Diskussion über wirtschafts- und gesellschaftspolitische Fragen teilnehmen. Aber so weit kam es nicht. Als ihn der Vorsitzende der Wirtschaftsjunioren, Jürgen Winterhalter, schon bei der Begrüßung ziemlich scharf, für einen Gastgeber vielleicht auch ein bisschen zu scharf, angegriffen hatte, stand der Gewerkschafter auf und verließ unter Protest den Saal. Diese beleidigte Reaktion hatte Steinkühlers Ansehen nicht gutgetan und der Veranstaltung auch nicht, denn unter den verbliebenen Teilnehmern, alle weitgehend Gleichgesinnte, wollte eine richtige Diskusssion nicht mehr aufkommen.