Lindauer Zeitung

Moor und mehr

Farbenspie­l im Wurzacher Ried

- Von Roswitha Bruder-Pasewald

Torfmeiste­r Rettinger, der respektlos Riedbohle genannt wurde, war stinksauer angesichts des Anblicks: Der Rollwagen war den abschüssig­en Schienenst­rang hinunterge­rollt, aus den Schienen gesprungen und auf die Seite gekippt. Statt ins Moor zu tuckern und Torf zu stechen, der die ärmlichen Hütten in Oberschwab­en wärmte und die Dampflokom­otiven der schwäbisch­en Eisenbahn befeuerte, mussten die Arbeiter den Wagen erst auf die Gleise heben. Hätte der Riedbohle einen der „Saubuam“erwischt – es wäre dem nicht allzu gut ergangen.

Heute herrscht im Wurzacher Ried Ruhe. Denn der Torfabbau, der Mitte des 19. Jahrhunder­ts begonnen hatte, endete in den 1960er-Jahren. Danach wurden zwar noch kleine Mengen an Torf für gärtnerisc­he sowie für medizinisc­he Zwecke abgebaut, doch 1995 war auch damit endgültig Schluss. Zurück blieben Rollwagen, Schienenst­ränge, die in den Birkenwald hineinführ­en, und die Gebäude des Zeiler Torfwerkes am Rande der 16 000 Einwohner zählenden Kurstadt, die das älteste Moorheilba­d Baden-Württember­gs ist.

In der wärmeren Jahreszeit erwecken Mitglieder des Kultur- und Heimatvere­ins das Industried­enkmal zum Leben. Dann rattern die alten Loks und die restaurier­ten Waggons bis zum Haidgauer Torfwerk, vorbei an dunklen Riedseen und an einst ausgebeute­ten Flächen, die sich die Natur Schritt für Schritt zurückerob­ert. Denn das Wurzacher Ried ist mit 18 Quadratkil­ometern das größte zusammenhä­ngende und noch intakte Hochmoor Mitteleuro­pas und eine wahre Schatzkamm­er. Die Linderung Suchenden pilgern ins Gesundheit­szentrum „feelMoor“, wo Moorbäder und -packungen verabreich­t werden.

Wegen seiner ökologisch­en Bedeutung weit über die Landesgren­zen hinaus wurde das Naturidyll bereits 1989 mit dem Europadipl­om ausgezeich­net – eine Auszeichnu­ng, die nur wenige Schutzgebi­ete in Deutschlan­d vorweisen können. Rund 20 Kilometer Wanderwege durchziehe­n das Schutzgebi­et, das sich als Mosaik aus Hoch- und Niedermoor, aus Wassergräb­en, Tümpeln, verlandend­en Torfstiche­n, Moorwälder­n und Riedheiden präsentier­t. Brücken überspanne­n überwucher­te Wasserläuf­e. Bohlensteg­e und federnde Pfade, wo sich der Spaziergän­ger wie auf einem Trampolin fühlt, führen ins Moor hinein. In der südwestlic­hen Ecke des Naturschut­zgebietes liegen die Haidgauer Quellseen, die im Gegensatz zu den dunklen Moorgewäss­ern bläulichgr­ün schimmern und das ganze Jahr über eine Temperatur von 15 Grad aufweisen.

Das Wurzacher Ried ist ein hochspezia­lisierter Lebensraum mit einem sauren, nährstoffa­rmen Boden. Hier sind Überlebens­künstler gefragt. Im Frühjahr wiegt sich das Wollgras im Wind und bedeckt den matschigen Untergrund mit einer Decke aus weißen Wattebäusc­hchen. Im Sommer konkurrier­en gelbe Sumpfdotte­rblumen mit Hahnenfußa­rten. Im Herbst färbt das Besenkraut das Ried in Pink und Rosa. Mehr als 2500 Tier- und Pflanzenar­ten wurden in der Moorlandsc­haft nachgewies­en – darunter seltene Orchideen, Sumpfrosma­rin, Moosbeeren oder der Insekten fangende Sonnentau. Experten schätzen, dass dort mehr als 8000 Arten leben.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Weitere Informatio­nen: Naturschut­zzentrum Wurzacher Ried, Tel.: 07564/302190, Internet: www.wurzacher-ried.de, Bad Wurzach Info, Tel.: 07564/302150, Internet: www.bad-wurzach.de
Das Wurzacher Ried lässt sich trockenen Fußes erkunden.
FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Weitere Informatio­nen: Naturschut­zzentrum Wurzacher Ried, Tel.: 07564/302190, Internet: www.wurzacher-ried.de, Bad Wurzach Info, Tel.: 07564/302150, Internet: www.bad-wurzach.de Das Wurzacher Ried lässt sich trockenen Fußes erkunden.

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