„Immer noch ein bisschen unwirklich“
Leutkircher Volleyballer Julian Zenger steht mit Itas Trentino im Champions-League-Finale
- Alles begann mit einem Training bei der TSG Leutkirch. Hier im beschaulichen Allgäu startete Julian Zenger – geboren in Wangen, aufgewachsen in Muthmannshofen – eine einzigartige Volleyballkarriere, die ihn über den VfB Friedrichshafen und die Volleys Frankfurt bis zum deutschen Serienmeister Berlin führte, mit dem er im vergangenen Jahr seine erste Meisterschaft feierte. Es folgte der nächste Schritt: der Wechsel zum italienischen Topclub Itas Trentino. Mit den Südtirolern steht der 24-jährige Nationalspieler am Sonntag (21 Uhr) im Endspiel der Champions League und trifft dort auf den polnischen Titelverteidiger Zaksa KedzierzynKozle. Zuvor hat Zenger mit Martin Deck über das Finale, seine Zeit in Italien und kommende Ziele gesprochen.
Herr Zenger, in Ihrem Profil auf der Vereinshomepage geben Sie an, besonders gerne Thriller zu lesen. Das Champions-League-Halbfinale gegen Perugia, als Sie erst im Golden Set im Rückspiel das Endspiel klarmachten, war also vermutlich voll nach Ihrem Geschmack.
Die Halbfinalserie gegen Perugia war der Wahnsinn, das waren mit die besten Spiele, die wir in dieser Saison gemacht haben. Schon beim 3:2-Sieg in Perugia war das Niveau enorm hoch, aber als wir das Finale dann im Rückspiel hier in Trento klargemacht haben, war das einfach ein großartiges Gefühl. Am Anfang der Saison hat keiner von uns gedacht, dass wir es ins Champions-League-Finale schaffen.
Auch das Endspiel bietet die perfekte Buchvorlage: Wie im Vorjahr geht es für Trentino gegen Kedzierzyn-Kozle. Wie sehr brennt die Mannschaft auf Revanche für das 1:3 im Vorjahr?
Die Spieler, die letztes Jahr schon dabei waren, wollen sicher nicht noch einmal verlieren. Aber auch wir, die neu dabei sind, brennen auf das Spiel. Wir hatten jetzt drei Wochen Pause und sind heiß auf das Finale am Sonntag. Wir wollen das Ding heimholen.
Für Sie wird das Spiel der bisherige Höhepunkt Ihrer Karriere. Müssen Sie sich manchmal noch selbst kneifen, wenn Sie auf Ihren Weg zurück von der TSG Leutkirch bis ins Champions-League-Finale schauen?
Das ist alles immer noch ein bisschen unwirklich. Alleine wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, nächstes Jahr spielst du in Trento und stehst im
Champions-League-Finale, hätte ich nur gesagt: Du bist doch verrückt!
Wie kam es, dass Sie bei diesem Topclub gelandet sind?
Das war selbst für mich überraschend. Bei Trento gab es nach der letzten Saison einen großen Umbruch und sie waren auch auf der Suche nach einem Libero. Und ich hatte das Glück, dass zu dieser Zeit die Nations League in Italien stattfand und ich mich dort nicht allzu dumm angestellt und einige gute Spiele gemacht habe.
Das klingt sehr bescheiden. Dabei ist es alles andere als selbstverständlich, dass man als Libero die Chance bekommt, in Italien zu spielen. Schließlich gibt es in der dortigen Liga eine Ausländerregelung, die besagt, dass immer mindestens drei Italiener auf dem Feld stehen müssen. Meistens werden die freien Plätze mit ausländischen Angreifern besetzt. Macht es Sie stolz, dass Sie als Libero ausgewählt wurden? Ja, natürlich. Ich bin in diesem Jahr der einzige ausländische Libero in der ganzen Liga. Die Clubs erhoffen sich in der Regel mehr Möglichkeiten, wenn sie in Angreifer investieren, und in Italien gibt es wahrlich keinen Mangel an guten Liberos. Dass es bei mir trotzdem geklappt hat, macht mich sehr, sehr glücklich.
Während Volleyball in Deutschland ein Schattendasein fristet, hat er in Italien einen ganz anderen Stellenwert. Wie macht sich das bemerkbar? Gerade in Trento ist Volleyball neben Basketball eine ganz große Sache, da wird man auch auf der Straße erkannt und angesprochen – ich zwar noch weniger, aber meine italienischen Mitspieler häufig. Auch das Medieninteresse ist viel größer als in Deutschland, viele Spiele werden live im Fernsehen übertragen, bei jeder Partie sind viele Journalisten vor Ort. Das ist in Deutschland leider ganz anders.
Klingt so, als ob Sie sich in Südtirol wohlfühlen. Sprechen Sie auch schon Italienisch?
Ich bin hier sehr gut angekommen und fühle mich wirklich wohl. Mein Italienisch wird auch immer besser. Ich habe in den ersten Wochen Unterricht genommen und bin viel mit meinen Teamkollegen draußen unterwegs, das hilft schon enorm.
Hat es Ihnen beim Einleben auch geholfen, dass Trento ihrer Heimat im Allgäu deutlich näherkommt als die Großstadt Berlin?
Das würde ich nicht sagen. Ich habe mich auch in Frankfurt und Berlin sehr wohlgefühlt. Es sind vor allem die Leute hier, mit denen ich mich super verstehe, die es mir leicht gemacht haben.
Sie haben im Sommer einen Ein-Jahres-Vertrag unterschrieben. Ist schon klar, wie es nächstes Jahr weitergeht? Das werden wir nach der Saison besprechen. Ich würde gerne bleiben.
Bevor die neue Saison beginnt, steht im Juni erst mal die Nations League mit der Nationalmannschaft an. Haben Sie den neuen Bundestrainer Michał Winiarski schon kennengelernt? Persönlich noch nicht, aber wir haben schon miteinander telefoniert. Ich freue mich schon drauf, wenn ich am 1. Juni zur Mannschaft, die ja jetzt schon gemeinsam trainiert, stoßen werde.
Was sind die Ziele mit dem Nationalteam?
Zum einen haben uns vorgenommen, das Final Eight zu erreichen – auch wenn das sicher alles andere als einfach wird. Zum anderen wollen wir in der Weltrangliste nach oben klettern, weil die am Ende ausschlaggebend ist für unser ganz großes Ziel: die Teilnahme an Olympia 2024.
Dafür wird auch die WM im August entscheidend sein. Diese sollte ursprünglich in Russland stattfinden, wird nun aber in Polen und Slowenien ausgetragen. War das die richtige Entscheidung?
Das war meiner Meinung nach das richtige Zeichen des Weltverbands. Auch weil viele Nationen, darunter auch wir, gesagt haben, dass sie bei einem Turnier in Russland nicht antreten werden. Die aktuelle Situation lässt es einfach nicht zu, dass man sich angesichts des Kriegs aufs Sportliche konzentriert und dort eine Weltmeisterschaft spielt.