Starker Stabreim
Nach der Lektüre des „Zeit-Magazins“meinte die Gattin, sie habe darin auch ein interessantes Rezept mit Spaghetti, Spargel und Spinat gefunden. Nun horcht man bei verlockenden kulinarischen Novitäten immer auf, aber hier kam noch etwas hinzu: Dieses Trio
erfüllt alle Kriterien eines Stabreims, und wer ein Faible für die Alliteration hat, also die Abfolge von Wörtern mit gleichem Anlaut, fühlt sich bestätigt: Dieser meist als altertümelnd verlästerte Binnenreim, eine Eigenart der germanischen Dichtung, ist auch heute noch – ob bewusst oder unbewusst – sehr wirkmächtig.
Um tiefer in all die Verästelungen der germanischen Verslehre einzusteigen, fehlt uns hier der Platz. Vereinfacht gesagt: Beim Langvers wurden die wichtigsten Wörter durch gleiche Anfangslaute mit gleichen Buchstaben hervorgehoben. Das konnten Vokale sein oder Konsonanten. Nur ein Beispiel aus dem althochdeutschen Hildebrandslied: hiltibrant hadubrant untar heriun tuem (wörtlich übersetzt: Hildebrand und Hadubrand zwischen Heeren zweien).
Rolf Waldvogel Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutungen und Schreibweisen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.
In der deutschen Dichtung wurde der Stabreim allerdings schon im Mittelalter vom Endreim abgelöst. Spätere Versuche, ihn wiederzubeleben, gab es durchaus. So setzte der Romantiker Friedrich de la Motte Fouqué die Alliteration um 1810 bewusst bei seiner Trilogie „Der Held des Nordens“ein, einer Bearbeitung des Nibelungenstoffes. Damit beeinflusste er vor allem Richard Wagner, der dann in seinem 1876 aufgeführten Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“lustvoll Stabreim an Stabreim reihte. O-Ton Wotan im „Rheingold“:
Auch beim jungen Rainer Maria Rilke gibt es solche historisierenden Anwandlungen. Etwa in seinem Gedicht „Sturmnacht“von 1902:
Aber letztlich blieben solche Experimente ohne größere Wirkung. Als sich die Nazipoeten in ihrer Blutund-Boden-Lyrik des Stabreims bemächtigten, lebte er noch einmal kurz auf. 1945 aber war – was die Dichtung angeht – endgültig Schluss. Das heißt jedoch nicht, dass dieses Aneinanderreihen von Wörtern mit gleichem Anlaut seinen Reiz verloren hätte. Redundanz, also Übermaß durch Wiederholung, ist ein Grundprinzip, wenn sich ein Text von der Normalsprache abheben soll. So wimmelt es in unserem Idiom von stabreimenden Redensarten: mit Mann und Maus, über Stock und Stein, mit Haut und Haaren, Ross und Reiter, mit Kind und Kegel, Lust und Laune, Geld und Gut, zwischen Baum und Borke, Himmel und Hölle …
Aber dieses Modell hat nicht ausgedient, vor allem in den Medien. Man erinnere sich an den Berliner Eisbären namens Knut. Da überschlugen sich die Journalisten beim Alliterieren:
Vor allem bei Titeln ist das Staben weiter sehr beliebt – ob in der Boulevardpresse oder im seriösen Feuilleton. Ein paar Beispiele:
Dass sich die Werbung auf Stabreime stürzt, sei der Vollständigkeit halber erwähnt. Zwei Paradebeispiele:
Und schon etwas angejahrt:
Natürlich geht nichts über elegante Dichtung mit Endreimen. Aber wir alle kennen auch das Gegenteil, immer nach dem Motto:
Fazit: Es gibt keinen Grund, über den Stabreim den Stab zu brechen!
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