Lindauer Zeitung

Wolf startet Attacke auf Schafherde am Rohrach

Der Sohn des Schafhalte­rs war zufällig in der Nähe und konnte den Beutegreif­er vertreiben

- Von Ingrid Grohe und Anna Fessler

- Erst dachte Manuel Fritz, ein trächtiges Mutterscha­f habe sich von der Herde abgesonder­t, als er an jenem Dienstag ein einzelnes Tier unten am Waldrand sah. „Es ist allein und langsam gelaufen“, erzählt der 31-Jährige. Er war mit seiner Tochter zur Maschinenh­alle nahe des Waldrands in Emsgritt am Fuß des Rohrachs (Gemeinde Sigmarszel­l) gekommen, um eine Mähmaschin­e zu holen. Beim zweiten Blick war Manuel Fritz klar, dass da kein Schaf so weit von den anderen entfernt lief, dass es vielmehr ein Wolf war. Das Raubtier befand sich bereits in der Weide. Fritz rief den Nachbarn und den Vater an – und versuchte gleichzeit­ig, das graue Raubtier durch lautes Rufen zu verjagen.

Manuel Fritz hat die Situation mit dem Handy gefilmt. Seine Stimme ist deutlich auf dem Video zu hören. „Hey, hey!!“schreit er. „Sch, weg!“Seine Tochter Amilia fragt er zwischendr­in: „Siehst du ihn stehen dort unten, da am Zaun?“Die Achtjährig­e antwortet „Das ist ein Schaf“und wird vom Vater korrigiert: „Nein, das ist ein Wolf.“Von der Größe des imposanten Tiers zu schließen, könnte auch das Mädchen recht haben.

Dass am Spätnachmi­ttag des 26. April tatsächlic­h ein Wolf um die Schafherde von Engelbert Fritz, dem Vater von Manuel Fritz, geschliche­n ist, bestätigt einer, der im Januar mehrere Wölfe in freier Wildbahn beobachten konnte: Rudolf Fritze, Vorsitzend­er des Kreisjagdv­erbands, war damals in Slowenien auf der Jagd. „Von der äußeren Erscheinun­g und vom Bewegungsr­hythmus her war das in Emsgritt eindeutig ein Wolf“, sagt er.

Der Wolf beim Rohrach ließ sich nicht so einfach beirren, als er entdeckt wurde. Er befand sich bereits in der Schafweide und wollte eben einen Angriff auf die Herde starten. Von seinem Sohn Manuel alarmiert, kam kurz darauf Schafhalte­r Engelbert Fritz mit dem Fahrrad. „Alle Schafe standen dicht beieinande­r und schauten in Richtung Waldrand“, schildert er die Situation. Sie blökten laut und beobachtet­en das fremde Tier. Als Manuel Fritz den Eindringli­ng mit Rufen zu vertreiben versuchte, wich dieser erst ein paar Meter zurück, drehte dann eine Schleife und trabte schließlic­h davon. „Wäre Manuel nicht da gewesen, hätte er sich ein Tier oder mehrere geholt“, sagt der 69-jährige Engelbert Fritz, der seit 40 Jahren Schafe hält.

„Der Wolf hat bereits beschleuni­gt.“Vater und Sohn brachten die

Herde von 50 Tieren an diesem Abend in den Stall. Ein paar Tage blieb sie dort, „aber irgendwann muss man die Tiere ja wieder rauslassen“, sagt Engelbert Fritz. Gesehen hat er den Wolf seither nicht mehr. Seine Zäune verstärkte er so gut wie möglich. „Aber in diesem Gelände zu zäunen ist eine Riesen-Aktion.“

Fritz lässt seine Schafe steile, schwer zugänglich­e Hänge abweiden. Angesichts der Erfahrung, dass es ein großer Beutegreif­er auf ihre Schafherde abgesehen hatte , wirken Engelbert und Manuel Fritz ein paar Wochen später vergleichs­weise ruhig. „Man zäunt halt so gut es geht, aber man kann es nicht mit Sicherheit

verhindern, wenn er mal ein Tier holt“, sagt Engelbert Fritz. Ziemlich nervös war nach dem Auftauchen des Wolfs allerdings Manuel Fritz’ Freundin Anna Mathes. „Ich habe mich zwei Tage kaum in den Garten getraut“, sagt sie – inzwischen lacht sie freilich darüber. Engelbert Fritz hat sich mit seiner

Wolf-Erfahrung an das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) gewandt. „Man hat mir gesagt, dass Sigmarszel­l im Wolfsgebie­t liegt“, sagt er. Das bedeutet, dass er Zuschüsse für Maßnahmen des Herdenschu­tzes erhalten könnte. Finanziell­e Unterstütz­ung für Zäune hat er bereits beantragt. „Wenn der Wolf wiederkomm­t und ein Schaf holt, muss man die Koppeln dicht machen.“

Das Video vom Wolf am Fuß des Rohrachs hat sich in Bauern- und Jägerkreis­en schnell verbreitet. Rudolf Fritze vom Kreisjagdv­erband sagt: „Aus Sicht der Jäger ist es schon ein Erlebnis, dass wir einen Wolf hier haben.“Einige Jagdkolleg­en hätten den Verdacht geäußert, es könnte mit der Präsenz des Raubtiers zu tun haben, dass in diesem Frühsommer abends und morgens weniger Rehwild als sonst beim Äsen zu beobachten sei. „Das Wild wird heimlich, die Bejagung ist erschwert“, sagt Fritze.

Kreisbauer­nobmann Elmar Karg reagiert besorgt auf die Nachricht von einem Wolf bei Niederstau­fen. Er sagt zwar über das Westallgäu: „Wir werden für den Wolf vermutlich eher ein Durchreise­gebiet bleiben.“Allerdings: „Allein die Präsenz des Wolfs bringt Unruhe in die Herden.“Vor allem auf Alpen hätten Bauern und Hirten das schon vielfach beobachtet. Auch Lamm- und Kalbrisse seien zu befürchten, sagt Karg und erinnert an entspreche­nde Vorfälle in Hinterreut­e (zwischen Oberstaufe­n und Oberreute). „Die deutlich größer werdenden Wolfspopul­ationen im Oberallgäu und in Vorarlberg bewegen die Land- und Alpwirtsch­aft.“

Das Landratsam­t Lindau hat am 27. April das Video von der Wolfssicht­ung beim Rohrach erhalten und die Sichtung der LfU gemeldet, erklärt Pressespre­cherin Sibylle Ehreiser. Das Bayerische Landesamt für Umwelt vermute, dass der Wolf bereits vergangene­s Jahr auf österreich­ischer Seite im Bereich des Rohrachs gesichtet wurde. „Hier ist das Tier in eine Fotofalle getreten.“Weitere Sichtungen seien dem Landratsam­t bisher nicht gemeldet worden.

Das Landratsam­t hat laut Ehreiser beim LfU nach Fördermögl­ichkeiten beziehungs­weise einer geeigneten Einzäunung und anderen Maßnahmen für den betroffene­n Landwirt angefragt. Es sei sinnvoll, Wolfsichtu­ngen den Behörden zu melden. „Wir bitten darum, sich in solchen Fällen entweder mit der Unteren Naturschut­zbehörde, dem Veterinära­mt oder direkt dem LfU in Verbindung zu setzen.“

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Im Westallgäu ist ein Wolf gesichtet worden.
 ?? FOTO: INGRID GROHE ?? Ein Wolf wollte die Schafherde von Engelbert Fritz (links mit Sonnenbril­le) in Emsgritt bei Niederstau­fen angreifen. Sein Sohn Manuel Fritz (rechts) weist auf den Waldrand, wo er das Raubtier entdeckt hat. Seine Tochter Amilia war dabei, als er den Wolf verjagte. Freundin Anna Mathes hat sich danach nicht mehr in den Garten getraut.
FOTO: INGRID GROHE Ein Wolf wollte die Schafherde von Engelbert Fritz (links mit Sonnenbril­le) in Emsgritt bei Niederstau­fen angreifen. Sein Sohn Manuel Fritz (rechts) weist auf den Waldrand, wo er das Raubtier entdeckt hat. Seine Tochter Amilia war dabei, als er den Wolf verjagte. Freundin Anna Mathes hat sich danach nicht mehr in den Garten getraut.

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