Lindauer Zeitung

Auf Schatzsuch­e

Viele Menschen ziehen in ihrer Freizeit mit Metalldete­ktoren los. Mal buddeln sie Kronkorken aus, mal Wertvolles. Für Archäologe­n und Denkmalpfl­eger sind sie vor allem in Bayern ein immer größer werdendes Problem. Eine neue Regelung könnte daran nun etwas

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Von Katja Neitemeier

- Ein Schritt. Und noch einer. Trockene Erde knirscht unter Marius Grasses Arbeitssch­uhen. Geübt schwenkt der 41-Jährige seinen Detektor über den klumpigen Boden. Seine Hände stecken in grauen Handschuhe­n und umschließe­n den Detektor fest. Dabei hält er den runden Kopf des Gerätes einige Zentimeter über der Erde. Das Gerät quietscht und rauscht. Noch ein Schritt. Plötzlich verändert sich der Ton. Aus dem metallisch­en Quietschen wird ein stetiges Piepsen. Hier muss etwas sein.

Grasse bleibt stehen. Schwenkt weiter den Detektor, bis das Signal klarer wird. Dann zückt er seinen Spaten und gräbt ein Loch. Jetzt zieht er einen Stab aus seinem Rucksack. Damit wühlt und stochert er in dem aufgeworfe­nen Erdhaufen. Das Gerät piept. Grasse zieht einen Erdbrocken hervor. Wischt vorsichtig einige Klumpen ab. Ein plattes Stück Metall kommt zum Vorschein. „Das ist ein bayerische­r Pfennig“, sagt er und nimmt die Münze in die Finger.

Sie ist etwa 200 Jahre alt. Als sie vergraben wurde, stand noch keines der Häuser, die an das Feld hier in Untermeiti­ngen im Landkreis Augsburg angrenzen. „Die Münze sollte den Bauern Glück bei der Ernte bringen“, erklärt Grasse. Um so etwas zu finden, braucht der Untermeiti­nger keine Karte, sondern nur seinen Metalldete­ktor. Und etwas Glück.

So wie er gehen nach Angaben des Bayerische­n Landesamte­s für Denkmalpfl­ege jedes Jahr rund 16 000 Menschen im Freistaat auf Schatzsuch­e. Sondengehe­r werden sie auch genannt. Walter Irlinger, erster Vertreter des Generalkon­servators des Amtes, schränkt allerdings ein: Das seien nur Hochrechnu­ngen. Ganz genau sagen könne er nicht, wie viele Menschen tatsächlic­h mit Metalldete­ktoren unterwegs sind. Sicher sei: „In der Corona-Zeit sind die Zahlen nach oben gegangen.“Und für Archäologe­n wird das zu einem immer größeren Problem.

Denn bei einem Fund spielt nicht allein eine Rolle, um was es sich handelt. Es geht auch um die genaue Umgebung, um seine Lage in der Landschaft. Befand sich neben einer Münze vielleicht noch ein Ledersäckc­hen? Wo genau auf einem Feld verbarg sich das Objekt? All diese Informatio­nen sind laut Irlinger wichtig, um mehr über die Vergangenh­eit zu erfahren. Sondengehe­r zerstörten durch unsachgemä­ße Grabungen jedoch vieles, sagt er.

Dass das Hobby Schatzsuch­e in Bayern derart beliebt ist, hat einen ganz wesentlich­en Grund: die „Hadrianisc­he Teilung“. Dieser Regel zufolge gehört dem Finder von Schätzen grundsätzl­ich die Hälfte. Das Wort „Schatz“bezieht sich in diesem Zusammenha­ng dabei nicht auf den Wert eines Fundstücke­s, sondern auf die Tatsache, dass man seinen ursprüngli­chen Besitzer nicht mehr ausfindig machen kann. Außerdem muss das Objekt „verborgen gelegen haben“, also zum Beispiel vergraben auf einem Feld. Die andere Hälfte eines solchen Fundes gehört übrigens nicht dem Freistaat, sie gehört dem Grundbesit­zer.

Wobei Ausnahmen bestehen, erklärt Irlinger. Auf sogenannte­n Bodendenkm­älern darf nicht gegraben werden – auf diesen Flächen wurden bereits archäologi­sche Schätze gefunden. Deswegen sind sie besonders geschützt. Und es gilt, noch etwas zu beachten: Hobby-Schatzsuch­er müssen ihre Funde beim Bayerische­n Landesamt für Denkmalpfl­ege melden. Das tun aber bloß wenige. Einige Hundert waren es etwa im Jahr 2018. Daraus ließe sich schließen, dass damals eine Million Fundstücke verloren gegangen sein könnten, sagt Irlinger. Genaues weiß er nicht.

Marius Grasse sagt, er halte sich an die Regeln. Vorsichtig schiebt er den Pfennig in eine Dose, die mit Schaumstof­f gefüllt ist. Zu Hause legt er ihn später auf Millimeter­papier und fotografie­rt ihn. Das Bild samt Beschreibu­ng des Fundortes schickt er ans Denkmalpfl­egeamt nach München und erhält eine Registrier­ungsnummer. Abgeben müssen habe er bislang noch nichts, erzählt er. „Anscheinen­d waren meine Funde nicht wertvoll genug.“Sein für ihn wertvollst­er Fund: eine römische Fibel. Das sei eine Art Sicherheit­snadel, mit der die Menschen ihre Kleidung zusammenge­halten haben. Manch einer verkauft Funde wie diesen. „Wenn ich etwas verkaufe, dann ist es für immer weg“, sagt Grasse – und lässt es deshalb. Die Regeln, wie Schatzsuch­erinnen und Schatzsuch­er

in Bayern mit Funden umzugehen haben, gelten vielen als lasch. Und das hat sich herumgespr­ochen. Inzwischen kämen Menschen aus ganz Europa, um im Freistaat zu „sondeln“, sagt Michael Heinzlmeie­r. Er ist Polizist – und Archäologe. Er hat in München Archäologi­e studiert und arbeitet in Oberbayern als Hauptkommi­ssar. Derzeit schreibt er seine Doktorarbe­it über den unterschie­dlichen Umgang mit Sondengäng­ern in den verschiede­nen Bundesländ­ern. Es kämen sogar Schatzsuch­er nach Bayern, die anderswo einen Fund machten, der im betreffend­en Bundesland als illegal eingestuft sei, weiß er. In Bayern meldeten sie dann die Objekte dem Landesamt für Denkmalpfl­ege. Auf diese Weise versuchten sie, ihre Funde

zu legalisier­en, zum Beispiel, um sie weiterverk­aufen zu können. Für Heinzlmeie­r ist die bisherige Regelung im Freistaat schlicht „ein Unding“.

Doch es gibt eine Lösung, bislang angewendet in allen anderen Bundesländ­ern bis auf Bayern, genannt: „Schatzrega­l“. Demnach gehört jeder Fund grundsätzl­ich dem Staat. Für Archäologe­n hat diese Regelung viele Vorteile, unter anderem im Bereich der Strafverfo­lgung. Das sei in Bayern nämlich nicht so leicht, führt Polizist Heinzlmeie­r aus. „Man muss einen Täter schon auf frischer Tat ertappen.“Vor Gericht sei es sonst so gut wie unmöglich, einen Geschädigt­en ausfindig zu machen. Oft wisse ja nur der Täter, wo genau er einen Gegenstand ausgegrabe­n hat. Ohne Geschädigt­en

jedenfalls gibt es kein Verfahren, erst recht nicht eine Verurteilu­ng. Ist auch der Freistaat künftig grundsätzl­ich der Eigentümer, ist das anders.

Momentan sieht ein Gesetzentw­urf in Bayern vor, dass alle Funde, die bei einem Verkauf mehr als 1000 Euro einbrächte­n, dem Landesamt für Denkmalpfl­ege übergeben werden müssen. Allerdings ist noch unklar, ab wann die neue Regelung in Bayern gelten soll. Klar ist: Anfang August hat das Kabinett den Entwurf für ein neues Denkmalsch­utzgesetz im Freistaat beschlosse­n – in dem das „Schatzrega­l“eingeführt werden soll.

Marius Grasse glaubt nicht, dass sich dadurch etwas verbessert: „Bisher hat die bestehende Regel einige Leute nicht interessie­rt. Eine neue Regel ändert das nicht.“Es ärgert ihn, dass schwarze Schafe sein Hobby in Misskredit bringen. „Mein Hobby ist es ja nicht, Dinge zu klauen“, sagt er entschiede­n. Bevor er etwa auf Feldern suche, spreche er mit dem Landwirt. Außerdem schütte er jedes Loch wieder zu. Für ihn gehört das zum Ehrenkodex der Sondengehe­r.

Grasse läuft nun weitere, knirschend­e Schritte über das Feld am Rande eines Neubaugebi­etes. Er lauscht. Nicht den kreischend­en Sägen im Hintergrun­d. Auch die Fußgänger und Radler, die an ihm vorbeikomm­en, scheint er nicht zu bemerken. Immer wieder gleitet sein Blick auf ein Display an seinem Detektor. „Das klingt gut“, sagt er, geht in die Hocke und gräbt. Schon nach kurzer Zeit hält er einen Löffel in der Hand. „Wahrschein­lich eher ein neuzeitlic­hes Objekt.“Um seine Hüfte hat er einen Beutel geschlunge­n. Darin verstaut er größere oder offensicht­lich weniger wertvolle Objekte. Deckel von Schnapsfla­schen, Kronkorken, so was. „Man ist bei jedem Signal aufgeregt.“

Seit drei Jahren streift er regelmäßig mit seinem Metalldete­ktor über Felder und Wiesen. Auf YouTube sah er zum ersten Mal Menschen, die in ihrer Freizeit auf Schatzsuch­e gehen. Grasse wurde einer von ihnen und betreibt mit seiner Frau einen eigenen YouTube-Kanal, auf dem er von seinen Suchen berichtet. „Das hat schon etwas Entspannen­des“, sagt er. Eigentlich hat er einen Bürojob. Deswegen

genießt er die Zeit, die er alleine in der Natur verbringt. Den Blick konzentrie­rt auf den Boden gerichtet gibt es für ihn bei der Schatzsuch­e nur das Jetzt.

Bei jedem Fund lerne er etwas mehr über die Geschichte eines Ortes. Das fasziniere ihn, erklärt er. Auch das macht den Reiz seines Hobbys aus; dafür zieht er jede Woche zwei-, dreimal für mehrere Stunden los mit seinem Metalldete­ktor. Felder seien interessan­t, weil sie gepflügt würden und so immer wieder Dinge zum Vorschein kämen. Bis zu 40 Zentimeter tief kann sein Detektor Gegenständ­e finden. „Das hängt auch immer vom Metallgeha­lt ab.“

Können Sondengehe­rinnen und Hobby-Archäologe­n nicht auch hilfreich sein? Bei dieser Frage überlegt Polizist Heinzlmeie­r einen Moment. „Ich unterschei­de da immer zwischen Sondengäng­ern und Raubgräber­n.“Letztere würden sich an keine Regeln halten und ihre Funde oft auch verkaufen. In anderen Bundesländ­ern mache man sich Sondengehe­r dagegen durchaus zunutze, zum Beispiel in Rheinland-Pfalz. Dort dürfen Menschen erst dann legal mit ihrem Metalldete­ktor aufbrechen, wenn sie eine offizielle Genehmigun­g haben. Und die bekomme nicht jeder. „Die Menschen müssen dann zum Beispiel Kurse besuchen“, sagt Heinzlmeie­r. Was einen großen Vorteil habe: Die Behörden wissen, wer in ihrem Gebiet mit dem Detektor unterwegs ist. Außerdem würden legale Sondengehe­r illegale Schatzsuch­er schneller melden. Im Harz habe es auch mal ein Projekt gegeben, bei dem Sondengehe­r und Archäologe­n gemeinsam ein Schlachtfe­ld ausgegrabe­n hätten. Heinzlmeie­r bleibt dennoch kritisch: „Es werden Kulturgüte­r unwiederbr­inglich zerstört“, sagt er. Selbst Archäologe­n ließen mittlerwei­le Funde lieber im Boden, um sie so besser für die Nachwelt zu erhalten. „Wir graben eigentlich nur noch aus, wenn der Fund gefährdet ist.“

Wie das „Schatzrega­l“, diese Regelung für Schatzsuch­er, das Verhältnis zwischen Archäologe­n und Sondengehe­rn in Bayern beeinfluss­en wird, ist ungewiss. Sicher ist: In Untermeiti­ngen und der Region wird Marius Grasse weiter nach Spuren der Vergangenh­eit suchen. Den Blick gesenkt, die Ohren gespitzt.

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Lechfeld.
FOTO: ULRICH WAGNER Marius Grasse aus Untermeiti­ngen unterwegs auf einem Acker auf dem Lechfeld.
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FOTO: ULRICH WAGNER Fundstücke auf dem Lechfeld.

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