Lindauer Zeitung

Länder gegen den Bund, Bund gegen die Länder

Der Föderalism­us ist im Grundgeset­z festgehalt­en, doch es gibt häufig Streit – Hat er sich überlebt?

- Von André Bochow

- An diesem Dienstag wird in Berlin wieder 16 gegen einen gespielt. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) trifft die Regierungs­chefs der Bundesländ­er und es geht ums Geld. Um viel Geld. Die Länder wollen sich einen möglichst großen Anteil am Doppel-Wumms von 200 Milliarden Euro sichern. Laut Beschlussv­orlage fordern die Länder, dass der Bund das Wohngeld in Zukunft vollständi­g bezahlt. Die Ausfälle durch die geplanten Steuersenk­ungen sollen nicht wie sonst üblich geteilt, sondern vor allem vom Bund getragen werden. Ach ja, einen Inflations­ausgleich für die Bereitstel­lung des Nahverkehr­s (Ländersach­e) verlangen die Ministerpr­äsidenten ebenso wie eine deutlich höhere Beteiligun­g an der Finanzieru­ng der Flüchtling­skosten. Erneut stellt sich die Frage, wie viel die im Grundgeset­z festgelegt­e gemeinsame Zuständigk­eit des Bundes und der Länder eigentlich noch wert ist?

Könnte man den Föderalism­us abschaffen?

Der deutsche Föderalism­us ist nach den Erfahrunge­n des NS-Staates geschaffen und im Grundgeset­z festgeschr­ieben worden. Er fällt dort unter die Ewigkeitsk­lausel. Solange das Grundgeset­z gilt, gibt es also auch den Föderalism­us.

Trotzdem gerät das deutsche föderalist­ische System immer wieder in die Kritik. Warum?

Dafür gibt es einige Gründe. Nach zwei Föderalism­usreformen bleiben den Ländern eigentlich nicht mehr so viele originäre Aufgaben. Der Katastroph­enschutz gehört dazu und da kamen die Länder in der CoronaKris­e keineswegs ohne den Bund aus. Das wichtigste Aufgabenge­biet der Länder ist die Bildung. Die Idee: Der Föderalism­us fördert den Bildungswe­ttbewerb und treibt damit Schulen, Hochschule­n und Universitä­ten zu Höchstleis­tungen. Das Ergebnis: Deutschlan­d schneidet vor allem im Schulberei­ch bei internatio­nalen Vergleiche­n mäßig bis schlecht ab. Die Unterschie­de innerhalb Deutschlan­ds sind teilweise extrem und machen mitunter ein ganzes Schuljahr aus. Auch die Abituranfo­rderungen sind, vorsichtig ausgedrück­t, sehr unterschie­dlich. Und auch im Bildungsbe­reich ist der Bund immer mehr gefragt. Beispiel „DigitalPak­t Schule“, laut Bettina

Stark-Watzinger, Bundesmini­sterin für Bildung und Forschung, „der zentrale Baustein der Bund-Länder-Zusammenar­beit beim Ausbau der digitalen Bildungsin­frastruktu­r“. Das System ist einfach. Der Bund zahlt und „die weiteren Vorgaben zur Vergabe und die Umsetzung der

Förderung liegen bei den Ländern“. Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW) kommt auch deshalb zu dem Schluss, dass sich in Deutschlan­d „inzwischen ein System herausgebi­ldet“hat, „das kaum noch als Föderalism­us bezeichnet werden kann“. Die

Bund – sogar die 2,5 Milliarden

Euro Kosten für das 9-Euro-Ticket, obwohl der öffentlich­e Nahverkehr Ländersach­e ist. Für die Länderfürs­ten dagegen verhält sich die Sache umgekehrt: Der Bund habe sich in den vergangene­n Jahren immer wieder in „originäre Landeszust­ändigkeite­n“eingemisch­t, und diese dann mit den langfristi­gen Kosten allein gelassen. Zum Beispiel bei der Anhebung der Qualitätss­tandards in Kitas oder der Digitalisi­erung der Schulen. In der Folge verkamen die Bund-Länder-Verhandlun­gen immer mehr zu einem reinen Kostenstre­it. (eha)

Länder sieht er „mehr und mehr in der Rolle von Transferem­pfängern“.

Sind im Föderalism­us alle Bürger gleich?

Die Frage mag merkwürdig erscheinen, aber die Antwort ist noch seltsamer. Nein, sind sie nicht. Das fängt, wie erwähnt, bei der Bildung an. Aber es gibt noch einen sehr augenfälli­gen Unterschie­d. Im Bundesrat haben die Länder, je nach Größe, drei bis vier Stimmen. Das Saarland zum Beispiel hat drei, NordrheinW­estfalen sechs. Dabei hat das kleine Bundesland nicht einmal eine Million Einwohner, in NRW sind es fast 18 Millionen.

Sind die Kommunen die dritte Ebene der föderalen Struktur?

Sind sie nicht. „Die Kommunen sind staatsorga­nisationsr­echtlich Teil der Länder und daher keine ,dritte Ebene’ im föderalen Staatsaufb­au“, heißt es in einer Erläuterun­g des Bundesinne­nministeri­ums. „Die Kommunen sind darüber hinaus mit zahlreiche­n gesetzlich zugewiesen­en staatliche­n Aufgaben betraut, die sie als örtliche Verwaltung­sträger der Länder wahrnehmen.“

Wozu brauchen wir den Föderalism­us eigentlich noch?

Die Mitsprache der Länder lähmt mitunter politische Prozesse, gleichzeit­ig ist sie ein Element der Kontrolle und es findet ein Aushandeln der Interessen von Bund, Ländern und Kommunen statt. Anderersei­ts sind die Bürger immer die gleichen Bürger und haben ihrerseits Interessen, die von der staatliche­n Ebene unabhängig sind. Eine Umfrage der Bertelsman­n-Stiftung aus dem vergangene­n Jahr kommt zu dem Schluss, dass die Bundesländ­er ein Problem damit haben, beim Bürger als eigenständ­ige politische Ebene wahrgenomm­en zu werden. Weitere Ergebnisse: „Jeder vierte Bürger hält die Bundesländ­er für überflüssi­g. In acht von 16 Bundesländ­ern spricht sich die Mehrheit der Befragten für eine Fusion mit einem Nachbarlan­d aus. 91 Prozent der Befragten wollen bundesweit vergleichb­are Standards in Kindergärt­en, Schulen und Universitä­ten.“In einer Forsa-Umfrage, erklärte eine Mehrheit der Befragten (51 Prozent), die bestehende Gewaltente­ilung zugunsten des Bundes ändern zu wollen. Der Anteil wird sich wohl vergrößern, wenn die Länder den Bund bei der Krisenbewä­ltigung im Regen stehen lassen.

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FOTO: IMAGO Südwest-Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) verfolgt in manchen Streitpunk­ten andere Interessen als sein Parteifreu­nd Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (links) und Kanzler Olaf Scholz (SPD).

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