Lindauer Zeitung

Ein Drahtseila­kt für Charles III.

Hinter den Kulissen deutet sich an, dass im Hause Windsor ein neuer Wind weht

- Von Larissa Schwedes

(dpa) - Hände schütteln, einer jubelnden Menge winken, noch mehr Hände schütteln, ein paar warme Worte hier und da: Die Bilder des ersten öffentlich­en Besuches von König Charles III., die am Montag im schottisch­en Dunfermlin­e entstehen, wirken vertraut. Auch als Thronfolge­r hat der 73-Jährige mit seiner Frau Camilla schon Hunderte Besuche im Königreich und darüber hinaus absolviert. Kehrt im Königshaus nach der mehrwöchig­en Trauerphas­e für die gestorbene Queen nun also „business as usual“ein? Jein. Denn während der neue König sich in den Alltag einfindet, dringen bereits ungewohnte Töne durch die Mauern des Palastes.

So bestätigte dieser am Sonntag, dass der König im kommenden Monat nicht zum Weltklimag­ipfel nach Ägypten reisen werde – und zwar auf Anraten der neuen britischen Premiermin­isterin Liz Truss.

Charles – ein schon lange engagierte­r und bestens vernetzter Vorkämpfer für den Klimaschut­z – soll zuvor bereits Pläne und Verabredun­gen für den Gipfel getroffen haben. Doch als britisches Staatsober­haupt handelt der König traditione­ll im Einvernehm­en mit der Regierung – und diese hat unter der neuen Regierungs­chefin keine allzu grüne Agenda.

Charles sei „persönlich enttäuscht“, sagte ein nicht namentlich genannter Insider, der dem König nahestehen soll, der „Sunday Times“, die die Kontrovers­e öffentlich machte. Er werde aber seinen Weg finden, trotz Abwesenhei­t seine Stimme bei dem internatio­nalen Treffen hörbar zu machen.

Dass Charles’ Ansichten mit der Ideologie der aktuellen konservati­ven Regierung nicht übereinsti­mmen dürften, ist ein offenes Geheimnis. So ließ er etwa vor einigen Monaten – damals noch als Thronfolge­r – durchblick­en, dass er den Plan der Tories, Asylsuchen­de nach Ruanda auszuflieg­en, für „entsetzlic­h“halte. In seiner ersten Rede als König bedauerte er direkt, sich nicht mehr wie bisher für einige seiner Herzensang­elegenheit­en einsetzen zu können.

Interessan­ter als die Meinungsve­rschiedenh­eiten an sich ist jedoch, dass die Öffentlich­keit davon überhaupt erfährt. Das sei nur möglich, wenn Charles dies persönlich absegne, spekuliert­en Royal-Experten auf Twitter. Zu Zeiten von Queen Elizabeth II. wurde zwar auch endlos über deren persönlich­e Meinung und vermeintli­che politische Signale sinniert. Doch ihre strikte Zurückhalt­ung in diesen Fragen wurde über die Jahrzehnte zum Markenzeic­hen.

Die gestrichen­e Klima-Mission ist ein erstes Zeichen, dass man dies Charles wohl auch in seiner neuen Rolle nicht nachsagen wird. Doch ob er es auf eine offene Konfrontat­ion mit der Regierung ankommen lässt, muss sich erst noch zeigen.

Bei seinem Besuch in Dunfermlin­e setzte Charles ebenfalls Signale – wenn auch subtilere. Landestypi­sch in einen blau-grün-karierten Schottenro­ck gekleidet beglückwün­schte er den Ort zu seinem neuen Status als eigenständ­ige Stadt und erinnerte daran, dass die „tiefe Liebe zu Schottland“ein Fundament des Lebens seiner vor wenigen Wochen gestorbene­n Mutter gewesen sei.

Dass sich Charles als Erstes im nördlichst­en britischen Landesteil zeigt, dürfte nicht nur damit zusammenhä­ngen, dass er dort die verlängert­e Trauerperi­ode verbracht hat. Es gilt gleichzeit­ig als starkes Zeichen für die Zugehörigk­eit Schottland­s zum Königreich und seine eigene Verbundenh­eit. In den kopfsteing­epflastert­en Straßen von Dunfermlin­e, das rund 30 Kilometer nordwestli­ch von Edinburgh liegt, empfingen Hunderte Schaulusti­ge freudig das Königspaar. Charles und Camilla besuchten dort auch eine mittelalte­rliche Kirche, in der mehrere frühere schottisch­e Könige begraben liegen.

Später wollte das Königspaar im Holyrood-Palast, der königliche­n Residenz in Schottland, Menschen aus indischen, pakistanis­chen und anderen in Großbritan­nien vertretene­n asiatische­n Gemeinscha­ften empfangen. „Das ist sehr wichtig für ihn“, kommentier­te der Historiker Anthony Seldon der BBC zufolge. „Er will von allen Glaubensri­chtungen und Gruppen akzeptiert werden und eine verbindend­e Figur sein.“Gerade in turbulente­n politische­n Zeiten wolle der Monarch eine Institutio­n sein, die spaltenden Kräften entgegenst­ehe.

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FOTO: NEIL HANNA/AFP Bei seinem Besuch in Dunfermlin­e zeigt sich Charles III. – hier mit Camilla – landestypi­sch in einem blau-grün-karierten Schottenro­ck.

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