Lindauer Zeitung

Zulieferer Eto macht sich fit für Zukunftsmä­rkte

Stiftungsu­nternehmen vom Bodensee schafft den Sprung in die Digitalisi­erung – Noch sind Verbrenner das wichtigste Standbein

- Von Hildegard Nagler

SINGEN - Intelligen­te Leitpfoste­n, Sensoren für Landwirte, mit deren Hilfe diese die Hälfte der Spritzunge­n einsparen können. Und jetzt die neue App Cawaena, die den Nutzern die Rechte an ihren eigenen Daten garantiert, Platz für „fasziniere­nde Geschichte­n“bieten will und kürzlich an den Start ging: Die Eto Gruppe Technologi­es in Stockach will als Automobilz­ulieferer neue Geschäftsf­elder erschließe­n, hin zu neuen Technologi­en und damit zur Digitalisi­erung. Noch lebt das Stiftungsu­nternehmen mit seinen weltweit 2400 Beschäftig­ten zu 35 Prozent vom Verbrenner­motor. 2035 sollen es nur noch zehn Prozent sein.

Cawaena kommt aus dem Haiwaianis­chen und bedeutet mittendrin. Cawaena ist auch der Name einer neuen App. Die Idee dafür hatte Benjamin Boenisch, mittlerwei­le Segmentlei­ter Digitale Produkte & Services bei der Eto Gruppe Technologi­es, beim Ausbruch des Vulkans Kilauea auf Hawaii. Was wäre, könnte er seine Fotos von dem Lava spuckenden Kilauea als Privatpers­on mit anderen teilen, fragte er sich. Und vielleicht sogar noch damit Geld verdienen?

Bis 2019 war der Diplom-Ökonom Vertriebsl­eiter der Eto Gruppe im Segment Nutzfahrze­ugtechnik, dann Chef der mit jährlich zwei Millionen Euro ausgestatt­eten Venture-Entwicklun­gsabteilun­g. In dieser Funktion machte sich Benjamin Boenisch 2021 gemeinsam mit seinen Kollegen in Deutschlan­d und in Indien an die Umsetzung seiner Idee. Über die auf das Handy herunterge­ladene App nehmen Fotografen und Kameraleut­e Fotos und Videos auf. Zeitgleich werden deren Gesichter über die App identifizi­ert. Sprich: Die Aufnahmen werden eindeutig zugeordnet, zudem werden auf Wunsch die entspreche­nden GPS-Daten gespeicher­t. Im Gegensatz zu vielen anderen Apps bleiben alle Rechte bei den Urhebern: Sie entscheide­n, wer die geposteten Bilder und Videos, die nicht bearbeitet werden dürfen, sehen darf. Und was wann und wo damit gemacht wird – zu Grunde gelegt ist die Europäisch­e Datenschut­zgrundvero­rdnung.

Eine Chatfunkti­on ist eingericht­et, es gibt einen öffentlich­en und einen geschützte­n Raum, auf einer Landkarte kann man optional sehen, woher die Beiträge kommen. Ein Foto oder ein Video, das einem besonders gut gefällt, kann man liken oder mit bis zu 50 Cent belohnen. Maximal fünf Euro pro Tag kann man dafür von einem einzelnen Nutzer bekommen – ohne Mindestfol­lowerzahl oder andere Hürden. Bezahlt wird über die Cryptowähr­ung Shimmer, Beim Verkauf eines Bildes gehen 15 Prozent an die Eto Gruppe.

„Was sich einfach anhört, hat einen Rattenschw­anz von Themen nach sich gezogen“, sagt Benjamin Boenisch. Zwei Beispiele: Wie schafft man es, ein Foto mit einer Auf lösung von fünf Megabyte in Windeseile auf 20 Kilobyte zu reduzieren und zeitgleich Tausenden von App-Benutzern zugänglich zu machen? Wie kann über die Crypto-Währung möglichst einfach bezahlt werden? Eto-Softwareen­twickler in Deutschlan­d und in Indien stellten sich den Herausford­erungen. Schon früh hat das Unternehme­n Influencer mit „hoch qualitativ­em Content“, wie Benjamin Boenisch sagt, eingebunde­n. Die hoben den Daumen, wenn ihnen ein Detail gefiel oder schlugen ein neues vor.

Soll die neue App in der SocialMedi­a-App-Liga von Instagram oder beispielsw­eise TicToc „mitspielen“? „Mit den ganz Großen wollen wir uns keinesfall­s messen“, betont Benjamin Boenisch. „Die geben Milliarden dafür aus, was wir gar nicht könnten.“Trotzdem, sagt er, könne die App so viel wie ihre großen Schwestern, genau gesagt – wegen der

Datenhohei­t mehr. Zudem sei „alles echt“, Künstliche Intelligen­z verboten. Auch Bots, also Computerpr­ogramme, die weitgehend automatisi­ert wiederkehr­ende Aufgaben ohne menschlich­es Zutun abarbeiten, sucht man vergeblich. „Zu all dem wollen wir eine Gegenbeweg­ung einleiten“, sagt Benjamin Boenisch selbstbewu­sst und betont. „Wir haben Durchhalte­vermögen.“

Dass die Eto Gruppe in Deutschlan­d sitzt und bei ihrer ersten App auf die Europäisch­e Datenschut­zgrundvero­rdnung baut, begrüßt der internatio­nal renommiert­e Cyber-Crime-Spezialist Cem Karakaya. „Ich bin der Meinung, dass man insbesonde­re im Bereich IT und IT-Produkte (Betriebssy­stem, Programme, Apps) seine eigenen nationalen Produkte haben sollte. Wir haben schon erlebt, was passiert und welche Probleme das Land und seine Bürgerinne­n und Bürger haben, wenn man abhängig ist und keine eigenen nationalen Produkte hat. Denken Sie nur an das GasProblem. Dann können andere Länder einfach auf den Knopf drücken, während wir kaum noch etwas tun können. Die sogenannte Zero-Day-Lücken, also nicht bekannte Schwachste­llen, könnten sich im Cyberarsen­al anderer Länder befinden“, meint er. Und fügt bei allem Wohlwollen für die neue App an: „Ob sie sich durchsetze­n kann, kann nur die Zeit zeigen.“

50.000 Benutzer erhofft sich das Unternehme­n nach einer großen Marktreche­rche für die werbefreie App im ersten Jahr. „Weltweit versuchen 50 Millionen Menschen, vom Influencer-Beruf zu leben“, sagt Benjamin Bönisch. „Für einige von ihnen könnte Cawaena eine Chance bieten. Wobei wir ein Mindestalt­er von 18 Jahren voraussetz­en, weil man ja nur dann mit Cryptowähr­ung bezahlen kann.“

Fest eingeplant ist, dass 20 Entwickler ein Jahr lang an der App weiterentw­ickeln: Alle paar Wochen sollen Features nachgescho­ben werden. „Wir sind überzeugt, dass es Menschen gibt, die Wert auf ihre Datenhohei­t legen. Ihre Zahl wird zunehmen“, prophezeit Benjamin Boenisch.

„Die Erweiterun­g des Portfolios um digitale Produkte und Services ist eine spannende Reise für unser Unternehme­n und vor allem das Management­team, die uns immer wieder mit neuen Aufgabenst­ellungen konfrontie­rt und alles abverlangt“, sagt Geschäftsf­ührer Michael Schwabe. „Aber es tun sich auch immer wieder neue Chancen auf, mit denen wir gar nicht gerechnet hatten.“

Mut macht den Mitarbeite­rn der Eto-Gruppe die Erfolgsges­chichte

der „intelligen­ten Leitpfoste­n“. Rund 100 von ihnen sind mittlerwei­le an der B 31 neu bei Friedrichs­hafen alle 50 Meter montiert. Mit Sensoren aufgemotzt, liefern sie nicht nur Daten in Echtzeit über die Fahrzeugar­t, die Fahrzeugge­schwindigk­eit, die Position und das Wetter, sondern können zukünftig optional beispielsw­eise die Bodenfeuch­te erfassen. Zudem dokumentie­ren sie auf einem Testfeld den Verkehrsfl­uss im Ganzen. Tobias Gähr vom Straßenbau­amt des Bodenseekr­eises sagt: „In der Digitalisi­erung liegen große Potenziale, den Straßenver­kehr und -betrieb effiziente­r und sicherer zu gestalten. Deshalb hat das Straßenbau­amt des Bodenseekr­eises das Projekt sehr gerne und tatkräftig unterstütz­t. Wir profitiere­n von den Daten, weil wir davon ausgehen, dass wir beispielsw­eise mehr über das Stauverhal­ten zwischen Friedrichs­hafen-Ost und Eriskirch erfahren.“

2026 sollen die Intelligen­ten Leitpfoste­n auf den Markt kommen – und, wie Cawaena, dafür sorgen, dass das Stiftungsu­nternehmen den Sprung weg vom Automobilz­ulieferer hin zu neuen Technologi­en und damit zur Digitalisi­erung erfolgreic­h fortsetzt.

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FOTO: HILDEGARD NAGLER Benjamin Bönisch (rechts) und Walter Naumann, beide Eto Gruppe Technologi­es, mit dem intelligen­ten Leitpfoste­n.

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